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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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nächsten Lohn seiner Frömmigkeit erntet der in den orphi-
schen Weihen Geheiligte in dem Zwischenreich, in das die
Menschen nach dem irdischen Tode einzugehn haben. Wenn
der Mensch gestorben ist, führt "die unsterbliche Seele" Her-
mes in die Unterwelt 1). Schrecken und Wonnen des unter-
irdischen Reiches offenbarten eigene Dichtungen des orphischen
Kreises 2); was von diesen Verborgenheiten die orphischen
Weihepriester verkündigten, in grober Handgreiflichkeit die
Verheissungen der eleusinischen Mysterien überbietend, mag
der populärste, wenn auch nicht der originellste Theil der
orphischen Lehre gewesen sein 3). Im Hades wartet der Seele
ein Gericht: nicht volksthümlicher Vorstellung, sondern "hei-
liger Lehre" 4) dieser Sectirer verdankt der Gedanke einer
ausgleichenden Gerechtigkeit im Seelenreiche seine Begründung
und Ausführung. Dem Frevler wird Strafe und Reinigung im
tiefsten Tartarus 5); die in orphischen Orgien nicht Gereinigten

1) psukhas athanatas katagei Kullenios Ermes gaies es keuthmona
pelorion fr. 224. (athanatos würde man als Beiwort der psukhe bei Homer
vergeblich suchen). Hermes khthonios (pythagoreisch: Laert. D. 8, 31) ge-
leitet die Seelen hinab in den Hades und (zu neuen ansomatoseis) auch
wieder nach oben: hymn. Orph. 57, 6 ff.
2) Vornehmlich die katabasis eis Aidou. (Lobeck 373. Vgl. oben
p. 278, 2). Der Abstieg ging durch die Schlucht am Taenaron: s. p. 198, 1
und vgl. Orph. Argon. 41. -- Auch andere orphische Gedichte mögen
von diesen Dingen gehandelt haben. polla memuthologetai peri ton an
Aidou pragnaton to tes Kalliopes: Julian. or. 7 p. 281, 3 Hertl.
3) luseis kai katharmoi Lebender und schon Gestorbener durch
orphische Priester: Plat. Rep. 2, 364 E. Lohn der Geweiheten im Hades:
s. die Anekdoten von Leotychides II. bei Plut. apophth. Lacon. 224 E.;
von Antisthenes bei Laert. Diog. 6, 4. Wer an die Fabeln vom zu-
schnappenden Kerberos, von dem Wassertragen in das durchlöcherte
Fass (oben p. 292 A. 1) glaubt, sucht hiegegen Schutz in teletai kai
katharmoi: Plut. ne p. q. suav. v. sec. Epic. 27, p. 1105 B. Die Hoffnung auf
Unsterblichkeit der Seele begründet auf den Dionysosmysterien: Plut.
consol. ad uxor. 10 p. 611 D.
4) Bezeichnend ist, wie der Glaube an Gericht und Strafen der psukhai
bei [Plato] Epist. 7, 335 A begründet wird -- nicht auf volksthümliche
Annahme oder auf Dichtererzählung, sondern auf palaioi te kai ieroi
logoi
. Vgl. oben p. 284 ff.
5) fr. 154 (Strafe des gegen die Eltern Frevelnden im Hades? fr. 281).

nächsten Lohn seiner Frömmigkeit erntet der in den orphi-
schen Weihen Geheiligte in dem Zwischenreich, in das die
Menschen nach dem irdischen Tode einzugehn haben. Wenn
der Mensch gestorben ist, führt „die unsterbliche Seele“ Her-
mes in die Unterwelt 1). Schrecken und Wonnen des unter-
irdischen Reiches offenbarten eigene Dichtungen des orphischen
Kreises 2); was von diesen Verborgenheiten die orphischen
Weihepriester verkündigten, in grober Handgreiflichkeit die
Verheissungen der eleusinischen Mysterien überbietend, mag
der populärste, wenn auch nicht der originellste Theil der
orphischen Lehre gewesen sein 3). Im Hades wartet der Seele
ein Gericht: nicht volksthümlicher Vorstellung, sondern „hei-
liger Lehre“ 4) dieser Sectirer verdankt der Gedanke einer
ausgleichenden Gerechtigkeit im Seelenreiche seine Begründung
und Ausführung. Dem Frevler wird Strafe und Reinigung im
tiefsten Tartarus 5); die in orphischen Orgien nicht Gereinigten

