Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Theil. III. Capitul.

§. 14. Nachdem man heutiges Tages bey den
Benennungen, die man dem andern zu seinen Eh-
ren beylegen will, nicht mehr auf die Verdienste,
wie vor diesem, sondern grösten Theils auf sein eigen
Interesse siehet, wie man den andern etwann zu
Beförderung seiner Absichten gebrauchen kan, und
einem jeden eine ziemlich unumschränckte Freyheit
hierinne zustehet, so trifft wohl bey der gantzen Welt
ein, was Guevarra in seiner Beschreibung des Hof-
und Land-Lebens p. 76. nur von dem Hofe sagt:
Es will ein jedweder nur ein Wider-Täufer seyn, in
Mittheilung und Veränderung der Nahmen. Ei-
nen Hoffärtigen, nennt man Edel und Vest, einen
Verschwender, Achtbar und Fürnehm, einen Ver-
zagten, einen strengen Herrn, einen Unbarmhertzi-
und Gestrengen, einen Gnädigen Herrn, einen
Heuchler, Fürsichtig, einen Ertz-Bösewicht, Hoch-
weise, einen Zungendrescher, Hochgelahrt, einen
Ehebrecher, einen Menschen der sich beliebt zu ma-
chen weiß, einen Hanß in allen Gassen, einen Emsi-
gen, einen Schwätzer, beredt, einen Geitzhalß,
häußlich und sparsam, und einen stillen Menschen
heist man einen Narren.

§. 15. Mit Annehmung der Titulaturen gehet
es fast wie mit den Moden, mancher haßt eine Mode
in seinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an ei-
ner Veränderung, die grösten Theils aus der
Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt, er
wird aber von der grossen Menge eitler und Verän-
derung-liebender Leute mit Gewalt fürgerissen, daß

er
I. Theil. III. Capitul.

§. 14. Nachdem man heutiges Tages bey den
Benennungen, die man dem andern zu ſeinen Eh-
ren beylegen will, nicht mehr auf die Verdienſte,
wie vor dieſem, ſondern groͤſten Theils auf ſein eigen
Intereſſe ſiehet, wie man den andern etwann zu
Befoͤrderung ſeiner Abſichten gebrauchen kan, und
einem jeden eine ziemlich unumſchraͤnckte Freyheit
hierinne zuſtehet, ſo trifft wohl bey der gantzen Welt
ein, was Guevarra in ſeiner Beſchreibung des Hof-
und Land-Lebens p. 76. nur von dem Hofe ſagt:
Es will ein jedweder nur ein Wider-Taͤufer ſeyn, in
Mittheilung und Veraͤnderung der Nahmen. Ei-
nen Hoffaͤrtigen, nennt man Edel und Veſt, einen
Verſchwender, Achtbar und Fuͤrnehm, einen Ver-
zagten, einen ſtrengen Herrn, einen Unbarmhertzi-
und Geſtrengen, einen Gnaͤdigen Herrn, einen
Heuchler, Fuͤrſichtig, einen Ertz-Boͤſewicht, Hoch-
weiſe, einen Zungendreſcher, Hochgelahrt, einen
Ehebrecher, einen Menſchen der ſich beliebt zu ma-
chen weiß, einen Hanß in allen Gaſſen, einen Emſi-
gen, einen Schwaͤtzer, beredt, einen Geitzhalß,
haͤußlich und ſparſam, und einen ſtillen Menſchen
heiſt man einen Narren.

§. 15. Mit Annehmung der Titulaturen gehet
es faſt wie mit den Moden, mancher haßt eine Mode
in ſeinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an ei-
ner Veraͤnderung, die groͤſten Theils aus der
Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt, er
wird aber von der groſſen Menge eitler und Veraͤn-
derung-liebender Leute mit Gewalt fuͤrgeriſſen, daß

