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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. VI. Capitul.
bunten Reyhe zur Tafel geführt, so muß man sich
da alle Mühwaltung geben, sie auf das beste zu be-
dienen, zumahl, wenn sie nach grossen Ceremonien
begierig ist. Man muß sie mit Discoursen auf die
beste Weise unterhalten, ihre Gesundheit zu aller-
meist trincken, man muß Sorge tragen, daß sie mit
Speisen und Geträncke wohl versorgt werde, auch
so gar auf den Laquay, der hinter ihr stehet, Acht
haben, daß er bey seine Aufwartung, die er ihr zu
leisten hat, nichts versäumen möge, und sich bemü-
hen, ihr alles, was sie verlangt, an den Augen ab-
zusehen. Wer ein hochmüthig und ehrgeitzig
Frauenzimmer zur Nachbarin bekommen, hat alle
Hände voll zu thun, er kan fast nicht einen Bissen
mit Ruhe essen, und muß auf alle Minen, Worte,
Complimens und Reverences die größte Behut-
samkeit wenden.

§. 19. Es ist nichts ungewöhnliches, daß theils
an Höfen bey den bunten Reyhen von den höchsten
Standes-Personen, theils in Privat-Gesellschaff-
ten unter guten Freunden, von dem Wirth und der
Wirthin des Hauses anbefohlen wird, daß ein ieder
Cavalier seine Nachbarin bey der Tafel küssen soll;
ich will hierbey nicht die mancherley Fehler einiger
Dames vorstellig machen, da sich einige über diesen
Kuß so ungeberdig erweisen, als ob ihre gantze
Jungfräuliche Zucht und Erbarkeit darüber solte
verlohren gehen, andre aber es kaum erwarten kön-
nen biß der Kuß an sie kömmt, sondern vielmehr
einem jungen Menschen einige Regeln, die auch

hiebey

II. Theil. VI. Capitul.
bunten Reyhe zur Tafel gefuͤhrt, ſo muß man ſich
da alle Muͤhwaltung geben, ſie auf das beſte zu be-
dienen, zumahl, wenn ſie nach groſſen Ceremonien
begierig iſt. Man muß ſie mit Diſcourſen auf die
beſte Weiſe unterhalten, ihre Geſundheit zu aller-
meiſt trincken, man muß Sorge tragen, daß ſie mit
Speiſen und Getraͤncke wohl verſorgt werde, auch
ſo gar auf den Laquay, der hinter ihr ſtehet, Acht
haben, daß er bey ſeine Aufwartung, die er ihr zu
leiſten hat, nichts verſaͤumen moͤge, und ſich bemuͤ-
hen, ihr alles, was ſie verlangt, an den Augen ab-
zuſehen. Wer ein hochmuͤthig und ehrgeitzig
Frauenzimmer zur Nachbarin bekommen, hat alle
Haͤnde voll zu thun, er kan faſt nicht einen Biſſen
mit Ruhe eſſen, und muß auf alle Minen, Worte,
Complimens und Reverences die groͤßte Behut-
ſamkeit wenden.

§. 19. Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß theils
an Hoͤfen bey den bunten Reyhen von den hoͤchſten
Standes-Perſonen, theils in Privat-Geſellſchaff-
ten unter guten Freunden, von dem Wirth und der
Wirthin des Hauſes anbefohlen wird, daß ein ieder
Cavalier ſeine Nachbarin bey der Tafel kuͤſſen ſoll;
ich will hierbey nicht die mancherley Fehler einiger
Dames vorſtellig machen, da ſich einige uͤber dieſen
Kuß ſo ungeberdig erweiſen, als ob ihre gantze
Jungfraͤuliche Zucht und Erbarkeit daruͤber ſolte
verlohren gehen, andre aber es kaum erwarten koͤn-
nen biß der Kuß an ſie koͤmmt, ſondern vielmehr
einem jungen Menſchen einige Regeln, die auch

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[378/0398] II. Theil. VI. Capitul. bunten Reyhe zur Tafel gefuͤhrt, ſo muß man ſich da alle Muͤhwaltung geben, ſie auf das beſte zu be- dienen, zumahl, wenn ſie nach groſſen Ceremonien begierig iſt. Man muß ſie mit Diſcourſen auf die beſte Weiſe unterhalten, ihre Geſundheit zu aller- meiſt trincken, man muß Sorge tragen, daß ſie mit Speiſen und Getraͤncke wohl verſorgt werde, auch ſo gar auf den Laquay, der hinter ihr ſtehet, Acht haben, daß er bey ſeine Aufwartung, die er ihr zu leiſten hat, nichts verſaͤumen moͤge, und ſich bemuͤ- hen, ihr alles, was ſie verlangt, an den Augen ab- zuſehen. Wer ein hochmuͤthig und ehrgeitzig Frauenzimmer zur Nachbarin bekommen, hat alle Haͤnde voll zu thun, er kan faſt nicht einen Biſſen mit Ruhe eſſen, und muß auf alle Minen, Worte, Complimens und Reverences die groͤßte Behut- ſamkeit wenden. §. 19. Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß theils an Hoͤfen bey den bunten Reyhen von den hoͤchſten Standes-Perſonen, theils in Privat-Geſellſchaff- ten unter guten Freunden, von dem Wirth und der Wirthin des Hauſes anbefohlen wird, daß ein ieder Cavalier ſeine Nachbarin bey der Tafel kuͤſſen ſoll; ich will hierbey nicht die mancherley Fehler einiger Dames vorſtellig machen, da ſich einige uͤber dieſen Kuß ſo ungeberdig erweiſen, als ob ihre gantze Jungfraͤuliche Zucht und Erbarkeit daruͤber ſolte verlohren gehen, andre aber es kaum erwarten koͤn- nen biß der Kuß an ſie koͤmmt, ſondern vielmehr einem jungen Menſchen einige Regeln, die auch hiebey

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/398>, abgerufen am 24.11.2024.