Begierde und Unrecht begründet. Er allein freilich wäre der wahre Staatsmann 1), der die Bürger zu ihrem Heil anleiten könnte, nicht als ein Diener ihrer Gelüste, sondern wie ein Arzt, der Kranken hilft 2). Nicht "Häfen und Schiffshäuser und Mauern und Steuern und andere solche Nichtigkeiten" 3) würde er der Stadt zuwege bringen, sondern Gerechtigkeit und Heiligkeit und alles was nach diesem Leben vor dem strengen Gericht im Jenseits bestehen kann 4). Das wäre die beste Art der Lebensführung 5), zu der Er anleiten könnte; alle Macht und Herrlichkeit der Welt verhilft zu ihr nicht; alle die gros- sen Staatsmänner der Vergangenheit, Themistokles und Kimon und Perikles verstanden hievon nichts, ihr Treiben war eine einzige lange Verirrung 6).
Auf der Höhe seines Lebens und Denkens vollendete Plato ein Idealbild des Staates nach den Grundsätzen und Forde- rungen seiner Weisheit. Ueber dem breiten Unterbau eines streng nach Ständen gegliederten Volksthumes, das in sich und den Einrichtungen seines Lebens die Tugend der Gerechtig- keit in weithin leuchtender Erscheinung darstellen sollte, und einst dem Philosophen den ganzen Umkreis des besten Staates voll auszufüllen geschienen hatte, erhebt sich ihm jetzt, in überirdischen Aether hinaufweisend, eine oberste Bekrönung, der alles Untere nur als Träger und zur Ermöglichung ihres Daseins in luftiger Höhe dient. Ein kleiner Ausschuss der
1)Gorg. 521 D. o os alethos kubernetikos: Rep. 6, 488 E. (vgl. auch Meno 99 E. 100 A).
2) Nicht diakonos kai epithumion paraskeuastes, vielmehr ein iatros. Gorg. 518 C; 521 A; vgl. 464 B ff.
3)Gorg. 519 A. phluariai sind ihm alle diese Weltlichkeiten, wie ihm alle Erscheinungen im Reiche des Werdenden nur phluariai sind: Rep. 7, 515 D.
4)Gorg. cap. 78 ff.
5) outos o tropos aristos tou biou Gorg. 527 E (darnach eigentlich, ontina khre tropon zen [500 C] und nicht nach dem Wesen der Retorike wird im Gorgias geforscht, und daher das tiefe Pathos des ganzen Dialogs).
6)Gorg. 515 C ff.; 519 A ff. Summa: oudena emeis ismen andra aga- thon gegonota ta politika en tede te polei. 517 A.
Begierde und Unrecht begründet. Er allein freilich wäre der wahre Staatsmann 1), der die Bürger zu ihrem Heil anleiten könnte, nicht als ein Diener ihrer Gelüste, sondern wie ein Arzt, der Kranken hilft 2). Nicht „Häfen und Schiffshäuser und Mauern und Steuern und andere solche Nichtigkeiten“ 3) würde er der Stadt zuwege bringen, sondern Gerechtigkeit und Heiligkeit und alles was nach diesem Leben vor dem strengen Gericht im Jenseits bestehen kann 4). Das wäre die beste Art der Lebensführung 5), zu der Er anleiten könnte; alle Macht und Herrlichkeit der Welt verhilft zu ihr nicht; alle die gros- sen Staatsmänner der Vergangenheit, Themistokles und Kimon und Perikles verstanden hievon nichts, ihr Treiben war eine einzige lange Verirrung 6).
Auf der Höhe seines Lebens und Denkens vollendete Plato ein Idealbild des Staates nach den Grundsätzen und Forde- rungen seiner Weisheit. Ueber dem breiten Unterbau eines streng nach Ständen gegliederten Volksthumes, das in sich und den Einrichtungen seines Lebens die Tugend der Gerechtig- keit in weithin leuchtender Erscheinung darstellen sollte, und einst dem Philosophen den ganzen Umkreis des besten Staates voll auszufüllen geschienen hatte, erhebt sich ihm jetzt, in überirdischen Aether hinaufweisend, eine oberste Bekrönung, der alles Untere nur als Träger und zur Ermöglichung ihres Daseins in luftiger Höhe dient. Ein kleiner Ausschuss der
1)Gorg. 521 D. ὁ ὡς ἀληϑῶς κυβερνητικός: Rep. 6, 488 E. (vgl. auch Meno 99 E. 100 A).
