Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Titul-Wesen und Praedicaten.
er eine neue Weise, die den göttlichen und natürli-
chen Gesetzen nicht zuwider, mit machen und nach-
ahmen muß, will er sich nicht bey der Welt verspot-
ten lassen, und manche verläumderische Urtheile
wieder sich vernehmen. Also liebt mancher die
Demuth und Sittsamkeit, und findet an dem
äußerlichen Wort-Gepränge kein Vergnügen.
Da aber eine allgemeine und durchgängige Ge-
wohnheit gewisse Titulaturen nach dem Unter-
scheid des Standes und der Bedienung eingeführt,
so muß ein vernünfftiger Mensch auch diejenige Eh-
re, die er andern ertheilt, annehmen, oder er unter-
wirfft sich sonst einer allgemeinen Verachtung/
und entziehet sich einen grossen Theil seiner äußerli-
chen Glückseeligkeit, vor deren Erhaltung er besorgt
seyn muß. Die von höherm Stande würden die-
se große Sittsamkeit vor eine Würckung einer Nie-
derträchtigkeit ansehen, welche ebenfalls ein Laster
ist, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, sie dürfften
ihm hernach vielleicht allzuviel denotiren und Ge-
horsam abfordern. Die mit ihm von gleichem
Stande, würden unwillig auf ihn werden, daß er
dieses, welches seinen Umständen zukäme, nicht an-
nehmen wolte, sie würden es ihm vor eine Nieder-
trächtigkeit auslegen, ihn deßhalben vor einen Son-
derling ansehen, und sich seiner Gesellschafft schä-
men, sie würden ihn gehäßig werden, und glau-
ben, daß ihnen hiedurch selber etwas entzogen wer-
den möchte, der Pöbel würde sich dieser Sittsam-
keit und Demuth mißbrauchen; Wolte einer ge-

wisse
E 2

Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
er eine neue Weiſe, die den goͤttlichen und natuͤrli-
chen Geſetzen nicht zuwider, mit machen und nach-
ahmen muß, will er ſich nicht bey der Welt verſpot-
ten laſſen, und manche verlaͤumderiſche Urtheile
wieder ſich vernehmen. Alſo liebt mancher die
Demuth und Sittſamkeit, und findet an dem
aͤußerlichen Wort-Gepraͤnge kein Vergnuͤgen.
Da aber eine allgemeine und durchgaͤngige Ge-
wohnheit gewiſſe Titulaturen nach dem Unter-
ſcheid des Standes und der Bedienung eingefuͤhrt,
ſo muß ein vernuͤnfftiger Menſch auch diejenige Eh-
re, die er andern ertheilt, annehmen, oder er unter-
wirfft ſich ſonſt einer allgemeinen Verachtung/
und entziehet ſich einen groſſen Theil ſeiner aͤußerli-
chen Gluͤckſeeligkeit, vor deren Erhaltung er beſorgt
ſeyn muß. Die von hoͤherm Stande wuͤrden die-
ſe große Sittſamkeit vor eine Wuͤrckung einer Nie-
dertraͤchtigkeit anſehen, welche ebenfalls ein Laſter
iſt, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, ſie duͤrfften
ihm hernach vielleicht allzuviel denotiren und Ge-
horſam abfordern. Die mit ihm von gleichem
Stande, wuͤrden unwillig auf ihn werden, daß er
dieſes, welches ſeinen Umſtaͤnden zukaͤme, nicht an-
nehmen wolte, ſie wuͤrden es ihm vor eine Nieder-
traͤchtigkeit auslegen, ihn deßhalben vor einen Son-
derling anſehen, und ſich ſeiner Geſellſchafft ſchaͤ-
men, ſie wuͤrden ihn gehaͤßig werden, und glau-
ben, daß ihnen hiedurch ſelber etwas entzogen wer-
den moͤchte, der Poͤbel wuͤrde ſich dieſer Sittſam-
keit und Demuth mißbrauchen; Wolte einer ge-

