Ursache und Folge. Was im Laufe der Naturentwicklung, von dem Einen ausstrahlend, ihm immer ferner tritt, bis zur Dunkelheit und Verderbtheit der Materie, das wendet sich, im Menschenwesen angelangt, in Ethik und Religion mit Be- wusstsein wieder zurück zu dem Einen, unverlierbar Reinen und Ewigen. Das Göttliche steigt nicht hernieder; der Mensch muss zu göttlicher Höhe und Ferne hinaufstreben, um sich zu vereinigen mit dem Einen vor aller Vielheit. Die Vereinigung kann erreicht werden im reinen Denken des Menschengeistes, und darüber hinaus in dem geheimnissvollen Zusammenklang des Einzellebendigen mit dem Ersten, dem Uebervernünftigen, in der Ekstase, die höher ist als alle Vernunft. Sie kann er- reicht werden nach Ablauf der Kette der Wiedergeburten, an deren Ende die reine Seele, das Göttliche im Menschen, ein- tritt in die Göttlichkeit des All 1).
Flucht aus der Welt, nicht ein, das Bessere schaffendes Wirken in der Welt lehrt und fordert diese letzte griechische Philosophie. Aus allem getheilten, einzeln bestimmten Sein strebt die Seele hinaus, hinüber zu dem ungebrochenen Lichte gött- licher Lebenseinheit. Die Welt, diese sichtbare Körperwelt, ist schön, sagt uns Plotin, denn sie ist das Werk und Abbild des in ihr nach seiner Wirkung anwesenden höchsten Gött- lichen. Ein letzter Sonnenblick des untergehenden Griechen- sinnes bricht in den Worten hervor, mit denen er den christ- lich-gnostischen Welthass abweist 2). Das Hässliche, sagt Plo- tin, ist so Gott wie der Natur fremd und zuwider 3). Aber im Reiche gestalteter Schönheit mag doch die Seele nicht mehr verweilen 4). Sie ist sich ihrer Herkunft aus dem Uebersinn-
1) ai exo tou aisthetou genomenai (psukhai): Plotin. 15, 6. Im Tode anagein to en emin theion pros to en to panti theion Porphyr. V. Plot. 2. Rückkehr eis patrida: Plotin. 5, 1.
2) XXX; namentlich § 16 ff.
3) to men gar aiskhron enantion kai te phusei kai to theo 44, 1.
4) Flucht von dem en somati kallos zu den tes psukhes kalle u. s. w.: 5, 2. Auch in der schönen Abh. p. tou kalou, I, § 8. Doch noch in einem ganz anderen Sinne als Plato (Symp.) von dem Aufsteigen von
Rohde, Seelencult. 44
Ursache und Folge. Was im Laufe der Naturentwicklung, von dem Einen ausstrahlend, ihm immer ferner tritt, bis zur Dunkelheit und Verderbtheit der Materie, das wendet sich, im Menschenwesen angelangt, in Ethik und Religion mit Be- wusstsein wieder zurück zu dem Einen, unverlierbar Reinen und Ewigen. Das Göttliche steigt nicht hernieder; der Mensch muss zu göttlicher Höhe und Ferne hinaufstreben, um sich zu vereinigen mit dem Einen vor aller Vielheit. Die Vereinigung kann erreicht werden im reinen Denken des Menschengeistes, und darüber hinaus in dem geheimnissvollen Zusammenklang des Einzellebendigen mit dem Ersten, dem Uebervernünftigen, in der Ekstase, die höher ist als alle Vernunft. Sie kann er- reicht werden nach Ablauf der Kette der Wiedergeburten, an deren Ende die reine Seele, das Göttliche im Menschen, ein- tritt in die Göttlichkeit des All 1).
