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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. V. Capitul.
zu erweisen, daß man ein guter Redner wäre, oder
man wolte in einem Trauer-Hause bey einem Lei-
chen-Conduct, bey der betrübten Familie eine allzu
ceremonieuse Condolenz abstatten.

§. 29. Leuten, die bey hohem Alter sind, muß man
auch nicht allzulange vor complimentiren, sie sind
den Krancken ähnlich, weil das hohe Alter an und
vor sich selbst einer Kranckheit zu vergleichen, sie
werden ohnedem so offt verdrüßlich, das Gedächt-
niß legt ihnen ab, und es fält ihnen unbeqvem, einen
so weitläufftigen Vortrag zu behalten, und wieder
drauf zu antworten, da sie über dieses mehrentheils
mißtrauisch gegen junge Leute, so würden sie aus
einen sehr langem Vortrage, und mühsam ausge-
sonnenem Complimentiren und andern, ungleichen
Verdacht wider einen jungen Redner schöpffen,
Viele von denen Dames, zumahl die selbst gute
Complimentir-Schwestern, können es zwar sehr
wohl vertragen, wenn man sie mit großen Compli-
mens
beehret, weil sie dieselben vor eine Würckung
einer besondern Devotion, die man ihnen leisten,
und sie vor andern hiedurch distinguiren will, an-
sehen; sie find aber gewißlich nicht alle von diesem
Humeur, und ihrer viele, die entweder nicht so ehr-
geitzig oder in der Rede-Kunst selbst nicht so geübt,
oder denen diese Weitläufftigkeiten ihres Standes
und anderer Umstände wegen nicht recht gefällig,
würden es lieber sehen, wenn sich mancher bey sei-
nem Complimentiren eher expedirte.

§. 30. Endlich muß ich auch noch erinnern, daß

sich

I. Theil. V. Capitul.
zu erweiſen, daß man ein guter Redner waͤre, oder
man wolte in einem Trauer-Hauſe bey einem Lei-
chen-Conduct, bey der betruͤbten Familie eine allzu
ceremonieuſe Condolenz abſtatten.

§. 29. Leuten, die bey hohem Alter ſind, muß man
auch nicht allzulange vor complimentiren, ſie ſind
den Krancken aͤhnlich, weil das hohe Alter an und
vor ſich ſelbſt einer Kranckheit zu vergleichen, ſie
werden ohnedem ſo offt verdruͤßlich, das Gedaͤcht-
niß legt ihnen ab, und es faͤlt ihnen unbeqvem, einen
ſo weitlaͤufftigen Vortrag zu behalten, und wieder
drauf zu antworten, da ſie uͤber dieſes mehrentheils
mißtrauiſch gegen junge Leute, ſo wuͤrden ſie aus
einen ſehr langem Vortrage, und muͤhſam ausge-
ſonnenem Complimentiren und andern, ungleichen
Verdacht wider einen jungen Redner ſchoͤpffen,
Viele von denen Dames, zumahl die ſelbſt gute
Complimentir-Schweſtern, koͤnnen es zwar ſehr
wohl vertragen, wenn man ſie mit großen Compli-
mens
beehret, weil ſie dieſelben vor eine Wuͤrckung
einer beſondern Devotion, die man ihnen leiſten,
und ſie vor andern hiedurch diſtinguiren will, an-
ſehen; ſie find aber gewißlich nicht alle von dieſem
Humeur, und ihrer viele, die entweder nicht ſo ehr-
geitzig oder in der Rede-Kunſt ſelbſt nicht ſo geuͤbt,
oder denen dieſe Weitlaͤufftigkeiten ihres Standes
und anderer Umſtaͤnde wegen nicht recht gefaͤllig,
wuͤrden es lieber ſehen, wenn ſich mancher bey ſei-
nem Complimentiren eher expedirte.

§. 30. Endlich muß ich auch noch erinnern, daß

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[164/0184] I. Theil. V. Capitul. zu erweiſen, daß man ein guter Redner waͤre, oder man wolte in einem Trauer-Hauſe bey einem Lei- chen-Conduct, bey der betruͤbten Familie eine allzu ceremonieuſe Condolenz abſtatten. §. 29. Leuten, die bey hohem Alter ſind, muß man auch nicht allzulange vor complimentiren, ſie ſind den Krancken aͤhnlich, weil das hohe Alter an und vor ſich ſelbſt einer Kranckheit zu vergleichen, ſie werden ohnedem ſo offt verdruͤßlich, das Gedaͤcht- niß legt ihnen ab, und es faͤlt ihnen unbeqvem, einen ſo weitlaͤufftigen Vortrag zu behalten, und wieder drauf zu antworten, da ſie uͤber dieſes mehrentheils mißtrauiſch gegen junge Leute, ſo wuͤrden ſie aus einen ſehr langem Vortrage, und muͤhſam ausge- ſonnenem Complimentiren und andern, ungleichen Verdacht wider einen jungen Redner ſchoͤpffen, Viele von denen Dames, zumahl die ſelbſt gute Complimentir-Schweſtern, koͤnnen es zwar ſehr wohl vertragen, wenn man ſie mit großen Compli- mens beehret, weil ſie dieſelben vor eine Wuͤrckung einer beſondern Devotion, die man ihnen leiſten, und ſie vor andern hiedurch diſtinguiren will, an- ſehen; ſie find aber gewißlich nicht alle von dieſem Humeur, und ihrer viele, die entweder nicht ſo ehr- geitzig oder in der Rede-Kunſt ſelbſt nicht ſo geuͤbt, oder denen dieſe Weitlaͤufftigkeiten ihres Standes und anderer Umſtaͤnde wegen nicht recht gefaͤllig, wuͤrden es lieber ſehen, wenn ſich mancher bey ſei- nem Complimentiren eher expedirte. §. 30. Endlich muß ich auch noch erinnern, daß ſich

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/184>, abgerufen am 26.11.2024.