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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. VI. Capitul.
Zeit steiff und starr ansiehet. Werden dergleichen
unverwandte Blicke auf ein wohlgebildet Frauen-
zimmer gerichtet, so macht sich ein junger Mensch,
theils bey dem Frauenzimmer selbst, die er so genau
in Augen behält, theils auch bey andern Leuten, die
seine Passion hiedurch zu errathen gedencken möch-
ten, noch lächerlicher.

§. 20. Da an den Geberden so sehr viel gelegen,
so thäte es nöthig, daß sich mancher in seinem Zim-
mer etliche Stunden lang vor den Spiegel stellte,
und Lectiones gäbe, auf was vor Art er sein Ge-
sichte in die gehörigen Falten richten möchte, damit
er gute Mine machte. Unartig hingegen ist es,
wenn einige in Gesellschafften sich vor die grossen
Spiegel stellen, eine lange Zeit ohne Raison darin-
nen beschauen, und sich üben, wie sie liebliche Ge-
berden machen und alles mit einer guten grace ver-
richten mögen.

§. 21. Einige haben keine Ungeberden an sich,
wenn sie mit ihren Gliedmassen des Leibes in Ru-
he sind, so bald sie aber mit ihren Händen oder Füs-
sen eine Action vornehmen, gehen die Ungeberden
an. Also machen einige, wenn sie sich auf einem
musicalischen Instrument hören lassen, oder tren-
chi
ren, mahlen, drechseln, peroriren, dantzen, u. s. w.
theils allzu douce und freundliche, theils finstere
und gravitätische, theils auch sonst höchst alberne
und unartige Minen.

§. 22. Ein junger Mensch muß sich, wie in allen
seinen äusserlichen Handlungen und Geberden, also

auch

I. Theil. VI. Capitul.
Zeit ſteiff und ſtarr anſiehet. Werden dergleichen
unverwandte Blicke auf ein wohlgebildet Frauen-
zimmer gerichtet, ſo macht ſich ein junger Menſch,
theils bey dem Frauenzimmer ſelbſt, die er ſo genau
in Augen behaͤlt, theils auch bey andern Leuten, die
ſeine Paſſion hiedurch zu errathen gedencken moͤch-
ten, noch laͤcherlicher.

§. 20. Da an den Geberden ſo ſehr viel gelegen,
ſo thaͤte es noͤthig, daß ſich mancher in ſeinem Zim-
mer etliche Stunden lang vor den Spiegel ſtellte,
und Lectiones gaͤbe, auf was vor Art er ſein Ge-
ſichte in die gehoͤrigen Falten richten moͤchte, damit
er gute Mine machte. Unartig hingegen iſt es,
wenn einige in Geſellſchafften ſich vor die groſſen
Spiegel ſtellen, eine lange Zeit ohne Raiſon darin-
nen beſchauen, und ſich uͤben, wie ſie liebliche Ge-
berden machen und alles mit einer guten grace ver-
richten moͤgen.

§. 21. Einige haben keine Ungeberden an ſich,
wenn ſie mit ihren Gliedmaſſen des Leibes in Ru-
he ſind, ſo bald ſie aber mit ihren Haͤnden oder Fuͤſ-
ſen eine Action vornehmen, gehen die Ungeberden
an. Alſo machen einige, wenn ſie ſich auf einem
muſicaliſchen Inſtrument hoͤren laſſen, oder tren-
chi
ren, mahlen, drechſeln, peroriren, dantzen, u. ſ. w.
theils allzu douçe und freundliche, theils finſtere
und gravitaͤtiſche, theils auch ſonſt hoͤchſt alberne
und unartige Minen.

§. 22. Ein junger Menſch muß ſich, wie in allen
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[194/0214] I. Theil. VI. Capitul. Zeit ſteiff und ſtarr anſiehet. Werden dergleichen unverwandte Blicke auf ein wohlgebildet Frauen- zimmer gerichtet, ſo macht ſich ein junger Menſch, theils bey dem Frauenzimmer ſelbſt, die er ſo genau in Augen behaͤlt, theils auch bey andern Leuten, die ſeine Paſſion hiedurch zu errathen gedencken moͤch- ten, noch laͤcherlicher. §. 20. Da an den Geberden ſo ſehr viel gelegen, ſo thaͤte es noͤthig, daß ſich mancher in ſeinem Zim- mer etliche Stunden lang vor den Spiegel ſtellte, und Lectiones gaͤbe, auf was vor Art er ſein Ge- ſichte in die gehoͤrigen Falten richten moͤchte, damit er gute Mine machte. Unartig hingegen iſt es, wenn einige in Geſellſchafften ſich vor die groſſen Spiegel ſtellen, eine lange Zeit ohne Raiſon darin- nen beſchauen, und ſich uͤben, wie ſie liebliche Ge- berden machen und alles mit einer guten grace ver- richten moͤgen. §. 21. Einige haben keine Ungeberden an ſich, wenn ſie mit ihren Gliedmaſſen des Leibes in Ru- he ſind, ſo bald ſie aber mit ihren Haͤnden oder Fuͤſ- ſen eine Action vornehmen, gehen die Ungeberden an. Alſo machen einige, wenn ſie ſich auf einem muſicaliſchen Inſtrument hoͤren laſſen, oder tren- chiren, mahlen, drechſeln, peroriren, dantzen, u. ſ. w. theils allzu douçe und freundliche, theils finſtere und gravitaͤtiſche, theils auch ſonſt hoͤchſt alberne und unartige Minen. §. 22. Ein junger Menſch muß ſich, wie in allen ſeinen aͤuſſerlichen Handlungen und Geberden, alſo auch

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/214>, abgerufen am 21.11.2024.