in widerspruchsvolle Einzelvorstellungen sich noch mehr zer- splittert haben als später, wo einzelne allgemein hellenische Institute Vereinigungspuncte abgaben. Nur des Dichters Werk kann die Ausbildung und consequente Durchführung des Bildes eines geordneten Götterstaates sein, aus einer beschränkten Anzahl scharf charakterisirter Götter gebildet, in fester Grup- pirung aufgebaut, um Einen überirdischen Wohnplatz versam- melt. Es ist, wenn man nur dem Homer vertrauen wollte, als ob die zahllosen Localculte Griechenlands, mit ihren local ge- bundenen Göttern kaum existirt hätten: Homer ignorirt sie fast völlig. Seine Götter sind panhellenische, olympische. So hat er die eigentlich dichterische That, die Vereinfachung und Aus- gleichung des Verworrenen und Ueberreichen, auf der aller Idealismus der griechischen Kunst beruht, am Bilde der Götter- welt am Grossartigsten durchgeführt. Und in seinem Spiegel scheint Griechenland einig und einheitlich im Götterglauben, wie im Dialekt, in Verfassungszuständen, in Sitte und Sitt- lichkeit. In Wirklichkeit kann -- das darf man kühn be- haupten -- diese Einheit nicht vorhanden gewesen sein; die Grundzüge des panhellenischen Wesens waren zweifellos vor- handen, aber gesammelt und verschmolzen zu einem nur vor- gestellten Ganzen hat sie einzig der Genius des Dichters. Das Landschaftliche als solches kümmert ihn nicht. Wenn er nun auf dem Gebiet, das unsere Betrachtung in's Auge fasst, nur Ein Reich der Unterwelt von Einem Götterpaar beherrscht, als Sammelplatz aller Seelen, kennt, und dieses Reich von den Menschen und ihren Städten so weit abrückt wie nach der an- deren Seite die olympischen Wohnungen der Seligen -- wer will bestimmen, wie weit er darin naivem Volksglauben folgt? Dort der Olymp als Versammlungsort aller im Lichte walten- den Götter 1), -- hier das Reich des Hades, das alle unsicht-
1) Selbst die sonst an ihren irdischen Wohnplatz gebundenen Dä- monen, die Flussgötter und Nymphen, werden doch zur agora aller Götter in den Olymp mitberufen: Il. 20, 4 ff. Diese an dem Local ihrer Verehrung haften gebliebenen Gottheiten sind, eben weil sie nicht mit
in widerspruchsvolle Einzelvorstellungen sich noch mehr zer- splittert haben als später, wo einzelne allgemein hellenische Institute Vereinigungspuncte abgaben. Nur des Dichters Werk kann die Ausbildung und consequente Durchführung des Bildes eines geordneten Götterstaates sein, aus einer beschränkten Anzahl scharf charakterisirter Götter gebildet, in fester Grup- pirung aufgebaut, um Einen überirdischen Wohnplatz versam- melt. Es ist, wenn man nur dem Homer vertrauen wollte, als ob die zahllosen Localculte Griechenlands, mit ihren local ge- bundenen Göttern kaum existirt hätten: Homer ignorirt sie fast völlig. Seine Götter sind panhellenische, olympische. So hat er die eigentlich dichterische That, die Vereinfachung und Aus- gleichung des Verworrenen und Ueberreichen, auf der aller Idealismus der griechischen Kunst beruht, am Bilde der Götter- welt am Grossartigsten durchgeführt. Und in seinem Spiegel scheint Griechenland einig und einheitlich im Götterglauben, wie im Dialekt, in Verfassungszuständen, in Sitte und Sitt- lichkeit. In Wirklichkeit kann — das darf man kühn be- haupten — diese Einheit nicht vorhanden gewesen sein; die Grundzüge des panhellenischen Wesens waren zweifellos vor- handen, aber gesammelt und verschmolzen zu einem nur vor- gestellten Ganzen hat sie einzig der Genius des Dichters. Das Landschaftliche als solches kümmert ihn nicht. Wenn er nun auf dem Gebiet, das unsere Betrachtung in’s Auge fasst, nur Ein Reich der Unterwelt von Einem Götterpaar beherrscht, als Sammelplatz aller Seelen, kennt, und dieses Reich von den Menschen und ihren Städten so weit abrückt wie nach der an- deren Seite die olympischen Wohnungen der Seligen — wer will bestimmen, wie weit er darin naivem Volksglauben folgt? Dort der Olymp als Versammlungsort aller im Lichte walten- den Götter 1), — hier das Reich des Hades, das alle unsicht-
1) Selbst die sonst an ihren irdischen Wohnplatz gebundenen Dä- monen, die Flussgötter und Nymphen, werden doch zur ἀγορά aller Götter in den Olymp mitberufen: Il. 20, 4 ff. Diese an dem Local ihrer Verehrung haften gebliebenen Gottheiten sind, eben weil sie nicht mit
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in widerspruchsvolle Einzelvorstellungen sich noch mehr zer-
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Institute Vereinigungspuncte abgaben. Nur des Dichters Werk
kann die Ausbildung und consequente Durchführung des Bildes
eines geordneten Götterstaates sein, aus einer beschränkten
Anzahl scharf charakterisirter Götter gebildet, in fester Grup-
pirung aufgebaut, um Einen überirdischen Wohnplatz versam-
melt. Es ist, wenn man nur dem Homer vertrauen wollte, als
ob die zahllosen Localculte Griechenlands, mit ihren local ge-
bundenen Göttern kaum existirt hätten: Homer ignorirt sie fast
völlig. Seine Götter sind panhellenische, olympische. So hat
er die eigentlich dichterische That, die Vereinfachung und Aus-
gleichung des Verworrenen und Ueberreichen, auf der aller
Idealismus der griechischen Kunst beruht, am Bilde der Götter-
welt am Grossartigsten durchgeführt. Und in seinem Spiegel
scheint Griechenland einig und einheitlich im Götterglauben,
wie im Dialekt, in Verfassungszuständen, in Sitte und Sitt-
lichkeit. In Wirklichkeit kann — das darf man kühn be-
haupten — diese Einheit nicht vorhanden gewesen sein; die
Grundzüge des panhellenischen Wesens waren zweifellos vor-
handen, aber gesammelt und verschmolzen zu einem nur vor-
gestellten Ganzen hat sie einzig der Genius des Dichters. Das
Landschaftliche als solches kümmert ihn nicht. Wenn er nun
auf dem Gebiet, das unsere Betrachtung in’s Auge fasst, nur
Ein Reich der Unterwelt von Einem Götterpaar beherrscht,
als Sammelplatz aller Seelen, kennt, und dieses Reich von den
Menschen und ihren Städten so weit abrückt wie nach der an-
deren Seite die olympischen Wohnungen der Seligen — wer
will bestimmen, wie weit er darin naivem Volksglauben folgt?
Dort der Olymp als Versammlungsort aller im Lichte walten-
den Götter 1), — hier das Reich des Hades, das alle unsicht-
1) Selbst die sonst an ihren irdischen Wohnplatz gebundenen Dä-
monen, die Flussgötter und Nymphen, werden doch zur ἀγορά aller
Götter in den Olymp mitberufen: Il. 20, 4 ff. Diese an dem Local ihrer
Verehrung haften gebliebenen Gottheiten sind, eben weil sie nicht mit
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/52>, abgerufen am 22.11.2024.
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