sich; theils bekommen sie mehr gute Freunde, als ihnen lieb oder zuträglich ist; ein jeder will von ih- rem Glück und Einkünfften Nutzen ziehen. Sie suchen sie in die Spiel-Gesellschafften zu locken, zu- mahl wo sie mercken, daß sie die Spiele nicht recht verstehen; sie bemühen sich, sie zu mancher Ausga- be zu überreden, deren sie hätten können überhoben seyn, und lieben sie auf eine Zeitlang um ihres Gel- des willen auf den Schein.
§. 12. Ein vernünfftiger Mensch läst an einem fremden Hofe dieses seine erste Sorge mit seyn, daß er die neigungen der Cavaliers und Dames erken- nen und beurtheilen lernt, damit er wisse, wie er ei- nem jeden, nach der Beschaffenheit seines Humeurs, begegnen soll. Er macht sich, nach den Merck- mahlen, was er von einer jeden Person siehet, höret und observiret, und nach den Regeln der Kunst, der Menschen Gemüther zu erforschen, ihre moralischen Portraite bekandt, läst sich aber doch von diesem allem nicht das geringste mercken.
§. 13. Er sey an was vor einen Hofe er wolle, so gedencket er nicht, wie einige unverständige junge Leute zu thun pflegen, des Unterschieds der kleinen oder grossen Höfe, weil dieses gar ein abgeschmack- tes und unbedachtsam Raisonement, und alle un- gleiche Urtheile nicht wohl aufgenommen werden. Von andern hohen Standes-Personen redet er je- derzeit mit Respect, und erwehnet nichts von ihren Fehlern, ob sie schon öffentlich und Land-kündig seyn solten. Wird er von andern Fürstlichen Per-
sonen
O
Von dem Aufenthalt an Hoͤfen.
ſich; theils bekommen ſie mehr gute Freunde, als ihnen lieb oder zutraͤglich iſt; ein jeder will von ih- rem Gluͤck und Einkuͤnfften Nutzen ziehen. Sie ſuchen ſie in die Spiel-Geſellſchafften zu locken, zu- mahl wo ſie mercken, daß ſie die Spiele nicht recht verſtehen; ſie bemuͤhen ſich, ſie zu mancher Ausga- be zu uͤberreden, deren ſie haͤtten koͤnnen uͤberhoben ſeyn, und lieben ſie auf eine Zeitlang um ihres Gel- des willen auf den Schein.
§. 12. Ein vernuͤnfftiger Menſch laͤſt an einem fremden Hofe dieſes ſeine erſte Sorge mit ſeyn, daß er die neigungen der Cavaliers und Dames erken- nen und beurtheilen lernt, damit er wiſſe, wie er ei- nem jeden, nach der Beſchaffenheit ſeines Humeurs, begegnen ſoll. Er macht ſich, nach den Merck- mahlen, was er von einer jeden Perſon ſiehet, hoͤret und obſerviret, und nach den Regeln der Kunſt, der Menſchen Gemuͤther zu erforſchen, ihre moraliſchen Portraite bekandt, laͤſt ſich aber doch von dieſem allem nicht das geringſte mercken.
§. 13. Er ſey an was vor einen Hofe er wolle, ſo gedencket er nicht, wie einige unverſtaͤndige junge Leute zu thun pflegen, des Unterſchieds der kleinen oder groſſen Hoͤfe, weil dieſes gar ein abgeſchmack- tes und unbedachtſam Raiſonement, und alle un- gleiche Urtheile nicht wohl aufgenommen werden. Von andern hohen Standes-Perſonen redet er je- derzeit mit Reſpect, und erwehnet nichts von ihren Fehlern, ob ſie ſchon oͤffentlich und Land-kuͤndig ſeyn ſolten. Wird er von andern Fuͤrſtlichen Per-
ſonen
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Von dem Aufenthalt an Hoͤfen.
ſich; theils bekommen ſie mehr gute Freunde, als
ihnen lieb oder zutraͤglich iſt; ein jeder will von ih-
rem Gluͤck und Einkuͤnfften Nutzen ziehen. Sie
ſuchen ſie in die Spiel-Geſellſchafften zu locken, zu-
mahl wo ſie mercken, daß ſie die Spiele nicht recht
verſtehen; ſie bemuͤhen ſich, ſie zu mancher Ausga-
be zu uͤberreden, deren ſie haͤtten koͤnnen uͤberhoben
ſeyn, und lieben ſie auf eine Zeitlang um ihres Gel-
des willen auf den Schein.
§. 12. Ein vernuͤnfftiger Menſch laͤſt an einem
fremden Hofe dieſes ſeine erſte Sorge mit ſeyn, daß
er die neigungen der Cavaliers und Dames erken-
nen und beurtheilen lernt, damit er wiſſe, wie er ei-
nem jeden, nach der Beſchaffenheit ſeines Humeurs,
begegnen ſoll. Er macht ſich, nach den Merck-
mahlen, was er von einer jeden Perſon ſiehet, hoͤret
und obſerviret, und nach den Regeln der Kunſt, der
Menſchen Gemuͤther zu erforſchen, ihre moraliſchen
Portraite bekandt, laͤſt ſich aber doch von dieſem
allem nicht das geringſte mercken.
§. 13. Er ſey an was vor einen Hofe er wolle, ſo
gedencket er nicht, wie einige unverſtaͤndige junge
Leute zu thun pflegen, des Unterſchieds der kleinen
oder groſſen Hoͤfe, weil dieſes gar ein abgeſchmack-
tes und unbedachtſam Raiſonement, und alle un-
gleiche Urtheile nicht wohl aufgenommen werden.
Von andern hohen Standes-Perſonen redet er je-
derzeit mit Reſpect, und erwehnet nichts von ihren
Fehlern, ob ſie ſchon oͤffentlich und Land-kuͤndig
ſeyn ſolten. Wird er von andern Fuͤrſtlichen Per-
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/229>, abgerufen am 09.11.2024.
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