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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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weniger beirren, als es keineswegs gewiss und nicht einmal
wahrscheinlich ist, dass in Aegypten ein Seelenwanderungsglaube
überhaupt bestanden hat 1). Dieser Glaube hat sich an vielen
Stellen der Erde selbständig und ohne Ueberlieferung von Ort
zu Ort gebildet 2); er konnte überall leicht von selber ent-
stehen, wo die Vorstellung herrschte, dass die "Seele" in ihrem
Leibe hause, wie ein fremder Gast in einer Herberge, mit der
ihn keine innere Nothwendigkeit dauernd verbinde. Das ist
aber die Vorstellung der Popularpsychologie aller Völker der
Erde 3). Wenn es gleichwohl wahrscheinlicher ist, dass den
Orphikern die Vorstellung einer Wanderung der Seele durch
viele Leiber nicht spontan entstanden, sondern aus fremder
Ueberlieferung zugekommen ist, so besteht gar kein Grund, der

1) Allgemeine, durch Gesetz der Natur oder der Gottheit bestimmte
Seelenwanderung kennen ägyptische Monumente nicht. Man sieht aber
wohl, was in ägyptischer Ueberlieferung dem Herodot wie eine Seelen-
wanderungslehre erscheinen konnte. Vgl. Wiedemann, Erläut. zu Herodots
2. Buch
, p. 457 f.
2) Es genügt, auf Tylors Zusammenstellungen (Primit. cult. 2, 3 ff.)
zu verweisen. -- Im Alterthum trafen den Seelenwanderungsglauben
Griechen, ausser in Thrakien, namentlich bei keltischen Stämmen an
(Caes. b. Gall. 6, 14, 5; Diodor. 5, 28, 6; vgl. Timagenes bei Ammian.
Marcell. 15, 9, 8). Nur darum liess man den Pythagoras auch einen
Schüler gallischer Druiden sein: Alex. Polyh. bei Clem. Strom. 1, 304 B u. A.
3) Dass auch Griechen die Vorstellung einer Wanderung der Seele
aus ihrem ersten Leib in einen beliebigen zweiten und dritten Leib (des
Eingehens tes tukhouses psukhes eis to tukhon soma nach Aristot.) nicht schwer
werden konnte, lässt sich schon daraus abnehmen, dass in volksthümlichen
Erzählungen der Griechen von Verwandlung eines Menschen in ein Thier
stets die Annahme herrscht, dass zwar der Leib ein anderer werde, die
"Seele" aber in dem neuen Leibe dieselbe bleibe wie vorher. So schon aus-
gesprochen Odyss. k 240 (vgl. Schol. k 240. 329). Vgl. Ovid. met. 2, 485;
Nonn. Dion. 5, 322 f.; Aesop. fab. 294 (Halm.) [Luc.] Asin. 13. 15 init.;
Apul. met. 3, 26 Anf.; Augustin. Civ. Dei 18, 18 p. 278, 11 ff. Domb. etc.
(in allen Verwandlungsgeschichten ist dies die eigentliche Grundvoraus-
setzung; der Witz der Geschichte beruht eben hierauf. So von den
ältesten Zeiten herunter bis zu Voltaire's Maulthiertreiber, der in ein
Maulthier verwandelt wird: et du vilain l'ame terrestre et crasse a peine
vit qu'elle eaut change de place.
). -- Auch die Thiere haben ja eine psukhe:
z. B. Odyss. x 426.

weniger beirren, als es keineswegs gewiss und nicht einmal
wahrscheinlich ist, dass in Aegypten ein Seelenwanderungsglaube
überhaupt bestanden hat 1). Dieser Glaube hat sich an vielen
Stellen der Erde selbständig und ohne Ueberlieferung von Ort
zu Ort gebildet 2); er konnte überall leicht von selber ent-
stehen, wo die Vorstellung herrschte, dass die „Seele“ in ihrem
Leibe hause, wie ein fremder Gast in einer Herberge, mit der
ihn keine innere Nothwendigkeit dauernd verbinde. Das ist
aber die Vorstellung der Popularpsychologie aller Völker der
Erde 3). Wenn es gleichwohl wahrscheinlicher ist, dass den
Orphikern die Vorstellung einer Wanderung der Seele durch
viele Leiber nicht spontan entstanden, sondern aus fremder
Ueberlieferung zugekommen ist, so besteht gar kein Grund, der

