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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. VI. Capitul.
Vorgesetzten zu beobachten pflegen, ein größer An-
sehen zuwege bringen. Nun beruhet es zwar nicht
in der Macht eines Menschen, sein Gesicht zu än-
dern, sondern er muß die Augen, den Mund, die
Nase und die gantze Stellung seines Gesichtes be-
halten, wie sie ihm GOtt geschaffen, es mag andern
Leuten gefallen oder nicht; jedoch kan man durch
die Bemühung eine und die andere Geberde än-
dern, und durch öfftere Wiederhohlung eine die
uns erstlich fremde und schwehr war, so ange-
wöhnen, daß sie uns mit der Zeit eigenthümlich
wird.

§. 15. Diejenigen Geberden, welche die Fran-
tzosen l'air zu nennen pflegen, und die nach Veran-
lassung des äusserlichen oder innerlichen, so in unse-
rer Seele vorgegangen, auf eine Zeitlang in unsern
Gesicht erwecket werden, stehen eher in unserer Ge-
walt, als die vorhergehenden, die zu der gantzen
Physiognomie gehören. Diese muß man nach
den Umständen der Zeit, des Ortes, und der Perso-
nen, bey denen man sich aufhält, weißlich zu lencken
und zu verändern wissen. Jst man in der Kirche,
oder bey einer heiligen Handlung, so muß man ehr-
erbietige Geberden machen, und handeln daher
manche von unsern jungen Leuten beyderley Ge-
schlechts, die sich an solchen Oertern so frech und
wilde aufführen, als sie nimmermehr bey einer
Dantz-Versammlung thun könten, gar sehr wider den
Wohlstand. Befindet man sich in einem Trauer-
Hause, und stattet eine Trauer-Visite ab, so muß

man

I. Theil. VI. Capitul.
Vorgeſetzten zu beobachten pflegen, ein groͤßer An-
ſehen zuwege bringen. Nun beruhet es zwar nicht
in der Macht eines Menſchen, ſein Geſicht zu aͤn-
dern, ſondern er muß die Augen, den Mund, die
Naſe und die gantze Stellung ſeines Geſichtes be-
halten, wie ſie ihm GOtt geſchaffen, es mag andern
Leuten gefallen oder nicht; jedoch kan man durch
die Bemuͤhung eine und die andere Geberde aͤn-
dern, und durch oͤfftere Wiederhohlung eine die
uns erſtlich fremde und ſchwehr war, ſo ange-
woͤhnen, daß ſie uns mit der Zeit eigenthuͤmlich
wird.

§. 15. Diejenigen Geberden, welche die Fran-
tzoſen l’air zu nennen pflegen, und die nach Veran-
laſſung des aͤuſſerlichen oder innerlichen, ſo in unſe-
rer Seele vorgegangen, auf eine Zeitlang in unſern
Geſicht erwecket werden, ſtehen eher in unſerer Ge-
walt, als die vorhergehenden, die zu der gantzen
Phyſiognomie gehoͤren. Dieſe muß man nach
den Umſtaͤnden der Zeit, des Ortes, und der Perſo-
nen, bey denen man ſich aufhaͤlt, weißlich zu lencken
und zu veraͤndern wiſſen. Jſt man in der Kirche,
oder bey einer heiligen Handlung, ſo muß man ehr-
erbietige Geberden machen, und handeln daher
manche von unſern jungen Leuten beyderley Ge-
ſchlechts, die ſich an ſolchen Oertern ſo frech und
wilde auffuͤhren, als ſie nimmermehr bey einer
Dantz-Verſam̃lung thun koͤnten, gar ſehr wider den
Wohlſtand. Befindet man ſich in einem Trauer-
Hauſe, und ſtattet eine Trauer-Viſite ab, ſo muß

man
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[190/0210] I. Theil. VI. Capitul. Vorgeſetzten zu beobachten pflegen, ein groͤßer An- ſehen zuwege bringen. Nun beruhet es zwar nicht in der Macht eines Menſchen, ſein Geſicht zu aͤn- dern, ſondern er muß die Augen, den Mund, die Naſe und die gantze Stellung ſeines Geſichtes be- halten, wie ſie ihm GOtt geſchaffen, es mag andern Leuten gefallen oder nicht; jedoch kan man durch die Bemuͤhung eine und die andere Geberde aͤn- dern, und durch oͤfftere Wiederhohlung eine die uns erſtlich fremde und ſchwehr war, ſo ange- woͤhnen, daß ſie uns mit der Zeit eigenthuͤmlich wird. §. 15. Diejenigen Geberden, welche die Fran- tzoſen l’air zu nennen pflegen, und die nach Veran- laſſung des aͤuſſerlichen oder innerlichen, ſo in unſe- rer Seele vorgegangen, auf eine Zeitlang in unſern Geſicht erwecket werden, ſtehen eher in unſerer Ge- walt, als die vorhergehenden, die zu der gantzen Phyſiognomie gehoͤren. Dieſe muß man nach den Umſtaͤnden der Zeit, des Ortes, und der Perſo- nen, bey denen man ſich aufhaͤlt, weißlich zu lencken und zu veraͤndern wiſſen. Jſt man in der Kirche, oder bey einer heiligen Handlung, ſo muß man ehr- erbietige Geberden machen, und handeln daher manche von unſern jungen Leuten beyderley Ge- ſchlechts, die ſich an ſolchen Oertern ſo frech und wilde auffuͤhren, als ſie nimmermehr bey einer Dantz-Verſam̃lung thun koͤnten, gar ſehr wider den Wohlſtand. Befindet man ſich in einem Trauer- Hauſe, und ſtattet eine Trauer-Viſite ab, ſo muß man

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/210>, abgerufen am 09.11.2024.