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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718.

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erlernen, und, so zu reden, Schüler werden müs-
sen, wenn sie nicht mehr nach dem alten Schlen-
drian sprechen dürfften. Ja offtmahls, wenn
sie gleich selbst die Neurung auf alle Weise vor
gut erkennten und wünschten, so widersetzten sie
sich dennoch, nicht weil es eine Neurung wäre,
sondern weil sie nicht von ihnen herkäme, damit
nicht etwan ihr Respect verringert werden
möchte, wenn es schiene, als wäre ihre Ver-
sammlung capable, etwas nicht zu wissen. Es
sey aber nichts gewissers, als daß die Wahr-
heit sich eher eintzelnen Personen, als vielen zu-
gleich offenbahrete, und könte man in der Histo-
rie fast bey allen wichtigen Veränderungen, so-
wohl im bürgerlichen Wesen, als in den Wis-
senschafften sehen, daß sie von eintzelnen oder
doch wenigen Personen zuerst unternommen
worden, und daß diejenigen, welche wegen Ab-
schaffung der alten Mißbräuche gantze Colle-
gia
um Rath gefragt, sich insgemein sehr übel
addressiret hätten. Die Anzahl derer, wel-
che weiter sähen, als ihre Lehr-Meister, pflegte
iederzeit auch in Collegiis die geringste zu seyn,
dahero diejenigen, welche etwas geändert wis-
sen wolten, als Novatores verfolgt, und ihre
Vorschläge durch die meisten Stimmen der an-
dern, theils aus Unwissenheit, theils auch aus
Personal-Haß zu mercklichen Schaden des ge-

meinen



erlernen, und, ſo zu reden, Schuͤler werden muͤſ-
ſen, wenn ſie nicht mehr nach dem alten Schlen-
drian ſprechen duͤrfften. Ja offtmahls, wenn
ſie gleich ſelbſt die Neurung auf alle Weiſe vor
gut erkennten und wuͤnſchten, ſo widerſetzten ſie
ſich dennoch, nicht weil es eine Neurung waͤre,
ſondern weil ſie nicht von ihnen herkaͤme, damit
nicht etwan ihr Reſpect verringert werden
moͤchte, wenn es ſchiene, als waͤre ihre Ver-
ſammlung capable, etwas nicht zu wiſſen. Es
ſey aber nichts gewiſſers, als daß die Wahr-
heit ſich eher eintzelnen Perſonen, als vielen zu-
gleich offenbahrete, und koͤnte man in der Hiſto-
rie faſt bey allen wichtigen Veraͤnderungen, ſo-
wohl im buͤrgerlichen Weſen, als in den Wiſ-
ſenſchafften ſehen, daß ſie von eintzelnen oder
doch wenigen Perſonen zuerſt unternommen
worden, und daß diejenigen, welche wegen Ab-
ſchaffung der alten Mißbraͤuche gantze Colle-
gia
um Rath gefragt, ſich insgemein ſehr uͤbel
addreſſiret haͤtten. Die Anzahl derer, wel-
che weiter ſaͤhen, als ihre Lehr-Meiſter, pflegte
iederzeit auch in Collegiis die geringſte zu ſeyn,
dahero diejenigen, welche etwas geaͤndert wiſ-
ſen wolten, als Novatores verfolgt, und ihre
Vorſchlaͤge durch die meiſten Stimmen der an-
dern, theils aus Unwiſſenheit, theils auch aus
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[578/0598] erlernen, und, ſo zu reden, Schuͤler werden muͤſ- ſen, wenn ſie nicht mehr nach dem alten Schlen- drian ſprechen duͤrfften. Ja offtmahls, wenn ſie gleich ſelbſt die Neurung auf alle Weiſe vor gut erkennten und wuͤnſchten, ſo widerſetzten ſie ſich dennoch, nicht weil es eine Neurung waͤre, ſondern weil ſie nicht von ihnen herkaͤme, damit nicht etwan ihr Reſpect verringert werden moͤchte, wenn es ſchiene, als waͤre ihre Ver- ſammlung capable, etwas nicht zu wiſſen. Es ſey aber nichts gewiſſers, als daß die Wahr- heit ſich eher eintzelnen Perſonen, als vielen zu- gleich offenbahrete, und koͤnte man in der Hiſto- rie faſt bey allen wichtigen Veraͤnderungen, ſo- wohl im buͤrgerlichen Weſen, als in den Wiſ- ſenſchafften ſehen, daß ſie von eintzelnen oder doch wenigen Perſonen zuerſt unternommen worden, und daß diejenigen, welche wegen Ab- ſchaffung der alten Mißbraͤuche gantze Colle- gia um Rath gefragt, ſich insgemein ſehr uͤbel addreſſiret haͤtten. Die Anzahl derer, wel- che weiter ſaͤhen, als ihre Lehr-Meiſter, pflegte iederzeit auch in Collegiis die geringſte zu ſeyn, dahero diejenigen, welche etwas geaͤndert wiſ- ſen wolten, als Novatores verfolgt, und ihre Vorſchlaͤge durch die meiſten Stimmen der an- dern, theils aus Unwiſſenheit, theils auch aus Perſonal-Haß zu mercklichen Schaden des ge- meinen

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/598>, abgerufen am 26.06.2024.