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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Gottesmacht durch, der, unentfliehbar wie das Schicksal 1), die
Thaten und Geschicke der Menschen nach seinen Zwecken
lenkt.

Die Gottheit bringt einen Plan zur Ausführung, in dem
der einzelne Mensch und sein Geschick ihr nur als Werkzeug
dient. Damit das Vorbedachte in dieser planmässigen Leitung
der menschlichen Dinge bemerklich werde, wird mit Voraus-
sagungen der Zukunft, göttlichen Orakelsprüchen und den Ver-
kündigungen der Seher so oft und nachdrücklich in die Hand-
lung eingegriffen. Liegt nun in dem Plan der Gottheit die
verhängnissvolle That, das unverschuldete Leiden des Einzelnen,
so erfüllt sich der Plan, mag dabei des Menschen Glück in
Trümmer gehn, Schmerz, Frevel, Seelenqual und Tod über ihn
hereinbrechen. Das Wohlergehen der Einzelnen kommt nicht in
Betracht, wo die Absicht der über sein kleines Dasein weit
hinaus blickenden Gottheit erfüllt werden soll. Ein reiner
guter naiver Mensch, ohne Falsch und Fehl, wie Philoktet,
wird lange Jahre hindurch allen Qualen preisgegeben, damit
er mit den Wunderwaffen, die er besitzt, nicht vorzeitig in den
Gang der Entwicklung des Krieges um Troja eingreifen
könne 2). Er ist ein unfreiwilliger Märtyrer für das Wohl der
Gesammtheit. Damit in dem, von der Gottheit festgesetzten
Zeitpunkte Herakles aus dem irdischen Leben gelöst werde 3),
muss Deianira, die innigste Frauenseele, die Athens Bühne be-
schritten hat, aus liebendem Herzen dem Geliebten unwissend
furchtbare Todesnoth bereiten und selbst in den Tod gehen.

1) ou gar idois an athron broton ostis an, ei theos agoi, ekphugein dunaito.
O. C. 252. otan de tis theon blapte, dunait an oud an o sthenon phugein.
El. 696 f. aiskhe men, o gunaikes, oud an eis phugoi broton poth o kai Zeus
(als der alles lenkt und bestimmt: El. 175, O. C. 1085) ephormese kaka ;
nosous danagke tas theelatous pherein fr. 619.
2) Phil. 191--200.
3) So ist es durch Orakelspruch längst festgesetzt: 821 ff.; 1159 ff.
Es auszuführen zwingt Deianiren nicht eigentlich Gewalt oder Bethörung,
aber ein dunkler Drang, der ihre reinsten Absichten zum Ueblen umkehrt.
Sie selbst ist völlig schuldlos. emarte khresta momene.

Gottesmacht durch, der, unentfliehbar wie das Schicksal 1), die
Thaten und Geschicke der Menschen nach seinen Zwecken
lenkt.

Die Gottheit bringt einen Plan zur Ausführung, in dem
der einzelne Mensch und sein Geschick ihr nur als Werkzeug
dient. Damit das Vorbedachte in dieser planmässigen Leitung
der menschlichen Dinge bemerklich werde, wird mit Voraus-
sagungen der Zukunft, göttlichen Orakelsprüchen und den Ver-
kündigungen der Seher so oft und nachdrücklich in die Hand-
lung eingegriffen. Liegt nun in dem Plan der Gottheit die
verhängnissvolle That, das unverschuldete Leiden des Einzelnen,
so erfüllt sich der Plan, mag dabei des Menschen Glück in
Trümmer gehn, Schmerz, Frevel, Seelenqual und Tod über ihn
hereinbrechen. Das Wohlergehen der Einzelnen kommt nicht in
Betracht, wo die Absicht der über sein kleines Dasein weit
hinaus blickenden Gottheit erfüllt werden soll. Ein reiner
guter naiver Mensch, ohne Falsch und Fehl, wie Philoktet,
wird lange Jahre hindurch allen Qualen preisgegeben, damit
er mit den Wunderwaffen, die er besitzt, nicht vorzeitig in den
Gang der Entwicklung des Krieges um Troja eingreifen
könne 2). Er ist ein unfreiwilliger Märtyrer für das Wohl der
Gesammtheit. Damit in dem, von der Gottheit festgesetzten
Zeitpunkte Herakles aus dem irdischen Leben gelöst werde 3),
muss Deianira, die innigste Frauenseele, die Athens Bühne be-
schritten hat, aus liebendem Herzen dem Geliebten unwissend
furchtbare Todesnoth bereiten und selbst in den Tod gehen.