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0086" n="66"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Theil. <hi rendition="#aq">III.</hi> Capitul.</hi> </fw><lb/>
        <p>§. 14. Nachdem man heutiges Tages bey den<lb/>
Benennungen, die man dem andern zu &#x017F;einen Eh-<lb/>
ren beylegen will, nicht mehr auf die Verdien&#x017F;te,<lb/>
wie vor die&#x017F;em, &#x017F;ondern gro&#x0364;&#x017F;ten Theils auf &#x017F;ein eigen<lb/><hi rendition="#aq">Intere&#x017F;&#x017F;e</hi> &#x017F;iehet, wie man den andern etwann zu<lb/>
Befo&#x0364;rderung &#x017F;einer Ab&#x017F;ichten gebrauchen kan, und<lb/>
einem jeden eine ziemlich unum&#x017F;chra&#x0364;nckte Freyheit<lb/>
hierinne zu&#x017F;tehet, &#x017F;o trifft wohl bey der gantzen Welt<lb/>
ein, was <hi rendition="#aq">Guevarra</hi> in &#x017F;einer Be&#x017F;chreibung des Hof-<lb/>
und Land-Lebens <hi rendition="#aq">p.</hi> 76. nur von dem Hofe &#x017F;agt:<lb/>
Es will ein jedweder nur ein Wider-Ta&#x0364;ufer &#x017F;eyn, in<lb/>
Mittheilung und Vera&#x0364;nderung der Nahmen. Ei-<lb/>
nen Hoffa&#x0364;rtigen, nennt man Edel und Ve&#x017F;t, einen<lb/>
Ver&#x017F;chwender, Achtbar und Fu&#x0364;rnehm, einen Ver-<lb/>
zagten, einen &#x017F;trengen Herrn, einen Unbarmhertzi-<lb/>
und Ge&#x017F;trengen, einen Gna&#x0364;digen Herrn, einen<lb/>
Heuchler, Fu&#x0364;r&#x017F;ichtig, einen Ertz-Bo&#x0364;&#x017F;ewicht, Hoch-<lb/>
wei&#x017F;e, einen Zungendre&#x017F;cher, Hochgelahrt, einen<lb/>
Ehebrecher, einen Men&#x017F;chen der &#x017F;ich beliebt zu ma-<lb/>
chen weiß, einen Hanß in allen Ga&#x017F;&#x017F;en, einen Em&#x017F;i-<lb/>
gen, einen Schwa&#x0364;tzer, beredt, einen Geitzhalß,<lb/>
ha&#x0364;ußlich und &#x017F;par&#x017F;am, und einen &#x017F;tillen Men&#x017F;chen<lb/>
hei&#x017F;t man einen Narren.</p><lb/>
        <p>§. 15. Mit Annehmung der <hi rendition="#aq">Titulatur</hi>en gehet<lb/>
es fa&#x017F;t wie mit den <hi rendition="#aq">Mod</hi>en, mancher haßt eine <hi rendition="#aq">Mode</hi><lb/>
in &#x017F;einem Hertzen, und findet keinen Gefallen an ei-<lb/>
ner Vera&#x0364;nderung, die gro&#x0364;&#x017F;ten Theils aus der<lb/>
Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt, er<lb/>
wird aber von der gro&#x017F;&#x017F;en Menge eitler und Vera&#x0364;n-<lb/>
derung-liebender Leute mit Gewalt fu&#x0364;rgeri&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0086] I. Theil. III. Capitul. §. 14. Nachdem man heutiges Tages bey den Benennungen, die man dem andern zu ſeinen Eh- ren beylegen will, nicht mehr auf die Verdienſte, wie vor dieſem, ſondern groͤſten Theils auf ſein eigen Intereſſe ſiehet, wie man den andern etwann zu Befoͤrderung ſeiner Abſichten gebrauchen kan, und einem jeden eine ziemlich unumſchraͤnckte Freyheit hierinne zuſtehet, ſo trifft wohl bey der gantzen Welt ein, was Guevarra in ſeiner Beſchreibung des Hof- und Land-Lebens p. 76. nur von dem Hofe ſagt: Es will ein jedweder nur ein Wider-Taͤufer ſeyn, in Mittheilung und Veraͤnderung der Nahmen. Ei- nen Hoffaͤrtigen, nennt man Edel und Veſt, einen Verſchwender, Achtbar und Fuͤrnehm, einen Ver- zagten, einen ſtrengen Herrn, einen Unbarmhertzi- und Geſtrengen, einen Gnaͤdigen Herrn, einen Heuchler, Fuͤrſichtig, einen Ertz-Boͤſewicht, Hoch- weiſe, einen Zungendreſcher, Hochgelahrt, einen Ehebrecher, einen Menſchen der ſich beliebt zu ma- chen weiß, einen Hanß in allen Gaſſen, einen Emſi- gen, einen Schwaͤtzer, beredt, einen Geitzhalß, haͤußlich und ſparſam, und einen ſtillen Menſchen heiſt man einen Narren. §. 15. Mit Annehmung der Titulaturen gehet es faſt wie mit den Moden, mancher haßt eine Mode in ſeinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an ei- ner Veraͤnderung, die groͤſten Theils aus der Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt, er wird aber von der groſſen Menge eitler und Veraͤn- derung-liebender Leute mit Gewalt fuͤrgeriſſen, daß er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/86
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/86>, abgerufen am 15.05.2024.