2) Nicht διάκονος καὶ ἐπιϑυμιῶν παρασκευαστής, vielmehr ein ἰατρός. Gorg. 518 C; 521 A; vgl. 464 B ff.
3)Gorg. 519 A. φλυαρίαι sind ihm alle diese Weltlichkeiten, wie ihm alle Erscheinungen im Reiche des Werdenden nur φλυαρίαι sind: Rep. 7, 515 D.
4)Gorg. cap. 78 ff.
5) οὗτος ὁ τρόπος ἄριστος τοῦ βίου Gorg. 527 E (darnach eigentlich, ὅντινα χρὴ τρόπον ζῆν [500 C] und nicht nach dem Wesen der ῥητορική wird im Γοργίας geforscht, und daher das tiefe Pathos des ganzen Dialogs).
6)Gorg. 515 C ff.; 519 A ff. Summa: οὐδένα ἡμεῖς ἴσμεν ἄνδρα ἀγα- ϑὸν γεγονότα τὰ πολιτικὰ ἐν τῇδε τῇ πόλει. 517 A.
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Begierde und Unrecht begründet. Er allein freilich wäre der
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Arzt, der Kranken hilft 2). Nicht „Häfen und Schiffshäuser
und Mauern und Steuern und andere solche Nichtigkeiten“ 3)
würde er der Stadt zuwege bringen, sondern Gerechtigkeit und
Heiligkeit und alles was nach diesem Leben vor dem strengen
Gericht im Jenseits bestehen kann 4). Das wäre die beste Art
der Lebensführung 5), zu der Er anleiten könnte; alle Macht
und Herrlichkeit der Welt verhilft zu ihr nicht; alle die gros-
sen Staatsmänner der Vergangenheit, Themistokles und Kimon
und Perikles verstanden hievon nichts, ihr Treiben war eine
einzige lange Verirrung 6).
Auf der Höhe seines Lebens und Denkens vollendete Plato
ein Idealbild des Staates nach den Grundsätzen und Forde-
rungen seiner Weisheit. Ueber dem breiten Unterbau eines
streng nach Ständen gegliederten Volksthumes, das in sich und
den Einrichtungen seines Lebens die Tugend der Gerechtig-
keit in weithin leuchtender Erscheinung darstellen sollte, und
einst dem Philosophen den ganzen Umkreis des besten Staates
voll auszufüllen geschienen hatte, erhebt sich ihm jetzt, in
überirdischen Aether hinaufweisend, eine oberste Bekrönung,
der alles Untere nur als Träger und zur Ermöglichung ihres
Daseins in luftiger Höhe dient. Ein kleiner Ausschuss der
1) Gorg. 521 D. ὁ ὡς ἀληϑῶς κυβερνητικός: Rep. 6, 488 E. (vgl.
auch Meno 99 E. 100 A).
2) Nicht διάκονος καὶ ἐπιϑυμιῶν παρασκευαστής, vielmehr ein ἰατρός.
Gorg. 518 C; 521 A; vgl. 464 B ff.
3) Gorg. 519 A. φλυαρίαι sind ihm alle diese Weltlichkeiten, wie
ihm alle Erscheinungen im Reiche des Werdenden nur φλυαρίαι sind:
Rep. 7, 515 D.
4) Gorg. cap. 78 ff.
5) οὗτος ὁ τρόπος ἄριστος τοῦ βίου Gorg. 527 E (darnach eigentlich,
ὅντινα χρὴ τρόπον ζῆν [500 C] und nicht nach dem Wesen der ῥητορική
wird im Γοργίας geforscht, und daher das tiefe Pathos des ganzen Dialogs).
6) Gorg. 515 C ff.; 519 A ff. Summa: οὐδένα ἡμεῖς ἴσμεν ἄνδρα ἀγα-
ϑὸν γεγονότα τὰ πολιτικὰ ἐν τῇδε τῇ πόλει. 517 A.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/599>, abgerufen am 17.06.2024.
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