gantz deutlich, daß der Pietismus leider! eine Secte sey, so vor ein dreyßig Jahren in Teutsch- land sich entsponnen, und haben demnach die Evangelisch-Lutherischen Potentaten, sowohl außer Teutschland als in demselben, die gröste Raison gehabt, solchen durch scharffe Edicta und Verordnungen zu verbiethen, die Leute vor den verführischen und sectirischen Mey- nungen der Pietisten zu warnen und dieselben bey der Einigkeit der wahren und seligmachen- den Religion zu erhalten. Ob gleich die Ev- angelischen Regenten in ihren Ländern alle Anstalten vorgekehret und durch GOttes Gnade dem tummen Pietismo und Fanaticis- mo ziemlichen Einhalt gethan, so hat dennoch der subtile und grobe Pietismus sich leider! wie der fressende Krebs, so ausgebreitet, daß heutiges Tages gantze Theologische Facul- täten und Universitäten einander zuwider sind. GOtt gebe! daß nicht gantze Provintzien da- von angesteckt werden und aneinander gera- then. Es wollen zwar die Pietisten nicht ge- stehen, daß der Pietismus eine Secte sey, mey- nen, es wäre ein Ens rationis und bestünde in der blossen Phantasie der Leute. Es wäre zu wünschen, daß es wahr wäre, aber die Edicta, die wider dieselben ergangen, zeigen gar ein anders, und ist es vor ein Kennzeichen eines
Pieti-
gantz deutlich, daß der Pietiſmus leider! eine Secte ſey, ſo vor ein dreyßig Jahren in Teutſch- land ſich entſponnen, und haben demnach die Evangeliſch-Lutheriſchen Potentaten, ſowohl außer Teutſchland als in demſelben, die groͤſte Raiſon gehabt, ſolchen durch ſcharffe Edicta und Verordnungen zu verbiethen, die Leute vor den verfuͤhriſchen und ſectiriſchen Mey- nungen der Pietiſten zu warnen und dieſelben bey der Einigkeit der wahren und ſeligmachen- den Religion zu erhalten. Ob gleich die Ev- angeliſchen Regenten in ihren Laͤndern alle Anſtalten vorgekehret und durch GOttes Gnade dem tummen Pietiſmo und Fanaticiſ- mo ziemlichen Einhalt gethan, ſo hat dennoch der ſubtile und grobe Pietiſmus ſich leider! wie der freſſende Krebs, ſo ausgebreitet, daß heutiges Tages gantze Theologiſche Facul- taͤten und Univerſitaͤten einander zuwider ſind. GOtt gebe! daß nicht gantze Provintzien da- von angeſteckt werden und aneinander gera- then. Es wollen zwar die Pietiſten nicht ge- ſtehen, daß der Pietiſmus eine Secte ſey, mey- nen, es waͤre ein Ens rationis und beſtuͤnde in der bloſſen Phantaſie der Leute. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß es wahr waͤre, aber die Edicta, die wider dieſelben ergangen, zeigen gar ein anders, und iſt es vor ein Kennzeichen eines
Pieti-
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gantz deutlich, daß der Pietiſmus leider! eine
Secte ſey, ſo vor ein dreyßig Jahren in Teutſch-
land ſich entſponnen, und haben demnach die
Evangeliſch-Lutheriſchen Potentaten, ſowohl
außer Teutſchland als in demſelben, die groͤſte
Raiſon gehabt, ſolchen durch ſcharffe Edicta
und Verordnungen zu verbiethen, die Leute
vor den verfuͤhriſchen und ſectiriſchen Mey-
nungen der Pietiſten zu warnen und dieſelben
bey der Einigkeit der wahren und ſeligmachen-
den Religion zu erhalten. Ob gleich die Ev-
angeliſchen Regenten in ihren Laͤndern alle
Anſtalten vorgekehret und durch GOttes
Gnade dem tummen Pietiſmo und Fanaticiſ-
mo ziemlichen Einhalt gethan, ſo hat dennoch
der ſubtile und grobe Pietiſmus ſich leider!
wie der freſſende Krebs, ſo ausgebreitet, daß
heutiges Tages gantze Theologiſche Facul-
taͤten und Univerſitaͤten einander zuwider ſind.
GOtt gebe! daß nicht gantze Provintzien da-
von angeſteckt werden und aneinander gera-
then. Es wollen zwar die Pietiſten nicht ge-
ſtehen, daß der Pietiſmus eine Secte ſey, mey-
nen, es waͤre ein Ens rationis und beſtuͤnde in
der bloſſen Phantaſie der Leute. Es waͤre zu
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die wider dieſelben ergangen, zeigen gar ein
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/371>, abgerufen am 22.11.2024.
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