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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Elementartheile sind es, die den Schein des Werdens und Ver-
gehens hervorrufen; beide werden bewirkt durch zwei, von den
Elementen sich bestimmt absondernde Kräfte der Anziehung
und Abstossung, Liebe und Hass, die in dem Werdeprozess
sich bekämpfen und besiegen, so dass zuletzt, bei völliger
Ueberwindung der einen der beiden Kräfte, entweder Alles
vereinigt oder Alles getrennt, in beiden Fällen eine gegliederte
Welt nicht vorhanden ist. Der gegenwärtige Weltzustand ist
ein solcher, in dem die "Liebe", der Zug zur Verschmelzung
alles Geschiedenen, überwiegt; an seinem Ende steht eine völ-
lige Vereinigung alles Getrennten bevor, die Empedokles, auch
als Naturkundiger ein Quietist, als das wünschenswertheste
Ziel preist.

In dieser, nur mechanisch bewegten und veränderten Welt,
aus deren Entwicklung Empedokles durch eine geniale Wen-
dung jeden Gedanken an Zwecksetzung fern zu halten weiss,
giebt es auch Seelen, oder vielmehr seelische Kräfte, die ganz
in ihr wurzeln. Ausdrücklich unterscheidet Empedokles die
sinnliche Wahrnehmung von der Denkkraft 1). Jene kommt
zustande, indem von den Elementen, aus deren Mischung das
wahrnehmende Wesen gebildet ist, ein jedes mit dem gleichen
Elemente in den Gegenständen der Wahrnehmung durch die
"Wege", die das Innere des Leibes mit dem Aeusseren ver-
binden, in Berührung tritt und seiner so gewahr wird 2). Das
"Denken" hat seinen Sitz im Herzblute, in welchem die Ele-

1) guion pistis unterschieden von dem noein V. 57; noo derkesthai
von dem derkesthai ommasin 82. out epiderkta tad andrasin out epakousta,
oute noo perilepta 42 f. -- Anderswo freilich setzt E. (der durchweg pro-
saischer Genauigkeit in Anwendung technischer Bezeichnungen ausweicht)
noesai einfach = sinnlich wahrnehmen, nach epischer Sprechweise: z. B.
gleich V. 56 (doch ist es nicht ganz richtig, dass E. to phronein kai to
aisthanesthai tauto phesi, wie Aristoteles, de an. 427 a, 22 behauptet).
2) 378 ff: gaie men gar gaian opopamen u. s. w. (dran hier im weitesten
Sinne, eidos anti genous = aisthanesthai. So wie noo derkesthai 82 steht =
aisthanesthai, und wie sehr häufig Bezeichnungen einer einzelnen Wahr-
nehmungsart angewendet werden statt der eines andern eidos oder auch des
ganzen genos der aisthesis. Lobeck Rhemat. 334 ff.).

Elementartheile sind es, die den Schein des Werdens und Ver-
gehens hervorrufen; beide werden bewirkt durch zwei, von den
Elementen sich bestimmt absondernde Kräfte der Anziehung
und Abstossung, Liebe und Hass, die in dem Werdeprozess
sich bekämpfen und besiegen, so dass zuletzt, bei völliger
Ueberwindung der einen der beiden Kräfte, entweder Alles
vereinigt oder Alles getrennt, in beiden Fällen eine gegliederte
Welt nicht vorhanden ist. Der gegenwärtige Weltzustand ist
ein solcher, in dem die „Liebe“, der Zug zur Verschmelzung
alles Geschiedenen, überwiegt; an seinem Ende steht eine völ-
lige Vereinigung alles Getrennten bevor, die Empedokles, auch
als Naturkundiger ein Quietist, als das wünschenswertheste
Ziel preist.

In dieser, nur mechanisch bewegten und veränderten Welt,
aus deren Entwicklung Empedokles durch eine geniale Wen-
dung jeden Gedanken an Zwecksetzung fern zu halten weiss,
giebt es auch Seelen, oder vielmehr seelische Kräfte, die ganz
in ihr wurzeln. Ausdrücklich unterscheidet Empedokles die
sinnliche Wahrnehmung von der Denkkraft 1). Jene kommt
zustande, indem von den Elementen, aus deren Mischung das
wahrnehmende Wesen gebildet ist, ein jedes mit dem gleichen
Elemente in den Gegenständen der Wahrnehmung durch die
„Wege“, die das Innere des Leibes mit dem Aeusseren ver-
binden, in Berührung tritt und seiner so gewahr wird 2). Das
„Denken“ hat seinen Sitz im Herzblute, in welchem die Ele-

