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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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baren Geister, die aus dem Leben geschieden sind, umfasst:
die Parallele ist zu sichtlich, als dass nicht eine gleiche ord-
nende und constituirende Thätigkeit hier wie dort angenommen
werden sollte.

2.

Man würde gleichwohl die Stellung der homerischen Dich-
tung zum Volksglauben völlig missverstehen, wenn man sie sich
als einen Gegensatz dächte, wenn man auch nur annähme, dass
sie der Stellung des Pindar oder der athenischen Tragiker zu
den Volksmeinungen ihrer Zeit gleiche. Jene späteren Dichter
lassen bewussten Gegensatz ihres geläuterten Denkens zu ver-
breiteten Vorstellungen oft genug deutlich merken; Homer
dagegen zeigt von Polemik so wenig eine Spur wie von Dog-
matik. Wie er seine Vorstellungen von Gott, Welt und
Schicksal nicht wie sein besonderes Eigenthum giebt, so wird
man auch glauben dürfen, dass in ihnen sein Publicum die
eigenen Ansichten wiedererkannte. Nicht Alles, was das Volk
glaubte, hat der Dichter sich angeeignet, aber was er vor-
bringt, muss auch zum Volksglauben gehört haben: die Aus-
wahl, die Zusammenfügung zum übereinstimmenden Ganzen
wird des Dichters Werk sein. Wäre nicht der homerische
Glaube so geartet, dass er, in seinen wesentlichen Zügen, Volks-
glaube seiner Zeit war oder sein konnte, so wäre auch, trotz
aller Schulüberlieferung, die Uebereinstimmung der vielen, an
den zwei Gedichten thätigen Dichter fast unerklärlich. In
diesem eingeschränkten Sinne kann man sagen, dass Homers
Gedichte uns den Volksglauben wiedererkennen lassen, wie er
zu der Zeit der Gedichte sich gestaltet hatte -- nicht überall

zu der Idealhöhe des Olympos erhoben sind, schwächer als die dort oben
wohnenden Götter. Kalypso spricht das resignirt aus, Od. 5, 169 f.: ai
ke theoi g ethelosi, toi ouranon eurun ekhousin, oi meu pherteroi eisi noesai te
krenai te. Sie sind zu Gottheiten zweiten Ranges geworden; als unab-
hängig für sich, frei neben dem Reiche des Zeus und der anderen Olym-
pier, zu dem sie nur einen Anhang bilden, stehend, sind sie nirgends
gedacht.

baren Geister, die aus dem Leben geschieden sind, umfasst:
die Parallele ist zu sichtlich, als dass nicht eine gleiche ord-
nende und constituirende Thätigkeit hier wie dort angenommen
werden sollte.

2.

Man würde gleichwohl die Stellung der homerischen Dich-
tung zum Volksglauben völlig missverstehen, wenn man sie sich
als einen Gegensatz dächte, wenn man auch nur annähme, dass
sie der Stellung des Pindar oder der athenischen Tragiker zu
den Volksmeinungen ihrer Zeit gleiche. Jene späteren Dichter
lassen bewussten Gegensatz ihres geläuterten Denkens zu ver-
breiteten Vorstellungen oft genug deutlich merken; Homer
dagegen zeigt von Polemik so wenig eine Spur wie von Dog-
matik. Wie er seine Vorstellungen von Gott, Welt und
Schicksal nicht wie sein besonderes Eigenthum giebt, so wird
man auch glauben dürfen, dass in ihnen sein Publicum die
eigenen Ansichten wiedererkannte. Nicht Alles, was das Volk
glaubte, hat der Dichter sich angeeignet, aber was er vor-
bringt, muss auch zum Volksglauben gehört haben: die Aus-
wahl, die Zusammenfügung zum übereinstimmenden Ganzen
wird des Dichters Werk sein. Wäre nicht der homerische
Glaube so geartet, dass er, in seinen wesentlichen Zügen, Volks-
glaube seiner Zeit war oder sein konnte, so wäre auch, trotz
aller Schulüberlieferung, die Uebereinstimmung der vielen, an
den zwei Gedichten thätigen Dichter fast unerklärlich. In
diesem eingeschränkten Sinne kann man sagen, dass Homers
Gedichte uns den Volksglauben wiedererkennen lassen, wie er
zu der Zeit der Gedichte sich gestaltet hatte — nicht überall

zu der Idealhöhe des Olympos erhoben sind, schwächer als die dort oben
wohnenden Götter. Kalypso spricht das resignirt aus, Od. 5, 169 f.: αἴ
κε ϑεοί γ̕ ἐϑέλωσι, τοὶ οὐρανὸν εὐρὺν ἔχουσιν, οἴ μευ φέρτεροί εἰσι νοῆσαί τε
κρῆναί τε. Sie sind zu Gottheiten zweiten Ranges geworden; als unab-
hängig für sich, frei neben dem Reiche des Zeus und der anderen Olym-
pier, zu dem sie nur einen Anhang bilden, stehend, sind sie nirgends
gedacht.
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[37/0053] baren Geister, die aus dem Leben geschieden sind, umfasst: die Parallele ist zu sichtlich, als dass nicht eine gleiche ord- nende und constituirende Thätigkeit hier wie dort angenommen werden sollte. 2. Man würde gleichwohl die Stellung der homerischen Dich- tung zum Volksglauben völlig missverstehen, wenn man sie sich als einen Gegensatz dächte, wenn man auch nur annähme, dass sie der Stellung des Pindar oder der athenischen Tragiker zu den Volksmeinungen ihrer Zeit gleiche. Jene späteren Dichter lassen bewussten Gegensatz ihres geläuterten Denkens zu ver- breiteten Vorstellungen oft genug deutlich merken; Homer dagegen zeigt von Polemik so wenig eine Spur wie von Dog- matik. Wie er seine Vorstellungen von Gott, Welt und Schicksal nicht wie sein besonderes Eigenthum giebt, so wird man auch glauben dürfen, dass in ihnen sein Publicum die eigenen Ansichten wiedererkannte. Nicht Alles, was das Volk glaubte, hat der Dichter sich angeeignet, aber was er vor- bringt, muss auch zum Volksglauben gehört haben: die Aus- wahl, die Zusammenfügung zum übereinstimmenden Ganzen wird des Dichters Werk sein. Wäre nicht der homerische Glaube so geartet, dass er, in seinen wesentlichen Zügen, Volks- glaube seiner Zeit war oder sein konnte, so wäre auch, trotz aller Schulüberlieferung, die Uebereinstimmung der vielen, an den zwei Gedichten thätigen Dichter fast unerklärlich. In diesem eingeschränkten Sinne kann man sagen, dass Homers Gedichte uns den Volksglauben wiedererkennen lassen, wie er zu der Zeit der Gedichte sich gestaltet hatte — nicht überall 1) 1) zu der Idealhöhe des Olympos erhoben sind, schwächer als die dort oben wohnenden Götter. Kalypso spricht das resignirt aus, Od. 5, 169 f.: αἴ κε ϑεοί γ̕ ἐϑέλωσι, τοὶ οὐρανὸν εὐρὺν ἔχουσιν, οἴ μευ φέρτεροί εἰσι νοῆσαί τε κρῆναί τε. Sie sind zu Gottheiten zweiten Ranges geworden; als unab- hängig für sich, frei neben dem Reiche des Zeus und der anderen Olym- pier, zu dem sie nur einen Anhang bilden, stehend, sind sie nirgends gedacht.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/53>, abgerufen am 25.11.2024.