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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718.

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§. 8. Die Klugheit der Landes-Fürsten,
oder die Staats-Klugheit, ist eine Geschicklig-
keit des Verstandes, vermöge welcher Regen-
ten fähig sind, nicht allein ihre eigene, sondern
auch ihrer sämmtlichen Unterthanen wahre
Glückseeligkeit zu befördern. Es ist dieselbi-
ge viel weitläufftiger und schwerer, als die
Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta,
mit welchen sie umgehet. Die Fauten, die
bey der Staats-Klugheit vorgehen, sind viel
eclatanter und wichtiger, als die Versehen der
Privat-Klugheit. Denn bey dieser leidet
nur eine eintzige Person, bey jener aber wohl
bißweilen etliche tausend Menschen, werden
auch eher public und von andern observiret,
denn jene. Sie wird auch sonst raison d'Etat
genennt, und ist wiederum eine wahre oder fal-
sche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu
ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht
glücklich seyn, wenn er nicht auch zugleich auf
die Glückseeligkeit und das Wohl seiner Unter-
thanen sein Absehen mit richtet. Die falsche
aber: Ein Regente muß seinen Passionen Sa-
tisfaction
leisten, es mag alles drunter oder
drüber gehen, sein Land darüber ruiniret wer-
den, oder nicht, wenn er nur seinen Zweck er-
hält, und seinen Willen hat.

§. 9. Ferner läst sich auch die Staats-

Klug-


§. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten,
oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig-
keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen-
ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern
auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre
Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi-
ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die
Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta,
mit welchen ſie umgehet. Die Fauten, die
bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel
eclatanter und wichtiger, als die Verſehen der
Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet
nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl
bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden
auch eher public und von andern obſerviret,
denn jene. Sie wird auch ſonſt raiſon d’Etat
genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal-
ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu
ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht
gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf
die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter-
thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche
aber: Ein Regente muß ſeinen Paſſionen Sa-
tisfaction
leiſten, es mag alles drunter oder
druͤber gehen, ſein Land daruͤber ruiniret wer-
den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er-
haͤlt, und ſeinen Willen hat.

§. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats-

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[11/0031] §. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten, oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig- keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen- ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi- ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta, mit welchen ſie umgehet. Die Fauten, die bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel eclatanter und wichtiger, als die Verſehen der Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden auch eher public und von andern obſerviret, denn jene. Sie wird auch ſonſt raiſon d’Etat genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal- ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter- thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche aber: Ein Regente muß ſeinen Paſſionen Sa- tisfaction leiſten, es mag alles drunter oder druͤber gehen, ſein Land daruͤber ruiniret wer- den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er- haͤlt, und ſeinen Willen hat. §. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats- Klug-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/31>, abgerufen am 21.11.2024.