Handlungen der bewussten Willkür göttlicher Persönlichkeiten vollzog, da erkannte der Denker ein Spiel ewiger Kräfte, in die einzelnen Acte einer historischen Handlung nicht zerlegbar, weil es, anfangslos und endlos, von jeher in Bewegung war und rastlos immer gleich sich abrollt nach unveränderlichem Gesetze. Hier schien kein Raum zu bleiben für Göttergestalten, die der Mensch nach seinem eigenen Bilde geschaffen hatte und als lenkende Weltmächte verehrte. Und in der That wurde hier der Anfang gemacht zu jener grossen Arbeit der freien Forschung, der es endlich gelang, aus eigener Fülle neue Ge- dankenwelten zu erbauen, in denen wohnen konnte, wer, da die alte Religion, die eben damals auf der glänzendsten Höhe äus- serer Entwicklung innerlich ins Wanken kam, ihm abgethan und versunken war, doch nicht ins Nichts fallen mochte.
Dennoch hat eine grundsätzliche Auseinandersetzung und vollbewusste Scheidung zwischen Religion und Wissenschaft in Griechenland niemals stattgefunden. In wenigen einzelnen Fällen drängte sich der Religion des Staates die Wahrnehmung ihrer Unvereinbarkeit mit laut geäusserten Meinungen einzel- ner Philosophen auf, und sie machte ihre Ansprüche auf Allein- herrschaft gewaltsam geltend; zumeist flossen durch Jahrhun- derte beide Strömungen in gesonderten Betten neben einander her, ohne einander feindlich zu begegnen. Der Philosophie fehlte von Anbeginn der propagandistische Zug (und auch wo er spät, wie bei den Cynikern, hervortrat, that er der Herr- schaft der Staatsreligion kaum erheblichen Eintrag); die Religion wurde durch keine priesterliche Kaste vertreten, die mit dem Glauben zugleich ihr eigenstes Interesse verfochten hätte. Theoretische Gegensätze konnten um so leichter verhüllt und unbeachtet bleiben, weil die Religion auf ein festes Dogma, ein weltumspannendes Ganzes von Meinungen und Lehren sich keineswegs stützte, Theologie, wo solche um die Götterver- ehrung (eusebeia), als den Kern der Religion, sich schlang, so gut wie die Philosophie die Sache Einzelner und der An- hänger war, welche diese ausserhalb des Bereiches der Staats-
Handlungen der bewussten Willkür göttlicher Persönlichkeiten vollzog, da erkannte der Denker ein Spiel ewiger Kräfte, in die einzelnen Acte einer historischen Handlung nicht zerlegbar, weil es, anfangslos und endlos, von jeher in Bewegung war und rastlos immer gleich sich abrollt nach unveränderlichem Gesetze. Hier schien kein Raum zu bleiben für Göttergestalten, die der Mensch nach seinem eigenen Bilde geschaffen hatte und als lenkende Weltmächte verehrte. Und in der That wurde hier der Anfang gemacht zu jener grossen Arbeit der freien Forschung, der es endlich gelang, aus eigener Fülle neue Ge- dankenwelten zu erbauen, in denen wohnen konnte, wer, da die alte Religion, die eben damals auf der glänzendsten Höhe äus- serer Entwicklung innerlich ins Wanken kam, ihm abgethan und versunken war, doch nicht ins Nichts fallen mochte.
Dennoch hat eine grundsätzliche Auseinandersetzung und vollbewusste Scheidung zwischen Religion und Wissenschaft in Griechenland niemals stattgefunden. In wenigen einzelnen Fällen drängte sich der Religion des Staates die Wahrnehmung ihrer Unvereinbarkeit mit laut geäusserten Meinungen einzel- ner Philosophen auf, und sie machte ihre Ansprüche auf Allein- herrschaft gewaltsam geltend; zumeist flossen durch Jahrhun- derte beide Strömungen in gesonderten Betten neben einander her, ohne einander feindlich zu begegnen. Der Philosophie fehlte von Anbeginn der propagandistische Zug (und auch wo er spät, wie bei den Cynikern, hervortrat, that er der Herr- schaft der Staatsreligion kaum erheblichen Eintrag); die Religion wurde durch keine priesterliche Kaste vertreten, die mit dem Glauben zugleich ihr eigenstes Interesse verfochten hätte. Theoretische Gegensätze konnten um so leichter verhüllt und unbeachtet bleiben, weil die Religion auf ein festes Dogma, ein weltumspannendes Ganzes von Meinungen und Lehren sich keineswegs stützte, Theologie, wo solche um die Götterver- ehrung (εὐσέβεια), als den Kern der Religion, sich schlang, so gut wie die Philosophie die Sache Einzelner und der An- hänger war, welche diese ausserhalb des Bereiches der Staats-
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Handlungen der bewussten Willkür göttlicher Persönlichkeiten
vollzog, da erkannte der Denker ein Spiel ewiger Kräfte, in
die einzelnen Acte einer historischen Handlung nicht zerlegbar,
weil es, anfangslos und endlos, von jeher in Bewegung war
und rastlos immer gleich sich abrollt nach unveränderlichem
Gesetze. Hier schien kein Raum zu bleiben für Göttergestalten,
die der Mensch nach seinem eigenen Bilde geschaffen hatte
und als lenkende Weltmächte verehrte. Und in der That wurde
hier der Anfang gemacht zu jener grossen Arbeit der freien
Forschung, der es endlich gelang, aus eigener Fülle neue Ge-
dankenwelten zu erbauen, in denen wohnen konnte, wer, da die
alte Religion, die eben damals auf der glänzendsten Höhe äus-
serer Entwicklung innerlich ins Wanken kam, ihm abgethan
und versunken war, doch nicht ins Nichts fallen mochte.
Dennoch hat eine grundsätzliche Auseinandersetzung und
vollbewusste Scheidung zwischen Religion und Wissenschaft in
Griechenland niemals stattgefunden. In wenigen einzelnen
Fällen drängte sich der Religion des Staates die Wahrnehmung
ihrer Unvereinbarkeit mit laut geäusserten Meinungen einzel-
ner Philosophen auf, und sie machte ihre Ansprüche auf Allein-
herrschaft gewaltsam geltend; zumeist flossen durch Jahrhun-
derte beide Strömungen in gesonderten Betten neben einander
her, ohne einander feindlich zu begegnen. Der Philosophie
fehlte von Anbeginn der propagandistische Zug (und auch wo
er spät, wie bei den Cynikern, hervortrat, that er der Herr-
schaft der Staatsreligion kaum erheblichen Eintrag); die Religion
wurde durch keine priesterliche Kaste vertreten, die mit dem
Glauben zugleich ihr eigenstes Interesse verfochten hätte.
Theoretische Gegensätze konnten um so leichter verhüllt und
unbeachtet bleiben, weil die Religion auf ein festes Dogma,
ein weltumspannendes Ganzes von Meinungen und Lehren sich
keineswegs stützte, Theologie, wo solche um die Götterver-
ehrung (εὐσέβεια), als den Kern der Religion, sich schlang, so
gut wie die Philosophie die Sache Einzelner und der An-
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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