1) ψυχὰς ἀϑανάτας κατάγει Κυλλήνιος Ἑρμῆς γαίης ἐς κευϑμῶνα
πελώριον fr. 224. (ἀϑάνατος würde man als Beiwort der ψυχή bei Homer
vergeblich suchen). Hermes χϑόνιος (pythagoreisch: Laert. D. 8, 31) ge-
leitet die Seelen hinab in den Hades und (zu neuen ἀνσωματώσεις) auch
wieder nach oben: hymn. Orph. 57, 6 ff.
2) Vornehmlich die κατάβασις εἰς Ἅιδου. (Lobeck 373. Vgl. oben
p. 278, 2). Der Abstieg ging durch die Schlucht am Taenaron: s. p. 198, 1
und vgl. Orph. Argon. 41. — Auch andere orphische Gedichte mögen
von diesen Dingen gehandelt haben. πολλὰ μεμυϑολόγηται περὶ τῶν ἀν
Ἅιδου πραγνάτων τῷ τῆς Καλλιόπης: Julian. or. 7 p. 281, 3 Hertl.
3) λύσεις καὶ καϑαρμοί Lebender und schon Gestorbener durch
orphische Priester: Plat. Rep. 2, 364 E. Lohn der Geweiheten im Hades:
s. die Anekdoten von Leotychides II. bei Plut. apophth. Lacon. 224 E.;
von Antisthenes bei Laert. Diog. 6, 4. Wer an die Fabeln vom zu-
schnappenden Kerberos, von dem Wassertragen in das durchlöcherte
Fass (oben p. 292 A. 1) glaubt, sucht hiegegen Schutz in τελεταὶ καὶ
καϑαρμοί: Plut. ne p. q. suav. v. sec. Epic. 27, p. 1105 B. Die Hoffnung auf
Unsterblichkeit der Seele begründet auf den Dionysosmysterien: Plut.
consol. ad uxor. 10 p. 611 D.
4) Bezeichnend ist, wie der Glaube an Gericht und Strafen der ψυχαί
bei [Plato] Epist. 7, 335 A begründet wird — nicht auf volksthümliche
Annahme oder auf Dichtererzählung, sondern auf παλαιοί τε καὶ ἱεροὶ
λόγοι
. Vgl. oben p. 284 ff.
5) fr. 154 (Strafe des gegen die Eltern Frevelnden im Hades? fr. 281).
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[420/0436] nächsten Lohn seiner Frömmigkeit erntet der in den orphi- schen Weihen Geheiligte in dem Zwischenreich, in das die Menschen nach dem irdischen Tode einzugehn haben. Wenn der Mensch gestorben ist, führt „die unsterbliche Seele“ Her- mes in die Unterwelt 1). Schrecken und Wonnen des unter- irdischen Reiches offenbarten eigene Dichtungen des orphischen Kreises 2); was von diesen Verborgenheiten die orphischen Weihepriester verkündigten, in grober Handgreiflichkeit die Verheissungen der eleusinischen Mysterien überbietend, mag der populärste, wenn auch nicht der originellste Theil der orphischen Lehre gewesen sein 3). Im Hades wartet der Seele ein Gericht: nicht volksthümlicher Vorstellung, sondern „hei- liger Lehre“ 4) dieser Sectirer verdankt der Gedanke einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Seelenreiche seine Begründung und Ausführung. Dem Frevler wird Strafe und Reinigung im tiefsten Tartarus 5); die in orphischen Orgien nicht Gereinigten 1) ψυχὰς ἀϑανάτας κατάγει Κυλλήνιος Ἑρμῆς γαίης ἐς κευϑμῶνα πελώριον fr. 224. (ἀϑάνατος würde man als Beiwort der ψυχή bei Homer vergeblich suchen). Hermes χϑόνιος (pythagoreisch: Laert. D. 8, 31) ge- leitet die Seelen hinab in den Hades und (zu neuen ἀνσωματώσεις) auch wieder nach oben: hymn. Orph. 57, 6 ff. 2) Vornehmlich die κατάβασις εἰς Ἅιδου. (Lobeck 373. Vgl. oben p. 278, 2). Der Abstieg ging durch die Schlucht am Taenaron: s. p. 198, 1 und vgl. Orph. Argon. 41. — Auch andere orphische Gedichte mögen von diesen Dingen gehandelt haben. πολλὰ μεμυϑολόγηται περὶ τῶν ἀν Ἅιδου πραγνάτων τῷ τῆς Καλλιόπης: Julian. or. 7 p. 281, 3 Hertl. 3) λύσεις καὶ καϑαρμοί Lebender und schon Gestorbener durch orphische Priester: Plat. Rep. 2, 364 E. Lohn der Geweiheten im Hades: s. die Anekdoten von Leotychides II. bei Plut. apophth. Lacon. 224 E.; von Antisthenes bei Laert. Diog. 6, 4. Wer an die Fabeln vom zu- schnappenden Kerberos, von dem Wassertragen in das durchlöcherte Fass (oben p. 292 A. 1) glaubt, sucht hiegegen Schutz in τελεταὶ καὶ καϑαρμοί: Plut. ne p. q. suav. v. sec. Epic. 27, p. 1105 B. Die Hoffnung auf Unsterblichkeit der Seele begründet auf den Dionysosmysterien: Plut. consol. ad uxor. 10 p. 611 D. 4) Bezeichnend ist, wie der Glaube an Gericht und Strafen der ψυχαί bei [Plato] Epist. 7, 335 A begründet wird — nicht auf volksthümliche Annahme oder auf Dichtererzählung, sondern auf παλαιοί τε καὶ ἱεροὶ λόγοι. Vgl. oben p. 284 ff. 5) fr. 154 (Strafe des gegen die Eltern Frevelnden im Hades? fr. 281).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/436>, abgerufen am 22.11.2024.