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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von der Kleidung.
dürffte er vielleicht die heutigen Menschen vor neue
Thiere ansehen, und von GOtt eine neue Zusam-
menberuffung derselben begehren, damit er sähe, wie
er sie nennen möchte. Doch vielleicht würde auch
ihm die Mode gar bald das Maul stopffen, und die
Eva würde ihn so leicht zu einem seidenen Kleide
bereden, als die heutigen Frauen ihre Männer.
Denn einmahl ist die Welt verderbt, und die Mode
ist nunmehro eine köstliche Frucht dieser Verderb-
niß; also wird ein Seidenwurm wohl eher nicht
aufhören, als biß der Seiden-Bau keinen Maul-
beer-Baum mehr finden wird. S. den III. Ver-
such Classe V. der Schlesischen Natur- und Kunst-
Geschichte. p. 842.

§. 7. Bey der Kleidung muß man nicht allein sei-
ne Einkünffte, sondern auch seinen Stand in Be-
trachtung ziehen, und überlegen, ob einem dieses
oder jenes, seinen Umständen nach, zu tragen gezie-
men möge. An denen Orten, wo die Kleider- und
Policey-Ordnungen nicht allein vorgeschrieben,
sondern auch gebührend in Obacht genommen wer-
den, muß mancher wohl wider seinen Willen diese
Regel in Ubung setzen. Dieses ist aber nicht al-
lenthalben. Viel Leute kleiden sich nach der Be-
schaffenheit ihres Beutels, und nach ihren thörich-
ten Einfällen; sie erreichen aber nicht das tausende
mahl ihren Endzweck, und ihr übermäßiger Staat
gereicht ihnen öffters mehr zur Verachtung, als zu
ihrer Ehre. Viel Leute, die eine geringe Person in
einer so prächtigen Kleidung einher prangen sehen,

haben
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Von der Kleidung.
duͤrffte er vielleicht die heutigen Menſchen vor neue
Thiere anſehen, und von GOtt eine neue Zuſam-
menberuffung derſelben begehren, damit er ſaͤhe, wie
er ſie nennen moͤchte. Doch vielleicht wuͤrde auch
ihm die Mode gar bald das Maul ſtopffen, und die
Eva wuͤrde ihn ſo leicht zu einem ſeidenen Kleide
bereden, als die heutigen Frauen ihre Maͤnner.
Denn einmahl iſt die Welt verderbt, und die Mode
iſt nunmehro eine koͤſtliche Frucht dieſer Verderb-
niß; alſo wird ein Seidenwurm wohl eher nicht
aufhoͤren, als biß der Seiden-Bau keinen Maul-
beer-Baum mehr finden wird. S. den III. Ver-
ſuch Claſſe V. der Schleſiſchen Natur- und Kunſt-
Geſchichte. p. 842.

§. 7. Bey der Kleidung muß man nicht allein ſei-
ne Einkuͤnffte, ſondern auch ſeinen Stand in Be-
trachtung ziehen, und uͤberlegen, ob einem dieſes
oder jenes, ſeinen Umſtaͤnden nach, zu tragen gezie-
men moͤge. An denen Orten, wo die Kleider- und
Policey-Ordnungen nicht allein vorgeſchrieben,
ſondern auch gebuͤhrend in Obacht genommen wer-
den, muß mancher wohl wider ſeinen Willen dieſe
Regel in Ubung ſetzen. Dieſes iſt aber nicht al-
lenthalben. Viel Leute kleiden ſich nach der Be-
ſchaffenheit ihres Beutels, und nach ihren thoͤrich-
ten Einfaͤllen; ſie erreichen aber nicht das tauſende
mahl ihren Endzweck, und ihr uͤbermaͤßiger Staat
gereicht ihnen oͤffters mehr zur Verachtung, als zu
ihrer Ehre. Viel Leute, die eine geringe Perſon in
einer ſo praͤchtigen Kleidung einher prangen ſehen,

haben
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[547/0567] Von der Kleidung. duͤrffte er vielleicht die heutigen Menſchen vor neue Thiere anſehen, und von GOtt eine neue Zuſam- menberuffung derſelben begehren, damit er ſaͤhe, wie er ſie nennen moͤchte. Doch vielleicht wuͤrde auch ihm die Mode gar bald das Maul ſtopffen, und die Eva wuͤrde ihn ſo leicht zu einem ſeidenen Kleide bereden, als die heutigen Frauen ihre Maͤnner. Denn einmahl iſt die Welt verderbt, und die Mode iſt nunmehro eine koͤſtliche Frucht dieſer Verderb- niß; alſo wird ein Seidenwurm wohl eher nicht aufhoͤren, als biß der Seiden-Bau keinen Maul- beer-Baum mehr finden wird. S. den III. Ver- ſuch Claſſe V. der Schleſiſchen Natur- und Kunſt- Geſchichte. p. 842. §. 7. Bey der Kleidung muß man nicht allein ſei- ne Einkuͤnffte, ſondern auch ſeinen Stand in Be- trachtung ziehen, und uͤberlegen, ob einem dieſes oder jenes, ſeinen Umſtaͤnden nach, zu tragen gezie- men moͤge. An denen Orten, wo die Kleider- und Policey-Ordnungen nicht allein vorgeſchrieben, ſondern auch gebuͤhrend in Obacht genommen wer- den, muß mancher wohl wider ſeinen Willen dieſe Regel in Ubung ſetzen. Dieſes iſt aber nicht al- lenthalben. Viel Leute kleiden ſich nach der Be- ſchaffenheit ihres Beutels, und nach ihren thoͤrich- ten Einfaͤllen; ſie erreichen aber nicht das tauſende mahl ihren Endzweck, und ihr uͤbermaͤßiger Staat gereicht ihnen oͤffters mehr zur Verachtung, als zu ihrer Ehre. Viel Leute, die eine geringe Perſon in einer ſo praͤchtigen Kleidung einher prangen ſehen, haben M m 2

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/567>, abgerufen am 21.11.2024.