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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. II. Capitul.

§. 24. Es ist gar sehr dem Wohlstand zuwider,
wenn einige in den Gesellschafften stets mit ihrem
Nachbarn alleine reden, und ihm etwas heimlich
ins Ohr sagen, das die andern aus der Gesellschafft
nicht vernehmen sollen. Chloris bekennet mit
Wahrheit, in der galanten Frauenzimmer-Morale
p.
81. daß es die beste Mode nicht wäre, die viele
von ihrem Geschlecht an sich hätten, daß, wenn zu-
mahl Bekandte zusammen kämen, sie einander be-
ständig nach den Ohren führen, und bald jene dieser,
bald diese jener etwas zuzischelten, auch wohl sodann
ein heimlich Gelächter darüber aufschlügen. Noch
unanständiger ists, wenn Manns-Personen dem
Frauenzimmer etwas ins Ohr zischeln; denn, wer
will denen, so dabey sitzen, verwehren, daß sie das
nicht vor eine Marque grosser Vertraulichkeit anse-
hen, die sie ihnen nicht zum besten sprechen wer-
den.

§. 25. Man muß sich in seinen Reden allezeit
so bezeigen, daß man sich bey dem andern Liebe er-
wecke, und ihm gefällig erweise. Diesemnach muß
man sich, so viel als möglich, enthalten, daß man dem
andern keine verdrüßliche und unangenehme Nach-
richt überbringe, und nicht der erste von dem sey,
der sich hierzu gebrauchen läst. Man muß den an-
dern in seinen Reden ohne Noth nicht hofmeistern,
noch dessen Discourse beurtheilen. Man muß die
Conversation als eine freye Handelschafft ansehen,
da einem jeden vergönnt, schlechte und auch bessere
Waaren auszulegen. Es läst sehr unglimpflich,

wenn
II. Theil. II. Capitul.

§. 24. Es iſt gar ſehr dem Wohlſtand zuwider,
wenn einige in den Geſellſchafften ſtets mit ihrem
Nachbarn alleine reden, und ihm etwas heimlich
ins Ohr ſagen, das die andern aus der Geſellſchafft
nicht vernehmen ſollen. Chloris bekennet mit
Wahrheit, in der galanten Frauenzimmer-Morale
p.
81. daß es die beſte Mode nicht waͤre, die viele
von ihrem Geſchlecht an ſich haͤtten, daß, wenn zu-
mahl Bekandte zuſammen kaͤmen, ſie einander be-
ſtaͤndig nach den Ohren fuͤhren, und bald jene dieſer,
bald dieſe jener etwas zuziſchelten, auch wohl ſodann
ein heimlich Gelaͤchter daruͤber aufſchluͤgen. Noch
unanſtaͤndiger iſts, wenn Manns-Perſonen dem
Frauenzimmer etwas ins Ohr ziſcheln; denn, wer
will denen, ſo dabey ſitzen, verwehren, daß ſie das
nicht vor eine Marque groſſer Vertraulichkeit anſe-
hen, die ſie ihnen nicht zum beſten ſprechen wer-
den.

§. 25. Man muß ſich in ſeinen Reden allezeit
ſo bezeigen, daß man ſich bey dem andern Liebe er-
wecke, und ihm gefaͤllig erweiſe. Dieſemnach muß
man ſich, ſo viel als moͤglich, enthalten, daß man dem
andern keine verdruͤßliche und unangenehme Nach-
richt uͤberbringe, und nicht der erſte von dem ſey,
der ſich hierzu gebrauchen laͤſt. Man muß den an-
dern in ſeinen Reden ohne Noth nicht hofmeiſtern,
noch deſſen Diſcourſe beurtheilen. Man muß die
Converſation als eine freye Handelſchafft anſehen,
da einem jeden vergoͤnnt, ſchlechte und auch beſſere
Waaren auszulegen. Es laͤſt ſehr unglimpflich,

wenn
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[294/0314] II. Theil. II. Capitul. §. 24. Es iſt gar ſehr dem Wohlſtand zuwider, wenn einige in den Geſellſchafften ſtets mit ihrem Nachbarn alleine reden, und ihm etwas heimlich ins Ohr ſagen, das die andern aus der Geſellſchafft nicht vernehmen ſollen. Chloris bekennet mit Wahrheit, in der galanten Frauenzimmer-Morale p. 81. daß es die beſte Mode nicht waͤre, die viele von ihrem Geſchlecht an ſich haͤtten, daß, wenn zu- mahl Bekandte zuſammen kaͤmen, ſie einander be- ſtaͤndig nach den Ohren fuͤhren, und bald jene dieſer, bald dieſe jener etwas zuziſchelten, auch wohl ſodann ein heimlich Gelaͤchter daruͤber aufſchluͤgen. Noch unanſtaͤndiger iſts, wenn Manns-Perſonen dem Frauenzimmer etwas ins Ohr ziſcheln; denn, wer will denen, ſo dabey ſitzen, verwehren, daß ſie das nicht vor eine Marque groſſer Vertraulichkeit anſe- hen, die ſie ihnen nicht zum beſten ſprechen wer- den. §. 25. Man muß ſich in ſeinen Reden allezeit ſo bezeigen, daß man ſich bey dem andern Liebe er- wecke, und ihm gefaͤllig erweiſe. Dieſemnach muß man ſich, ſo viel als moͤglich, enthalten, daß man dem andern keine verdruͤßliche und unangenehme Nach- richt uͤberbringe, und nicht der erſte von dem ſey, der ſich hierzu gebrauchen laͤſt. Man muß den an- dern in ſeinen Reden ohne Noth nicht hofmeiſtern, noch deſſen Diſcourſe beurtheilen. Man muß die Converſation als eine freye Handelſchafft anſehen, da einem jeden vergoͤnnt, ſchlechte und auch beſſere Waaren auszulegen. Es laͤſt ſehr unglimpflich, wenn

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/314>, abgerufen am 21.11.2024.