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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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der Cult dargebracht der ihm gebührte nach den besonderen
Festsetzungen alter heiliger Stiftung. Man war weit entfernt
von der verwaschenen Vorstellung, die einzelne Litteraten aus-
sprechen, dass als "Heroen" ohne weiteres zu gelten haben
alle wackeren Männer der Vorzeit, oder alle bedeutenden
Menschen irgend einer Zeit 1). Denn die Vorstellung erhielt
sich im Bewusstsein, dass das Aufsteigen zu heroischer Würde
nicht ein Vorgang sei, der sich für irgend eine Klasse von
Menschen ganz von selbst verstehe, sondern jedesmal, wo er
eintrete, Bestätigung ganz besonderer schon im Leben bethä-
tigter Kraft und Tugend sei. Aus dieser Vorstellung heraus hat
man noch in hellenistischer Zeit die Schaaren der Heroen ver-
mehrt um die Helden der eigenen Gegenwart. Wie nicht lange
zuvor Pelopidas, Timoleon, so stiegen nun in die Heroenglorie
empor die Gestalten des Leosthenes, Kleomenes, Philopoemen 2).
Selbst dem Arat, der Fleisch gewordenen Nüchternheit einer
überverständigen Zeit, traute, nach dem Ende seines, dem
Vaterlande innig, wenn auch ohne dauernden Erfolg gewid-
meten Lebens, sein Volk geheimnissvollen Uebergang in heroische
Halbgöttlichkeit zu 3).

Wie hier ganze Volksstämme, so haben auch wohl engere
und selbst gering geachtete Kreise noch in dieser rationalisti-
schen Zeit ihre Helfer und Schützer zu Heroen erhoben und als

1) pantes eroas nomizousi tous sphodra palaious andras, kai ean meden
exaireton ekhosi, di auton oimai ton khronon. Allerdings nur einige von
ihnen haben auch förmliche teletas eroon. Dio Chrys. or. 31, p. 610.
Omnes qui patriam conservarint, adiuverint, auxerint werden unsterblich.
Cic. Somn. Scip. 3. Das ist auch zuviel behauptet.
2) Pelopidas, Timoleon, Leosthenes, Arat heroisirt: s. Keil, Anal.
epigr. et onomatol.
p. 50--54. Kleomenes: Plut. Cleom. 39. Philopoemen:
Plut. Philop. 21. isotheoi timai, jährliches Stieropfer und Preislieder auf
Phil., gesungen von den neoi: Diodor. 29, 18, Liv. 39, 50, 9. Dittenb.
Syll. 210. S. Keil a. O. p. 9 ff.
3) In Sikyon galt Arat als Sohn des Asklepios, der als Schlange
seiner Mutter Aristodama genaht sei. Paus. 2, 10, 3; 4, 14. 7. 8. (be-
liebte Form einer Fabel von göttlicher Abstammung. Marx, Märchen
v. dankb. Thieren
122, 2).
41*

der Cult dargebracht der ihm gebührte nach den besonderen
Festsetzungen alter heiliger Stiftung. Man war weit entfernt
von der verwaschenen Vorstellung, die einzelne Litteraten aus-
sprechen, dass als „Heroen“ ohne weiteres zu gelten haben
alle wackeren Männer der Vorzeit, oder alle bedeutenden
Menschen irgend einer Zeit 1). Denn die Vorstellung erhielt
sich im Bewusstsein, dass das Aufsteigen zu heroischer Würde
nicht ein Vorgang sei, der sich für irgend eine Klasse von
Menschen ganz von selbst verstehe, sondern jedesmal, wo er
eintrete, Bestätigung ganz besonderer schon im Leben bethä-
tigter Kraft und Tugend sei. Aus dieser Vorstellung heraus hat
man noch in hellenistischer Zeit die Schaaren der Heroen ver-
mehrt um die Helden der eigenen Gegenwart. Wie nicht lange
zuvor Pelopidas, Timoleon, so stiegen nun in die Heroenglorie
empor die Gestalten des Leosthenes, Kleomenes, Philopoemen 2).
Selbst dem Arat, der Fleisch gewordenen Nüchternheit einer
überverständigen Zeit, traute, nach dem Ende seines, dem
Vaterlande innig, wenn auch ohne dauernden Erfolg gewid-
meten Lebens, sein Volk geheimnissvollen Uebergang in heroische
Halbgöttlichkeit zu 3).

