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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. XI. Capitul.

§. 2. Der Frantzösische Autor, de la Serre, re-
det in seinem vergnügten Menschen, oder in seiner
Anweisung zur Gemüths-Ruhe von dieser Materie
sehr wohl, p. 91. wenn er spricht: Wir dencken
mehrentheils an nichts anders, als die Zeit zu ver-
treiben, da man doch die geschwinde Vergänglich-
keit derselben kaum begreiffen kan. Ein jeder be-
klagt sich über die Länge der Zeit, gleichsam als
wenn sie nicht geschwinde genug fortgienge. Was
vor Thorheit! Wir haben bloß die noch übrigen
wenigen Lebens-Tage, welche wir zu Erlangung
der ewigen Seeligkeit anwenden sollen, und wissen
uns dennoch über ihre Länge so sehr zu beschweh-
ren, gleichsam als wenn wir bey geschwinden
Fortgange der Zeit auch die Zeit selbst in Besitz
nehmen könten.

§. 3. Es würde zu weitläufftig fallen, wenn ich
allen den Divertissemens, von welchen ich in die-
sem Capitul handle, moralische Anmerckungen bey-
fügen wolte; ich will vielmehr allen meinen Le-
sern dasjenige, was der Herr D. Pritius in seiner
Ausübung der Christlichen Tugend- und Sitten-
Lehre, p. 205. hievon anführt, bestens recomman-
di
rt haben. Ein rechtschaffner Christ, sagt er:
hat in diesen und allen andern Belustigungen sich
sorgfältig zu hüten, daß er niemahls, weder was
die Zeit, noch was sein Vorsatz und Absehen anbe-
trifft, aus seinen Schrancken schreite; Derowe-
gen muß er sich nicht gar zu sehr drauf legen, und
allzu viel Stunden darauf verwenden, sondern er

hat
II. Theil. XI. Capitul.

§. 2. Der Frantzoͤſiſche Autor, de la Serre, re-
det in ſeinem vergnuͤgten Menſchen, oder in ſeiner
Anweiſung zur Gemuͤths-Ruhe von dieſer Materie
ſehr wohl, p. 91. wenn er ſpricht: Wir dencken
mehrentheils an nichts anders, als die Zeit zu ver-
treiben, da man doch die geſchwinde Vergaͤnglich-
keit derſelben kaum begreiffen kan. Ein jeder be-
klagt ſich uͤber die Laͤnge der Zeit, gleichſam als
wenn ſie nicht geſchwinde genug fortgienge. Was
vor Thorheit! Wir haben bloß die noch uͤbrigen
wenigen Lebens-Tage, welche wir zu Erlangung
der ewigen Seeligkeit anwenden ſollen, und wiſſen
uns dennoch uͤber ihre Laͤnge ſo ſehr zu beſchweh-
ren, gleichſam als wenn wir bey geſchwinden
Fortgange der Zeit auch die Zeit ſelbſt in Beſitz
nehmen koͤnten.

§. 3. Es wuͤrde zu weitlaͤufftig fallen, wenn ich
allen den Divertiſſemens, von welchen ich in die-
ſem Capitul handle, moraliſche Anmerckungen bey-
fuͤgen wolte; ich will vielmehr allen meinen Le-
ſern dasjenige, was der Herr D. Pritius in ſeiner
Ausuͤbung der Chriſtlichen Tugend- und Sitten-
Lehre, p. 205. hievon anfuͤhrt, beſtens recomman-
di
rt haben. Ein rechtſchaffner Chriſt, ſagt er:
hat in dieſen und allen andern Beluſtigungen ſich
ſorgfaͤltig zu huͤten, daß er niemahls, weder was
die Zeit, noch was ſein Vorſatz und Abſehen anbe-
trifft, aus ſeinen Schrancken ſchreite; Derowe-
gen muß er ſich nicht gar zu ſehr drauf legen, und
allzu viel Stunden darauf verwenden, ſondern er

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[494/0514] II. Theil. XI. Capitul. §. 2. Der Frantzoͤſiſche Autor, de la Serre, re- det in ſeinem vergnuͤgten Menſchen, oder in ſeiner Anweiſung zur Gemuͤths-Ruhe von dieſer Materie ſehr wohl, p. 91. wenn er ſpricht: Wir dencken mehrentheils an nichts anders, als die Zeit zu ver- treiben, da man doch die geſchwinde Vergaͤnglich- keit derſelben kaum begreiffen kan. Ein jeder be- klagt ſich uͤber die Laͤnge der Zeit, gleichſam als wenn ſie nicht geſchwinde genug fortgienge. Was vor Thorheit! Wir haben bloß die noch uͤbrigen wenigen Lebens-Tage, welche wir zu Erlangung der ewigen Seeligkeit anwenden ſollen, und wiſſen uns dennoch uͤber ihre Laͤnge ſo ſehr zu beſchweh- ren, gleichſam als wenn wir bey geſchwinden Fortgange der Zeit auch die Zeit ſelbſt in Beſitz nehmen koͤnten. §. 3. Es wuͤrde zu weitlaͤufftig fallen, wenn ich allen den Divertiſſemens, von welchen ich in die- ſem Capitul handle, moraliſche Anmerckungen bey- fuͤgen wolte; ich will vielmehr allen meinen Le- ſern dasjenige, was der Herr D. Pritius in ſeiner Ausuͤbung der Chriſtlichen Tugend- und Sitten- Lehre, p. 205. hievon anfuͤhrt, beſtens recomman- dirt haben. Ein rechtſchaffner Chriſt, ſagt er: hat in dieſen und allen andern Beluſtigungen ſich ſorgfaͤltig zu huͤten, daß er niemahls, weder was die Zeit, noch was ſein Vorſatz und Abſehen anbe- trifft, aus ſeinen Schrancken ſchreite; Derowe- gen muß er ſich nicht gar zu ſehr drauf legen, und allzu viel Stunden darauf verwenden, ſondern er hat

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/514>, abgerufen am 21.11.2024.