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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. I. Capitul.
sind die Höfe, als die beste hohe Schule, auf wel-
cher die Politesse und die Regeln des Wohlstandes
gelehret werden, anzusehen. Denn hier hat man
eine Menge qualificirter Leute um sich herum, wel-
che sich bemühen, um ihrer Herrschafft zu gefallen,
und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles
mit einer bonne grace zu verrichten, und das äus-
serliche Wesen der andern, und insonderheit der
fremden, die nach Hofe kommen, mit scharfsüchti-
gen Augen anzusehen.

§. 30. Die Tugend der Höflichkeit und des ma-
nierlichen Wesens hat ebenfalls wie die übrigen
ihre beyden lasterhafften Abwege, vor denen man
sich in acht zu nehmen hat. Bekümmert man sich
gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlstan-
des, so wird man darüber zu einen tölpischen plum-
pen Menschen, zu einen Schulfuchs, und zu einen
Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Höf-
lichkeit und alle Complimens verachten und ver-
dammen. Jst man aber hierinnen allzu scrupu-
lös
und allzu ceremonieus, da man mit andern
Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man
von andern dergleichen wieder verlangt, und alles
mit der allergrösten und gezwungenen Erbarkeit
verrichten will, so giebt man den Schein eines ehr-
geitzigen Temperaments von sich, man verfällt in
ein affectirtes Wesen, und durch eine allzu mühsa-
me Beobachtung des Wohlstandes fehlet man wi-
der den Wohlstand. Nach der CLXXXIV. Maxi-
me
des Oraculs von Graciam, und derer von Herr

D. Mül-

I. Theil. I. Capitul.
ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel-
cher die Politeſſe und die Regeln des Wohlſtandes
gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man
eine Menge qualificirter Leute um ſich herum, wel-
che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen,
und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles
mit einer bonne grace zu verrichten, und das aͤuſ-
ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der
fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti-
gen Augen anzuſehen.

§. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma-
nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen
ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man
ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich
gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan-
des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum-
pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen
Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Hoͤf-
lichkeit und alle Complimens verachten und ver-
dammen. Jſt man aber hierinnen allzu ſcrupu-
lös
und allzu ceremonieus, da man mit andern
Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man
von andern dergleichen wieder verlangt, und alles
mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit
verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr-
geitzigen Temperaments von ſich, man verfaͤllt in
ein affectirtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa-
me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi-
der den Wohlſtand. Nach der CLXXXIV. Maxi-
me
des Oraculs von Graciam, und derer von Herr

D. Muͤl-
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[26/0046] I. Theil. I. Capitul. ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel- cher die Politeſſe und die Regeln des Wohlſtandes gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man eine Menge qualificirter Leute um ſich herum, wel- che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen, und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles mit einer bonne grace zu verrichten, und das aͤuſ- ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti- gen Augen anzuſehen. §. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma- nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan- des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum- pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Hoͤf- lichkeit und alle Complimens verachten und ver- dammen. Jſt man aber hierinnen allzu ſcrupu- lös und allzu ceremonieus, da man mit andern Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man von andern dergleichen wieder verlangt, und alles mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr- geitzigen Temperaments von ſich, man verfaͤllt in ein affectirtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa- me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi- der den Wohlſtand. Nach der CLXXXIV. Maxi- me des Oraculs von Graciam, und derer von Herr D. Muͤl-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/46>, abgerufen am 21.11.2024.