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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Die Voraussetzung alles Seelencultes, dass an der Stätte
ihrer letzten Wohnung die Seele wenigstens in dumpfem Grabes-
leben fortdauere, ist durchaus verbreitet. Sie spricht, mit an-
tiker Naivetät, zu uns noch aus der ungezählten Menge der
Grabsteine, auf denen der Todte, als menschlichen Laut noch
vernehmend und verstehend, mit dem üblichen Worte des
Grusses angeredet wird 1). Aber auch ihm selbst wird bis-
weilen ein ähnlicher Gruss an die Vorbeigehenden in den Mund
gelegt 2). Und es entspinnt sich wohl zwischen ihm, der hier
festgebannt ist, und den noch im Lichte Wandelnden ein Zwie-
gespräch 3). Noch ist dem Todten nicht aller Zusammenhang
mit der Oberwelt abgeschnitten. Es ist ihm eine Erquickung,
wenn ihm sein Name, den er einst im Leben führte, den jetzt
nur sein Leichenstein noch dem Gedächtniss aufbewahrt, zu-
gerufen wird. Die Mitbürger rufen wohl bei der Bestattung
ihm dreimal den Namen nach 4). Aber auch im Grabe ver-

Genossenschaft stiftet Einer eine Summe, damit sie jährlich ihm zum
Gedächtniss eine euokhia halte, mit oinoposia, Lichtern und Kränzen: 3028
(Ephesus). Zu einem jährlichen Gedächtnissfest an seiner genethlios emera
(als dem richtigen Todtenfesttag: s. oben p. 215, 2): 3417 (Philadelphia
in Lydien). Weit grossartiger scheint eine Stiftung in Elatea (Bull. corresp.
hellen.
10, 382) gedacht zu sein: in der von dem Opfer eines Stiers, einer
euokhia, einem agon die Rede ist.
1) Dies khaire wiederholt den letzten Gruss mit dem man die Leiche
aus dem Hause entlässt (Eurip. Alcest. 620 f.). khaire moi o Patrokle kai
ein Aidao domoisin ruft schon Achill (Il. 23, 179) dem auf dem Scheiter-
haufen liegenden Freunde zu. Auf Leichensteinen soll das khaire jeden-
falls auch die dauernde Theilnahme der Nachgebliebenen und das
Empfinden dieser Theilnahme von Seiten des Todten bezeichnen. Oder
gar auch die Verehrung des Abgeschiedenen als eines kreitton? Auch
Götter und Heroen redet man ja so an. khair anax Eraklees u. dgl. --
Der Wanderer ruft khaire: khairete eroes. o paragon se aspazetai. Athen.
Mittheil.
9, 263. Vgl. Kaib. ep. lap. 218, 17. 18. 237, 7. 8.
2) khairete sagt der Todte zu den Ueberlebenden. Böckh zu C. I. Gr.
3775 (II p. 968) khaireto o anagnous I. Gr. Sic. et It. 350.
3) khairete eroes. khaire kai su kai euodei. C. I. Gr. 1956 (dort
mehr bei Böckh II p. 50; s. auch zu 3278). Inscr. of Cos 343. I. Gr.
Sic. et It.
60. 319.
4) Einer von Stadtwegen Begrabenen epeboase -- beim Begräbniss
-- o damos tris to onoma autas. Collitz, Dialektins. 3504 (Knidos; unter

Die Voraussetzung alles Seelencultes, dass an der Stätte
ihrer letzten Wohnung die Seele wenigstens in dumpfem Grabes-
leben fortdauere, ist durchaus verbreitet. Sie spricht, mit an-
tiker Naivetät, zu uns noch aus der ungezählten Menge der
Grabsteine, auf denen der Todte, als menschlichen Laut noch
vernehmend und verstehend, mit dem üblichen Worte des
Grusses angeredet wird 1). Aber auch ihm selbst wird bis-
weilen ein ähnlicher Gruss an die Vorbeigehenden in den Mund
gelegt 2). Und es entspinnt sich wohl zwischen ihm, der hier
festgebannt ist, und den noch im Lichte Wandelnden ein Zwie-
gespräch 3). Noch ist dem Todten nicht aller Zusammenhang
mit der Oberwelt abgeschnitten. Es ist ihm eine Erquickung,
wenn ihm sein Name, den er einst im Leben führte, den jetzt
nur sein Leichenstein noch dem Gedächtniss aufbewahrt, zu-
gerufen wird. Die Mitbürger rufen wohl bei der Bestattung
ihm dreimal den Namen nach 4). Aber auch im Grabe ver-

