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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von dem Titul-Wesen und Praedicaten.
doch mit der Zeit erlangen möchte? Gleichwie kein
Meister gebohren, und also kan auch ein junger
Mensch bey Antritt seiner Charge nicht die Wissen-
schafft und Erfahrung haben, die sich ein andrer,
der diesem oder jenem Amte einige Jahre vorge-
standen, zuwege gebracht. Die Erfahrung nimmt
mit den Jahren zu, es ist genug, wenn er bey sich be-
findet, daß er sich auf dasjenige, wozu er gebraucht
werden soll, ziemlich applicirt, die Fundamenta da-
von sich bekandt gemacht, und zu den Verrichtun-
gen, die diesem Praedicat eigenthümlich sind, Lust
hat. Außerdem aber würde er sich bey jederman
verächtlich machen. Es würde also einer, der sich
Zeit seines Lebens auf die Studia geleget, sich um
das Reiten nicht bekümmert, und gar keine Erkänt-
niß von Pferden besitzt, schlechte Ehre erlangen,
wenn ihm die Bedienung eines Stallmeistes ange-
tragen werden solte. Bey dem dritten Stück, da
er seinen Beutel zu Rathe ziehet, muß er seine Ge-
dancken nicht allein auf das Gegenwärtige, son-
dern auch auf das Zukünfftige richten. Es ist nicht
genug, daß er sich getrauet einige Jahre auszuhal-
ten, und den Staat mitzumachen, sondern er muß
auch den Uberschlag machen, ob er ohne das seinige
zu verzehren, und die Capitalien anzugreiffen, die
Ausgaben seinem Herrn oder seinem Titul zu Eh-
ren, beständig fortsetzen könne. Es ist eine elende
Sache, wenn der Character das Vermögen ange-
het, da einer in seinen männlichen Jahren, wie ein
großer Herr lebt, hingegen auf das Alter, wie ein

chara-
F 2

Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
doch mit der Zeit erlangen moͤchte? Gleichwie kein
Meiſter gebohren, und alſo kan auch ein junger
Menſch bey Antritt ſeiner Charge nicht die Wiſſen-
ſchafft und Erfahrung haben, die ſich ein andrer,
der dieſem oder jenem Amte einige Jahre vorge-
ſtanden, zuwege gebracht. Die Erfahrung nimmt
mit den Jahren zu, es iſt genug, wenn er bey ſich be-
findet, daß er ſich auf dasjenige, wozu er gebraucht
werden ſoll, ziemlich applicirt, die Fundamenta da-
von ſich bekandt gemacht, und zu den Verrichtun-
gen, die dieſem Prædicat eigenthuͤmlich ſind, Luſt
hat. Außerdem aber wuͤrde er ſich bey jederman
veraͤchtlich machen. Es wuͤrde alſo einer, der ſich
Zeit ſeines Lebens auf die Studia geleget, ſich um
das Reiten nicht bekuͤmmert, und gar keine Erkaͤnt-
niß von Pferden beſitzt, ſchlechte Ehre erlangen,
wenn ihm die Bedienung eines Stallmeiſtes ange-
tragen werden ſolte. Bey dem dritten Stuͤck, da
er ſeinen Beutel zu Rathe ziehet, muß er ſeine Ge-
dancken nicht allein auf das Gegenwaͤrtige, ſon-
dern auch auf das Zukuͤnfftige richten. Es iſt nicht
genug, daß er ſich getrauet einige Jahre auszuhal-
ten, und den Staat mitzumachen, ſondern er muß
auch den Uberſchlag machen, ob er ohne das ſeinige
zu verzehren, und die Capitalien anzugreiffen, die
Ausgaben ſeinem Herrn oder ſeinem Titul zu Eh-
ren, beſtaͤndig fortſetzen koͤnne. Es iſt eine elende
Sache, wenn der Character das Vermoͤgen ange-
het, da einer in ſeinen maͤnnlichen Jahren, wie ein
großer Herr lebt, hingegen auf das Alter, wie ein

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[83/0103] Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. doch mit der Zeit erlangen moͤchte? Gleichwie kein Meiſter gebohren, und alſo kan auch ein junger Menſch bey Antritt ſeiner Charge nicht die Wiſſen- ſchafft und Erfahrung haben, die ſich ein andrer, der dieſem oder jenem Amte einige Jahre vorge- ſtanden, zuwege gebracht. Die Erfahrung nimmt mit den Jahren zu, es iſt genug, wenn er bey ſich be- findet, daß er ſich auf dasjenige, wozu er gebraucht werden ſoll, ziemlich applicirt, die Fundamenta da- von ſich bekandt gemacht, und zu den Verrichtun- gen, die dieſem Prædicat eigenthuͤmlich ſind, Luſt hat. Außerdem aber wuͤrde er ſich bey jederman veraͤchtlich machen. Es wuͤrde alſo einer, der ſich Zeit ſeines Lebens auf die Studia geleget, ſich um das Reiten nicht bekuͤmmert, und gar keine Erkaͤnt- niß von Pferden beſitzt, ſchlechte Ehre erlangen, wenn ihm die Bedienung eines Stallmeiſtes ange- tragen werden ſolte. Bey dem dritten Stuͤck, da er ſeinen Beutel zu Rathe ziehet, muß er ſeine Ge- dancken nicht allein auf das Gegenwaͤrtige, ſon- dern auch auf das Zukuͤnfftige richten. Es iſt nicht genug, daß er ſich getrauet einige Jahre auszuhal- ten, und den Staat mitzumachen, ſondern er muß auch den Uberſchlag machen, ob er ohne das ſeinige zu verzehren, und die Capitalien anzugreiffen, die Ausgaben ſeinem Herrn oder ſeinem Titul zu Eh- ren, beſtaͤndig fortſetzen koͤnne. Es iſt eine elende Sache, wenn der Character das Vermoͤgen ange- het, da einer in ſeinen maͤnnlichen Jahren, wie ein großer Herr lebt, hingegen auf das Alter, wie ein chara- F 2

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/103>, abgerufen am 21.11.2024.