1) Allgemeine, durch Gesetz der Natur oder der Gottheit bestimmte
Seelenwanderung kennen ägyptische Monumente nicht. Man sieht aber
wohl, was in ägyptischer Ueberlieferung dem Herodot wie eine Seelen-
wanderungslehre erscheinen konnte. Vgl. Wiedemann, Erläut. zu Herodots
2. Buch
, p. 457 f.
2) Es genügt, auf Tylors Zusammenstellungen (Primit. cult. 2, 3 ff.)
zu verweisen. — Im Alterthum trafen den Seelenwanderungsglauben
Griechen, ausser in Thrakien, namentlich bei keltischen Stämmen an
(Caes. b. Gall. 6, 14, 5; Diodor. 5, 28, 6; vgl. Timagenes bei Ammian.
Marcell. 15, 9, 8). Nur darum liess man den Pythagoras auch einen
Schüler gallischer Druiden sein: Alex. Polyh. bei Clem. Strom. 1, 304 B u. A.
3) Dass auch Griechen die Vorstellung einer Wanderung der Seele
aus ihrem ersten Leib in einen beliebigen zweiten und dritten Leib (des
Eingehens τῆς τυχούσης ψυχῆς εἰς τὸ τυχὸν σῶμα nach Aristot.) nicht schwer
werden konnte, lässt sich schon daraus abnehmen, dass in volksthümlichen
Erzählungen der Griechen von Verwandlung eines Menschen in ein Thier
stets die Annahme herrscht, dass zwar der Leib ein anderer werde, die
„Seele“ aber in dem neuen Leibe dieselbe bleibe wie vorher. So schon aus-
gesprochen Odyss. κ 240 (vgl. Schol. κ 240. 329). Vgl. Ovid. met. 2, 485;
Nonn. Dion. 5, 322 f.; Aesop. fab. 294 (Halm.) [Luc.] Asin. 13. 15 init.;
Apul. met. 3, 26 Anf.; Augustin. Civ. Dei 18, 18 p. 278, 11 ff. Domb. etc.
(in allen Verwandlungsgeschichten ist dies die eigentliche Grundvoraus-
setzung; der Witz der Geschichte beruht eben hierauf. So von den
ältesten Zeiten herunter bis zu Voltaire’s Maulthiertreiber, der in ein
Maulthier verwandelt wird: et du vilain l’âme terrestre et crasse à peine
vit qu’elle eût changé de place.
). — Auch die Thiere haben ja eine ψυχή:
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[427/0443] weniger beirren, als es keineswegs gewiss und nicht einmal wahrscheinlich ist, dass in Aegypten ein Seelenwanderungsglaube überhaupt bestanden hat 1). Dieser Glaube hat sich an vielen Stellen der Erde selbständig und ohne Ueberlieferung von Ort zu Ort gebildet 2); er konnte überall leicht von selber ent- stehen, wo die Vorstellung herrschte, dass die „Seele“ in ihrem Leibe hause, wie ein fremder Gast in einer Herberge, mit der ihn keine innere Nothwendigkeit dauernd verbinde. Das ist aber die Vorstellung der Popularpsychologie aller Völker der Erde 3). Wenn es gleichwohl wahrscheinlicher ist, dass den Orphikern die Vorstellung einer Wanderung der Seele durch viele Leiber nicht spontan entstanden, sondern aus fremder Ueberlieferung zugekommen ist, so besteht gar kein Grund, der 1) Allgemeine, durch Gesetz der Natur oder der Gottheit bestimmte Seelenwanderung kennen ägyptische Monumente nicht. Man sieht aber wohl, was in ägyptischer Ueberlieferung dem Herodot wie eine Seelen- wanderungslehre erscheinen konnte. Vgl. Wiedemann, Erläut. zu Herodots 2. Buch, p. 457 f. 2) Es genügt, auf Tylors Zusammenstellungen (Primit. cult. 2, 3 ff.) zu verweisen. — Im Alterthum trafen den Seelenwanderungsglauben Griechen, ausser in Thrakien, namentlich bei keltischen Stämmen an (Caes. b. Gall. 6, 14, 5; Diodor. 5, 28, 6; vgl. Timagenes bei Ammian. Marcell. 15, 9, 8). Nur darum liess man den Pythagoras auch einen Schüler gallischer Druiden sein: Alex. Polyh. bei Clem. Strom. 1, 304 B u. A. 3) Dass auch Griechen die Vorstellung einer Wanderung der Seele aus ihrem ersten Leib in einen beliebigen zweiten und dritten Leib (des Eingehens τῆς τυχούσης ψυχῆς εἰς τὸ τυχὸν σῶμα nach Aristot.) nicht schwer werden konnte, lässt sich schon daraus abnehmen, dass in volksthümlichen Erzählungen der Griechen von Verwandlung eines Menschen in ein Thier stets die Annahme herrscht, dass zwar der Leib ein anderer werde, die „Seele“ aber in dem neuen Leibe dieselbe bleibe wie vorher. So schon aus- gesprochen Odyss. κ 240 (vgl. Schol. κ 240. 329). Vgl. Ovid. met. 2, 485; Nonn. Dion. 5, 322 f.; Aesop. fab. 294 (Halm.) [Luc.] Asin. 13. 15 init.; Apul. met. 3, 26 Anf.; Augustin. Civ. Dei 18, 18 p. 278, 11 ff. Domb. etc. (in allen Verwandlungsgeschichten ist dies die eigentliche Grundvoraus- setzung; der Witz der Geschichte beruht eben hierauf. So von den ältesten Zeiten herunter bis zu Voltaire’s Maulthiertreiber, der in ein Maulthier verwandelt wird: et du vilain l’âme terrestre et crasse à peine vit qu’elle eût changé de place.). — Auch die Thiere haben ja eine ψυχή: z. B. Odyss. ξ 426.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/443>, abgerufen am 22.11.2024.