1) οὐ γὰρ ἴδοις ἄν ἀϑρῶν βροτὸν ὅστις ἄν, εἰ ϑεὸς ἄγοι, ἐκφυγεῖν δύναιτο.
O. C. 252. ὅταν δέ τις ϑεῶν βλάπτῃ, δύναιτ̕ ἂν οὐδ̕ ἂν ὁ σϑένων φυγεῖν.
El. 696 f. αἴσχη μέν, ὦ γυναῖκες, οὐδ̕ ἂν εἷς φύγοι βροτῶν ποϑ̕ ᾧ καὶ Ζεὺς
(als der alles lenkt und bestimmt: El. 175, O. C. 1085) ἐφορμήσῃ κακά ·
νόσους δ̕ἀνάγκη τὰς ϑεηλάτους φέρειν fr. 619.
2) Phil. 191—200.
3) So ist es durch Orakelspruch längst festgesetzt: 821 ff.; 1159 ff.
Es auszuführen zwingt Deianiren nicht eigentlich Gewalt oder Bethörung,
aber ein dunkler Drang, der ihre reinsten Absichten zum Ueblen umkehrt.
Sie selbst ist völlig schuldlos. ἥμαρτε χρηστὰ μωμένη.
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[528/0544] Gottesmacht durch, der, unentfliehbar wie das Schicksal 1), die Thaten und Geschicke der Menschen nach seinen Zwecken lenkt. Die Gottheit bringt einen Plan zur Ausführung, in dem der einzelne Mensch und sein Geschick ihr nur als Werkzeug dient. Damit das Vorbedachte in dieser planmässigen Leitung der menschlichen Dinge bemerklich werde, wird mit Voraus- sagungen der Zukunft, göttlichen Orakelsprüchen und den Ver- kündigungen der Seher so oft und nachdrücklich in die Hand- lung eingegriffen. Liegt nun in dem Plan der Gottheit die verhängnissvolle That, das unverschuldete Leiden des Einzelnen, so erfüllt sich der Plan, mag dabei des Menschen Glück in Trümmer gehn, Schmerz, Frevel, Seelenqual und Tod über ihn hereinbrechen. Das Wohlergehen der Einzelnen kommt nicht in Betracht, wo die Absicht der über sein kleines Dasein weit hinaus blickenden Gottheit erfüllt werden soll. Ein reiner guter naiver Mensch, ohne Falsch und Fehl, wie Philoktet, wird lange Jahre hindurch allen Qualen preisgegeben, damit er mit den Wunderwaffen, die er besitzt, nicht vorzeitig in den Gang der Entwicklung des Krieges um Troja eingreifen könne 2). Er ist ein unfreiwilliger Märtyrer für das Wohl der Gesammtheit. Damit in dem, von der Gottheit festgesetzten Zeitpunkte Herakles aus dem irdischen Leben gelöst werde 3), muss Deianira, die innigste Frauenseele, die Athens Bühne be- schritten hat, aus liebendem Herzen dem Geliebten unwissend furchtbare Todesnoth bereiten und selbst in den Tod gehen. 1) οὐ γὰρ ἴδοις ἄν ἀϑρῶν βροτὸν ὅστις ἄν, εἰ ϑεὸς ἄγοι, ἐκφυγεῖν δύναιτο. O. C. 252. ὅταν δέ τις ϑεῶν βλάπτῃ, δύναιτ̕ ἂν οὐδ̕ ἂν ὁ σϑένων φυγεῖν. El. 696 f. αἴσχη μέν, ὦ γυναῖκες, οὐδ̕ ἂν εἷς φύγοι βροτῶν ποϑ̕ ᾧ καὶ Ζεὺς (als der alles lenkt und bestimmt: El. 175, O. C. 1085) ἐφορμήσῃ κακά · νόσους δ̕ἀνάγκη τὰς ϑεηλάτους φέρειν fr. 619. 2) Phil. 191—200. 3) So ist es durch Orakelspruch längst festgesetzt: 821 ff.; 1159 ff. Es auszuführen zwingt Deianiren nicht eigentlich Gewalt oder Bethörung, aber ein dunkler Drang, der ihre reinsten Absichten zum Ueblen umkehrt. Sie selbst ist völlig schuldlos. ἥμαρτε χρηστὰ μωμένη.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/544>, abgerufen am 25.11.2024.