wiſſe
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem <hi rendition="#aq">Titul-</hi>We&#x017F;en und <hi rendition="#aq">Prædicat</hi>en.</hi></fw><lb/>
er eine neue Wei&#x017F;e, die den go&#x0364;ttlichen und natu&#x0364;rli-<lb/>
chen Ge&#x017F;etzen nicht zuwider, mit machen und nach-<lb/>
ahmen muß, will er &#x017F;ich nicht bey der Welt ver&#x017F;pot-<lb/>
ten la&#x017F;&#x017F;en, und manche verla&#x0364;umderi&#x017F;che Urtheile<lb/>
wieder &#x017F;ich vernehmen. Al&#x017F;o liebt mancher die<lb/>
Demuth und Sitt&#x017F;amkeit, und findet an dem<lb/>
a&#x0364;ußerlichen Wort-Gepra&#x0364;nge kein Vergnu&#x0364;gen.<lb/>
Da aber eine allgemeine und durchga&#x0364;ngige Ge-<lb/>
wohnheit gewi&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Titulatur</hi>en nach dem Unter-<lb/>
&#x017F;cheid des Standes und der Bedienung eingefu&#x0364;hrt,<lb/>
&#x017F;o muß ein vernu&#x0364;nfftiger Men&#x017F;ch auch diejenige Eh-<lb/>
re, die er andern ertheilt, annehmen, oder er unter-<lb/>
wirfft &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t einer allgemeinen Verachtung/<lb/>
und entziehet &#x017F;ich einen gro&#x017F;&#x017F;en Theil &#x017F;einer a&#x0364;ußerli-<lb/>
chen Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit, vor deren Erhaltung er be&#x017F;orgt<lb/>
&#x017F;eyn muß. Die von ho&#x0364;herm Stande wu&#x0364;rden die-<lb/>
&#x017F;e große Sitt&#x017F;amkeit vor eine Wu&#x0364;rckung einer Nie-<lb/>
dertra&#x0364;chtigkeit an&#x017F;ehen, welche ebenfalls ein La&#x017F;ter<lb/>
i&#x017F;t, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, &#x017F;ie du&#x0364;rfften<lb/>
ihm hernach vielleicht allzuviel <hi rendition="#aq">denoti</hi>ren und Ge-<lb/>
hor&#x017F;am abfordern. Die mit ihm von gleichem<lb/>
Stande, wu&#x0364;rden unwillig auf ihn werden, daß er<lb/>
die&#x017F;es, welches &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;nden zuka&#x0364;me, nicht an-<lb/>
nehmen wolte, &#x017F;ie wu&#x0364;rden es ihm vor eine Nieder-<lb/>
tra&#x0364;chtigkeit auslegen, ihn deßhalben vor einen Son-<lb/>
derling an&#x017F;ehen, und &#x017F;ich &#x017F;einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft &#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
men, &#x017F;ie wu&#x0364;rden ihn geha&#x0364;ßig werden, und glau-<lb/>
ben, daß ihnen hiedurch &#x017F;elber etwas entzogen wer-<lb/>
den mo&#x0364;chte, der Po&#x0364;bel wu&#x0364;rde &#x017F;ich die&#x017F;er Sitt&#x017F;am-<lb/>
keit und Demuth mißbrauchen; Wolte einer ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wi&#x017F;&#x017F;e</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0087] Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. er eine neue Weiſe, die den goͤttlichen und natuͤrli- chen Geſetzen nicht zuwider, mit machen und nach- ahmen muß, will er ſich nicht bey der Welt verſpot- ten laſſen, und manche verlaͤumderiſche Urtheile wieder ſich vernehmen. Alſo liebt mancher die Demuth und Sittſamkeit, und findet an dem aͤußerlichen Wort-Gepraͤnge kein Vergnuͤgen. Da aber eine allgemeine und durchgaͤngige Ge- wohnheit gewiſſe Titulaturen nach dem Unter- ſcheid des Standes und der Bedienung eingefuͤhrt, ſo muß ein vernuͤnfftiger Menſch auch diejenige Eh- re, die er andern ertheilt, annehmen, oder er unter- wirfft ſich ſonſt einer allgemeinen Verachtung/ und entziehet ſich einen groſſen Theil ſeiner aͤußerli- chen Gluͤckſeeligkeit, vor deren Erhaltung er beſorgt ſeyn muß. Die von hoͤherm Stande wuͤrden die- ſe große Sittſamkeit vor eine Wuͤrckung einer Nie- dertraͤchtigkeit anſehen, welche ebenfalls ein Laſter iſt, wie aus der Tugend-Lehre bekandt, ſie duͤrfften ihm hernach vielleicht allzuviel denotiren und Ge- horſam abfordern. Die mit ihm von gleichem Stande, wuͤrden unwillig auf ihn werden, daß er dieſes, welches ſeinen Umſtaͤnden zukaͤme, nicht an- nehmen wolte, ſie wuͤrden es ihm vor eine Nieder- traͤchtigkeit auslegen, ihn deßhalben vor einen Son- derling anſehen, und ſich ſeiner Geſellſchafft ſchaͤ- men, ſie wuͤrden ihn gehaͤßig werden, und glau- ben, daß ihnen hiedurch ſelber etwas entzogen wer- den moͤchte, der Poͤbel wuͤrde ſich dieſer Sittſam- keit und Demuth mißbrauchen; Wolte einer ge- wiſſe E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/87
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/87>, abgerufen am 23.11.2024.