1) γυίων πίστις unterschieden von dem νοεῖν V. 57; νόῳ δέρκεσϑαι
von dem δέρκεσϑαι ὄμμασιν 82. οὔτ̕ ἐπίδερκτα τάδ̕ ἄνδρασιν οὔτ̕ ἐπακουστά,
οὔτε νόῳ περίληπτα 42 f. — Anderswo freilich setzt E. (der durchweg pro-
saischer Genauigkeit in Anwendung technischer Bezeichnungen ausweicht)
νοῆσαι einfach = sinnlich wahrnehmen, nach epischer Sprechweise: z. B.
gleich V. 56 (doch ist es nicht ganz richtig, dass E. τὸ φρονεῖν καὶ τὸ
αἰσϑάνεσϑαι ταὐτό φησι, wie Aristoteles, de an. 427 a, 22 behauptet).
2) 378 ff: γαίῃ μὲν γὰρ γαῖαν ὀπώπαμεν u. s. w. (δρᾶν hier im weitesten
Sinne, εἶδος ἀντὶ γένους = αἰσϑάνεσϑαι. So wie νόῳ δέρκεσϑαι 82 steht =
αἰσϑάνεσϑαι, und wie sehr häufig Bezeichnungen einer einzelnen Wahr-
nehmungsart angewendet werden statt der eines andern εἶδος oder auch des
ganzen γένος der αἴσϑησις. Lobeck Rhemat. 334 ff.).
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[469/0485] Elementartheile sind es, die den Schein des Werdens und Ver- gehens hervorrufen; beide werden bewirkt durch zwei, von den Elementen sich bestimmt absondernde Kräfte der Anziehung und Abstossung, Liebe und Hass, die in dem Werdeprozess sich bekämpfen und besiegen, so dass zuletzt, bei völliger Ueberwindung der einen der beiden Kräfte, entweder Alles vereinigt oder Alles getrennt, in beiden Fällen eine gegliederte Welt nicht vorhanden ist. Der gegenwärtige Weltzustand ist ein solcher, in dem die „Liebe“, der Zug zur Verschmelzung alles Geschiedenen, überwiegt; an seinem Ende steht eine völ- lige Vereinigung alles Getrennten bevor, die Empedokles, auch als Naturkundiger ein Quietist, als das wünschenswertheste Ziel preist. In dieser, nur mechanisch bewegten und veränderten Welt, aus deren Entwicklung Empedokles durch eine geniale Wen- dung jeden Gedanken an Zwecksetzung fern zu halten weiss, giebt es auch Seelen, oder vielmehr seelische Kräfte, die ganz in ihr wurzeln. Ausdrücklich unterscheidet Empedokles die sinnliche Wahrnehmung von der Denkkraft 1). Jene kommt zustande, indem von den Elementen, aus deren Mischung das wahrnehmende Wesen gebildet ist, ein jedes mit dem gleichen Elemente in den Gegenständen der Wahrnehmung durch die „Wege“, die das Innere des Leibes mit dem Aeusseren ver- binden, in Berührung tritt und seiner so gewahr wird 2). Das „Denken“ hat seinen Sitz im Herzblute, in welchem die Ele- 1) γυίων πίστις unterschieden von dem νοεῖν V. 57; νόῳ δέρκεσϑαι von dem δέρκεσϑαι ὄμμασιν 82. οὔτ̕ ἐπίδερκτα τάδ̕ ἄνδρασιν οὔτ̕ ἐπακουστά, οὔτε νόῳ περίληπτα 42 f. — Anderswo freilich setzt E. (der durchweg pro- saischer Genauigkeit in Anwendung technischer Bezeichnungen ausweicht) νοῆσαι einfach = sinnlich wahrnehmen, nach epischer Sprechweise: z. B. gleich V. 56 (doch ist es nicht ganz richtig, dass E. τὸ φρονεῖν καὶ τὸ αἰσϑάνεσϑαι ταὐτό φησι, wie Aristoteles, de an. 427 a, 22 behauptet). 2) 378 ff: γαίῃ μὲν γὰρ γαῖαν ὀπώπαμεν u. s. w. (δρᾶν hier im weitesten Sinne, εἶδος ἀντὶ γένους = αἰσϑάνεσϑαι. So wie νόῳ δέρκεσϑαι 82 steht = αἰσϑάνεσϑαι, und wie sehr häufig Bezeichnungen einer einzelnen Wahr- nehmungsart angewendet werden statt der eines andern εἶδος oder auch des ganzen γένος der αἴσϑησις. Lobeck Rhemat. 334 ff.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/485>, abgerufen am 22.11.2024.