Flucht aus der Welt, nicht ein, das Bessere schaffendes Wirken in der Welt lehrt und fordert diese letzte griechische Philosophie. Aus allem getheilten, einzeln bestimmten Sein strebt die Seele hinaus, hinüber zu dem ungebrochenen Lichte gött- licher Lebenseinheit. Die Welt, diese sichtbare Körperwelt, ist schön, sagt uns Plotin, denn sie ist das Werk und Abbild des in ihr nach seiner Wirkung anwesenden höchsten Gött- lichen. Ein letzter Sonnenblick des untergehenden Griechen- sinnes bricht in den Worten hervor, mit denen er den christ- lich-gnostischen Welthass abweist 2). Das Hässliche, sagt Plo- tin, ist so Gott wie der Natur fremd und zuwider 3). Aber im Reiche gestalteter Schönheit mag doch die Seele nicht mehr verweilen 4). Sie ist sich ihrer Herkunft aus dem Uebersinn-
4) Flucht von dem ἐν σώματι κάλλος zu den τῆς ψυχῆς κάλλη u. s. w.: 5, 2. Auch in der schönen Abh. π. τοῦ καλοῦ, I, § 8. Doch noch in einem ganz anderen Sinne als Plato (Symp.) von dem Aufsteigen von
Rohde, Seelencult. 44
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Ursache und Folge. Was im Laufe der Naturentwicklung,
von dem Einen ausstrahlend, ihm immer ferner tritt, bis zur
Dunkelheit und Verderbtheit der Materie, das wendet sich,
im Menschenwesen angelangt, in Ethik und Religion mit Be-
wusstsein wieder zurück zu dem Einen, unverlierbar Reinen
und Ewigen. Das Göttliche steigt nicht hernieder; der Mensch
muss zu göttlicher Höhe und Ferne hinaufstreben, um sich zu
vereinigen mit dem Einen vor aller Vielheit. Die Vereinigung
kann erreicht werden im reinen Denken des Menschengeistes,
und darüber hinaus in dem geheimnissvollen Zusammenklang
des Einzellebendigen mit dem Ersten, dem Uebervernünftigen,
in der Ekstase, die höher ist als alle Vernunft. Sie kann er-
reicht werden nach Ablauf der Kette der Wiedergeburten, an
deren Ende die reine Seele, das Göttliche im Menschen, ein-
tritt in die Göttlichkeit des All 1).
Flucht aus der Welt, nicht ein, das Bessere schaffendes
Wirken in der Welt lehrt und fordert diese letzte griechische
Philosophie. Aus allem getheilten, einzeln bestimmten Sein strebt
die Seele hinaus, hinüber zu dem ungebrochenen Lichte gött-
licher Lebenseinheit. Die Welt, diese sichtbare Körperwelt,
ist schön, sagt uns Plotin, denn sie ist das Werk und Abbild
des in ihr nach seiner Wirkung anwesenden höchsten Gött-
lichen. Ein letzter Sonnenblick des untergehenden Griechen-
sinnes bricht in den Worten hervor, mit denen er den christ-
lich-gnostischen Welthass abweist 2). Das Hässliche, sagt Plo-
tin, ist so Gott wie der Natur fremd und zuwider 3). Aber
im Reiche gestalteter Schönheit mag doch die Seele nicht mehr
verweilen 4). Sie ist sich ihrer Herkunft aus dem Uebersinn-
1) αἱ ἔξω τοῦ αἰσϑητοῦ γενόμεναι (ψυχαί): Plotin. 15, 6. Im Tode
ἀνάγειν τὸ ἐν ἡμῖν ϑεῖον πρὸς τὸ ἐν τῷ παντὶ ϑεῖον Porphyr. V. Plot. 2.
Rückkehr εἰς πατρίδα: Plotin. 5, 1.
2) XXX; namentlich § 16 ff.
3) τὸ μὲν γὰρ αἰσχρὸν ἐναντίον καὶ τῇ φύσει καὶ τῷ ϑεῷ 44, 1.
4) Flucht von dem ἐν σώματι κάλλος zu den τῆς ψυχῆς κάλλη u. s.
w.: 5, 2. Auch in der schönen Abh. π. τοῦ καλοῦ, I, § 8. Doch noch
in einem ganz anderen Sinne als Plato (Symp.) von dem Aufsteigen von
Rohde, Seelencult. 44
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/705>, abgerufen am 24.11.2024.
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