Wie hier ganze Volksstämme, so haben auch wohl engere
und selbst gering geachtete Kreise noch in dieser rationalisti-
schen Zeit ihre Helfer und Schützer zu Heroen erhoben und als

1) πάντες ἥρωας νομίζουσι τοὺς σφόδρα παλαιοὺς ἄνδρας, καὶ ἐὰν μηδὲν
ἐξαίρετον ἔχωσι, δι̕ αὐτὸν οἶμαι τὸν χρόνον. Allerdings nur einige von
ihnen haben auch förmliche τελετὰς ἡρώων. Dio Chrys. or. 31, p. 610.
Omnes qui patriam conservarint, adiuverint, auxerint werden unsterblich.
Cic. Somn. Scip. 3. Das ist auch zuviel behauptet.
2) Pelopidas, Timoleon, Leosthenes, Arat heroisirt: s. Keil, Anal.
epigr. et onomatol.
p. 50—54. Kleomenes: Plut. Cleom. 39. Philopoemen:
Plut. Philop. 21. ἰσόϑεοι τιμαί, jährliches Stieropfer und Preislieder auf
Phil., gesungen von den νέοι: Diodor. 29, 18, Liv. 39, 50, 9. Dittenb.
Syll. 210. S. Keil a. O. p. 9 ff.
3) In Sikyon galt Arat als Sohn des Asklepios, der als Schlange
seiner Mutter Aristodama genaht sei. Paus. 2, 10, 3; 4, 14. 7. 8. (be-
liebte Form einer Fabel von göttlicher Abstammung. Marx, Märchen
v. dankb. Thieren
122, 2).
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[643/0659] der Cult dargebracht der ihm gebührte nach den besonderen Festsetzungen alter heiliger Stiftung. Man war weit entfernt von der verwaschenen Vorstellung, die einzelne Litteraten aus- sprechen, dass als „Heroen“ ohne weiteres zu gelten haben alle wackeren Männer der Vorzeit, oder alle bedeutenden Menschen irgend einer Zeit 1). Denn die Vorstellung erhielt sich im Bewusstsein, dass das Aufsteigen zu heroischer Würde nicht ein Vorgang sei, der sich für irgend eine Klasse von Menschen ganz von selbst verstehe, sondern jedesmal, wo er eintrete, Bestätigung ganz besonderer schon im Leben bethä- tigter Kraft und Tugend sei. Aus dieser Vorstellung heraus hat man noch in hellenistischer Zeit die Schaaren der Heroen ver- mehrt um die Helden der eigenen Gegenwart. Wie nicht lange zuvor Pelopidas, Timoleon, so stiegen nun in die Heroenglorie empor die Gestalten des Leosthenes, Kleomenes, Philopoemen 2). Selbst dem Arat, der Fleisch gewordenen Nüchternheit einer überverständigen Zeit, traute, nach dem Ende seines, dem Vaterlande innig, wenn auch ohne dauernden Erfolg gewid- meten Lebens, sein Volk geheimnissvollen Uebergang in heroische Halbgöttlichkeit zu 3). Wie hier ganze Volksstämme, so haben auch wohl engere und selbst gering geachtete Kreise noch in dieser rationalisti- schen Zeit ihre Helfer und Schützer zu Heroen erhoben und als 1) πάντες ἥρωας νομίζουσι τοὺς σφόδρα παλαιοὺς ἄνδρας, καὶ ἐὰν μηδὲν ἐξαίρετον ἔχωσι, δι̕ αὐτὸν οἶμαι τὸν χρόνον. Allerdings nur einige von ihnen haben auch förmliche τελετὰς ἡρώων. Dio Chrys. or. 31, p. 610. Omnes qui patriam conservarint, adiuverint, auxerint werden unsterblich. Cic. Somn. Scip. 3. Das ist auch zuviel behauptet. 2) Pelopidas, Timoleon, Leosthenes, Arat heroisirt: s. Keil, Anal. epigr. et onomatol. p. 50—54. Kleomenes: Plut. Cleom. 39. Philopoemen: Plut. Philop. 21. ἰσόϑεοι τιμαί, jährliches Stieropfer und Preislieder auf Phil., gesungen von den νέοι: Diodor. 29, 18, Liv. 39, 50, 9. Dittenb. Syll. 210. S. Keil a. O. p. 9 ff. 3) In Sikyon galt Arat als Sohn des Asklepios, der als Schlange seiner Mutter Aristodama genaht sei. Paus. 2, 10, 3; 4, 14. 7. 8. (be- liebte Form einer Fabel von göttlicher Abstammung. Marx, Märchen v. dankb. Thieren 122, 2). 41*

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/659>, abgerufen am 16.06.2024.