in der auch ihnen verliehenen Endlosigkeit bewussten Lebens; aber von göttlicher Macht ist ihnen nichts verliehen 1), ihnen nicht mehr als den Bewohnern des Erebos, deren Loos im Uebrigen von dem ihrigen so verschieden ist. Man darf daher auch nicht etwa glauben, dass der Grund für die Sagen von Erhöhung einzelner Helden über ihre Genossen durch die Ver- setzung in ein fernes Wonneland durch einen Cult gegeben worden sei, der diesen Einzelnen an ihren ehemaligen irdischen Wohnplätzen gewidmet worden wäre. Jeder Cult ist die Ver- ehrung eines Wirksamen; die als wirksam verehrten Landes- heroen hätte kein Volksglaube, keine Dichterphantasie in un- erreichbarer Ferne angesiedelt.
Es ist freie Dichterthätigkeit, die diese letzte Zufluchts- stätte menschlicher Hoffnung auf der elysischen Flur geschaffen und ausgeschmückt hat, und poetische, nicht religiöse Bedürf- nisse sind es, denen diese Schöpfung zunächst genügen sollte.
Das jüngere der zwei homerischen Epen steht dem heroi- schen, nur in rastloser Bethätigung lebendiger Kraft sich ge- nügenden Sinne der Ilias schon ferner. Anders mag die Stim- mung der Eroberer eines neuen Heimathlandes an der asiatischen Küste gewesen sein, anders die der zu ruhigem Besitze und ungestörtem Genusse des Errungenen Gelangten: es ist als ob die Odyssee die Sinnesart und die Wünsche der ionischen Stadt- bürger dieser späteren Zeit wiederspiegelte. Ein ruheseliger Geist zieht wie in einer Unterströmung durch das ganze Ge- dicht, und hat sich inmitten der bewegten Handlung überall seine Erholungsstätten geschaffen. Wo die Wünsche des Dichters rechte Gestalt gewinnen, da zeigen sie uns Bilder idyllisch sich im Genuss der Gegenwart genügender Zustände, glänzender im Phäakenlande, froh beschränkter auf dem Hofe des Eumäos, Scenen friedsamen Ausruhens nach den nur noch in behaglicher
als "Fährleute des Todes" mit Elysium in irgend einer Verbindung ge- standen hätten, ist nichts als eine haltlose Phantasie.
1) Wer athanasia hat, besitzt darum noch nicht nothwendig auch dunamin isotheon (Isokrates 10, 61).
in der auch ihnen verliehenen Endlosigkeit bewussten Lebens; aber von göttlicher Macht ist ihnen nichts verliehen 1), ihnen nicht mehr als den Bewohnern des Erebos, deren Loos im Uebrigen von dem ihrigen so verschieden ist. Man darf daher auch nicht etwa glauben, dass der Grund für die Sagen von Erhöhung einzelner Helden über ihre Genossen durch die Ver- setzung in ein fernes Wonneland durch einen Cult gegeben worden sei, der diesen Einzelnen an ihren ehemaligen irdischen Wohnplätzen gewidmet worden wäre. Jeder Cult ist die Ver- ehrung eines Wirksamen; die als wirksam verehrten Landes- heroen hätte kein Volksglaube, keine Dichterphantasie in un- erreichbarer Ferne angesiedelt.
Es ist freie Dichterthätigkeit, die diese letzte Zufluchts- stätte menschlicher Hoffnung auf der elysischen Flur geschaffen und ausgeschmückt hat, und poetische, nicht religiöse Bedürf- nisse sind es, denen diese Schöpfung zunächst genügen sollte.
Das jüngere der zwei homerischen Epen steht dem heroi- schen, nur in rastloser Bethätigung lebendiger Kraft sich ge- nügenden Sinne der Ilias schon ferner. Anders mag die Stim- mung der Eroberer eines neuen Heimathlandes an der asiatischen Küste gewesen sein, anders die der zu ruhigem Besitze und ungestörtem Genusse des Errungenen Gelangten: es ist als ob die Odyssee die Sinnesart und die Wünsche der ionischen Stadt- bürger dieser späteren Zeit wiederspiegelte. Ein ruheseliger Geist zieht wie in einer Unterströmung durch das ganze Ge- dicht, und hat sich inmitten der bewegten Handlung überall seine Erholungsstätten geschaffen. Wo die Wünsche des Dichters rechte Gestalt gewinnen, da zeigen sie uns Bilder idyllisch sich im Genuss der Gegenwart genügender Zustände, glänzender im Phäakenlande, froh beschränkter auf dem Hofe des Eumäos, Scenen friedsamen Ausruhens nach den nur noch in behaglicher
als „Fährleute des Todes“ mit Elysium in irgend einer Verbindung ge- standen hätten, ist nichts als eine haltlose Phantasie.
1) Wer ἀϑανασία hat, besitzt darum noch nicht nothwendig auch δύναμιν ἰσόϑεον (Isokrates 10, 61).
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in der auch ihnen verliehenen Endlosigkeit bewussten Lebens;
aber von göttlicher Macht ist ihnen nichts verliehen 1), ihnen
nicht mehr als den Bewohnern des Erebos, deren Loos im
Uebrigen von dem ihrigen so verschieden ist. Man darf daher
auch nicht etwa glauben, dass der Grund für die Sagen von
Erhöhung einzelner Helden über ihre Genossen durch die Ver-
setzung in ein fernes Wonneland durch einen Cult gegeben
worden sei, der diesen Einzelnen an ihren ehemaligen irdischen
Wohnplätzen gewidmet worden wäre. Jeder Cult ist die Ver-
ehrung eines Wirksamen; die als wirksam verehrten Landes-
heroen hätte kein Volksglaube, keine Dichterphantasie in un-
erreichbarer Ferne angesiedelt.
Es ist freie Dichterthätigkeit, die diese letzte Zufluchts-
stätte menschlicher Hoffnung auf der elysischen Flur geschaffen
und ausgeschmückt hat, und poetische, nicht religiöse Bedürf-
nisse sind es, denen diese Schöpfung zunächst genügen sollte.
Das jüngere der zwei homerischen Epen steht dem heroi-
schen, nur in rastloser Bethätigung lebendiger Kraft sich ge-
nügenden Sinne der Ilias schon ferner. Anders mag die Stim-
mung der Eroberer eines neuen Heimathlandes an der asiatischen
Küste gewesen sein, anders die der zu ruhigem Besitze und
ungestörtem Genusse des Errungenen Gelangten: es ist als ob
die Odyssee die Sinnesart und die Wünsche der ionischen Stadt-
bürger dieser späteren Zeit wiederspiegelte. Ein ruheseliger
Geist zieht wie in einer Unterströmung durch das ganze Ge-
dicht, und hat sich inmitten der bewegten Handlung überall
seine Erholungsstätten geschaffen. Wo die Wünsche des Dichters
rechte Gestalt gewinnen, da zeigen sie uns Bilder idyllisch sich
im Genuss der Gegenwart genügender Zustände, glänzender
im Phäakenlande, froh beschränkter auf dem Hofe des Eumäos,
Scenen friedsamen Ausruhens nach den nur noch in behaglicher
2)
1) Wer ἀϑανασία hat, besitzt darum noch nicht nothwendig auch
δύναμιν ἰσόϑεον (Isokrates 10, 61).
2) als „Fährleute des Todes“ mit Elysium in irgend einer Verbindung ge-
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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