Genossenschaft stiftet Einer eine Summe, damit sie jährlich ihm zum
Gedächtniss eine εὐωχία halte, mit οἰνοποσία, Lichtern und Kränzen: 3028
(Ephesus). Zu einem jährlichen Gedächtnissfest an seiner γενέϑλιος ἡμέρα
(als dem richtigen Todtenfesttag: s. oben p. 215, 2): 3417 (Philadelphia
in Lydien). Weit grossartiger scheint eine Stiftung in Elatea (Bull. corresp.
hellén.
10, 382) gedacht zu sein: in der von dem Opfer eines Stiers, einer
εὐωχία, einem ἀγών die Rede ist.
1) Dies χαῖρε wiederholt den letzten Gruss mit dem man die Leiche
aus dem Hause entlässt (Eurip. Alcest. 620 f.). χαῖρέ μοι ὦ Πάτροκλε καὶ
εἰν Ἀΐδαο δόμοισιν ruft schon Achill (Il. 23, 179) dem auf dem Scheiter-
haufen liegenden Freunde zu. Auf Leichensteinen soll das χαῖρε jeden-
falls auch die dauernde Theilnahme der Nachgebliebenen und das
Empfinden dieser Theilnahme von Seiten des Todten bezeichnen. Oder
gar auch die Verehrung des Abgeschiedenen als eines κρείττων? Auch
Götter und Heroen redet man ja so an. χαῖρ̕ ἄναξ Ἡράκλεες u. dgl. —
Der Wanderer ruft χαῖρε: χαίρετε ἥρωες. ὁ παράγων σε ἀσπάζεται. Athen.
Mittheil.
9, 263. Vgl. Kaib. ep. lap. 218, 17. 18. 237, 7. 8.
2) χαίρετε sagt der Todte zu den Ueberlebenden. Böckh zu C. I. Gr.
3775 (II p. 968) χαιρέτω ὁ ἀναγνούς I. Gr. Sic. et It. 350.
3) χαίρετε ἥρωες. χαῖρε καὶ σὺ καὶ εὐόδει. C. I. Gr. 1956 (dort
mehr bei Böckh II p. 50; s. auch zu 3278). Inscr. of Cos 343. I. Gr.
Sic. et It.
60. 319.
4) Einer von Stadtwegen Begrabenen ἐπεβόασε — beim Begräbniss
— ὁ δᾶμος τρὶς τὸ ὄνομα αὐτᾶς. Collitz, Dialektins. 3504 (Knidos; unter
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[634/0650] Die Voraussetzung alles Seelencultes, dass an der Stätte ihrer letzten Wohnung die Seele wenigstens in dumpfem Grabes- leben fortdauere, ist durchaus verbreitet. Sie spricht, mit an- tiker Naivetät, zu uns noch aus der ungezählten Menge der Grabsteine, auf denen der Todte, als menschlichen Laut noch vernehmend und verstehend, mit dem üblichen Worte des Grusses angeredet wird 1). Aber auch ihm selbst wird bis- weilen ein ähnlicher Gruss an die Vorbeigehenden in den Mund gelegt 2). Und es entspinnt sich wohl zwischen ihm, der hier festgebannt ist, und den noch im Lichte Wandelnden ein Zwie- gespräch 3). Noch ist dem Todten nicht aller Zusammenhang mit der Oberwelt abgeschnitten. Es ist ihm eine Erquickung, wenn ihm sein Name, den er einst im Leben führte, den jetzt nur sein Leichenstein noch dem Gedächtniss aufbewahrt, zu- gerufen wird. Die Mitbürger rufen wohl bei der Bestattung ihm dreimal den Namen nach 4). Aber auch im Grabe ver- 5) 1) Dies χαῖρε wiederholt den letzten Gruss mit dem man die Leiche aus dem Hause entlässt (Eurip. Alcest. 620 f.). χαῖρέ μοι ὦ Πάτροκλε καὶ εἰν Ἀΐδαο δόμοισιν ruft schon Achill (Il. 23, 179) dem auf dem Scheiter- haufen liegenden Freunde zu. Auf Leichensteinen soll das χαῖρε jeden- falls auch die dauernde Theilnahme der Nachgebliebenen und das Empfinden dieser Theilnahme von Seiten des Todten bezeichnen. Oder gar auch die Verehrung des Abgeschiedenen als eines κρείττων? Auch Götter und Heroen redet man ja so an. χαῖρ̕ ἄναξ Ἡράκλεες u. dgl. — Der Wanderer ruft χαῖρε: χαίρετε ἥρωες. ὁ παράγων σε ἀσπάζεται. Athen. Mittheil. 9, 263. Vgl. Kaib. ep. lap. 218, 17. 18. 237, 7. 8. 2) χαίρετε sagt der Todte zu den Ueberlebenden. Böckh zu C. I. Gr. 3775 (II p. 968) χαιρέτω ὁ ἀναγνούς I. Gr. Sic. et It. 350. 3) χαίρετε ἥρωες. χαῖρε καὶ σὺ καὶ εὐόδει. C. I. Gr. 1956 (dort mehr bei Böckh II p. 50; s. auch zu 3278). Inscr. of Cos 343. I. Gr. Sic. et It. 60. 319. 4) Einer von Stadtwegen Begrabenen ἐπεβόασε — beim Begräbniss — ὁ δᾶμος τρὶς τὸ ὄνομα αὐτᾶς. Collitz, Dialektins. 3504 (Knidos; unter 5) Genossenschaft stiftet Einer eine Summe, damit sie jährlich ihm zum Gedächtniss eine εὐωχία halte, mit οἰνοποσία, Lichtern und Kränzen: 3028 (Ephesus). Zu einem jährlichen Gedächtnissfest an seiner γενέϑλιος ἡμέρα (als dem richtigen Todtenfesttag: s. oben p. 215, 2): 3417 (Philadelphia in Lydien). Weit grossartiger scheint eine Stiftung in Elatea (Bull. corresp. hellén. 10, 382) gedacht zu sein: in der von dem Opfer eines Stiers, einer εὐωχία, einem ἀγών die Rede ist.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/650>, abgerufen am 22.11.2024.