Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

chengestalten bei der Arbeit in Hof und Garten. Das Auge weiß nicht, wo es hinsehen soll, so reich ist die Mannichfaltigkeit, so einzig die Zusammenstellung und Verschmelzung von Dorf, Wald und Wasser in der Landschaft. Wüßtet ihr nur, was ihr hier lernen könntet, ihr Maler! Ihr müßt den Schnee der Alpen, ihr müßt die Wunder des fernen Südens sehen -- nun wohl, ihr müßt, aber ihr verschmäht oder wißt nicht, welch ein Reichthum für euren Griffel hier in nächster Nähe liegt. Ihr braucht nur abzuschreiben, und das Bild ist fertig. Aber freilich, was hundert Meilen weit entfernt liegt, wird immer als das Schönere und Ersehnenswerthere gelten, und der Mensch vergißt, daß er das Gute so nahe hat. Erst wer in der Fremde Großes und Viel gesehen hat, kehrt mit geläutertem Auge zur bescheideneren Heimath zurück. Bildung macht wohlwollend und anerkennend, wie im Leben so in der künstlerischen Naturbetrachtung. Für sie bedarf es nicht des Apparates gewaltiger Erscheinungen. Was aus einfachen Mitteln sich harmonisch zum Ganzen verbindet, gilt ihr eben so viel als das, was die Natur in großen, erhabenen Zügen dichtet. Das Vergleichen ist die beliebteste und doch unglücklichste Kritik des Laien oder gedankenlosen Halbgebildeten. Bringt nur die Reinheit des Gemüthes mit und die unentweihte Genußfähigkeit für das Schöne, und ihr werdet, wenn ihr schon das Große und Er-

chengestalten bei der Arbeit in Hof und Garten. Das Auge weiß nicht, wo es hinsehen soll, so reich ist die Mannichfaltigkeit, so einzig die Zusammenstellung und Verschmelzung von Dorf, Wald und Wasser in der Landschaft. Wüßtet ihr nur, was ihr hier lernen könntet, ihr Maler! Ihr müßt den Schnee der Alpen, ihr müßt die Wunder des fernen Südens sehen — nun wohl, ihr müßt, aber ihr verschmäht oder wißt nicht, welch ein Reichthum für euren Griffel hier in nächster Nähe liegt. Ihr braucht nur abzuschreiben, und das Bild ist fertig. Aber freilich, was hundert Meilen weit entfernt liegt, wird immer als das Schönere und Ersehnenswerthere gelten, und der Mensch vergißt, daß er das Gute so nahe hat. Erst wer in der Fremde Großes und Viel gesehen hat, kehrt mit geläutertem Auge zur bescheideneren Heimath zurück. Bildung macht wohlwollend und anerkennend, wie im Leben so in der künstlerischen Naturbetrachtung. Für sie bedarf es nicht des Apparates gewaltiger Erscheinungen. Was aus einfachen Mitteln sich harmonisch zum Ganzen verbindet, gilt ihr eben so viel als das, was die Natur in großen, erhabenen Zügen dichtet. Das Vergleichen ist die beliebteste und doch unglücklichste Kritik des Laien oder gedankenlosen Halbgebildeten. Bringt nur die Reinheit des Gemüthes mit und die unentweihte Genußfähigkeit für das Schöne, und ihr werdet, wenn ihr schon das Große und Er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0019"/>
chengestalten bei der Arbeit in Hof                und Garten. Das Auge weiß nicht, wo es hinsehen soll, so reich ist die                Mannichfaltigkeit, so einzig die Zusammenstellung und Verschmelzung von Dorf, Wald                und Wasser in der Landschaft. Wüßtet ihr nur, was ihr hier lernen könntet, ihr Maler!                Ihr müßt den Schnee der Alpen, ihr müßt die Wunder des fernen Südens sehen &#x2014; nun                wohl, ihr müßt, aber ihr verschmäht oder wißt nicht, welch ein Reichthum für euren                Griffel hier in nächster Nähe liegt. Ihr braucht nur abzuschreiben, und das Bild ist                fertig. Aber freilich, was hundert Meilen weit entfernt liegt, wird immer als das                Schönere und Ersehnenswerthere gelten, und der Mensch vergißt, daß er das Gute so                nahe hat. Erst wer in der Fremde Großes und Viel gesehen hat, kehrt mit geläutertem                Auge zur bescheideneren Heimath zurück. Bildung macht wohlwollend und anerkennend,                wie im Leben so in der künstlerischen Naturbetrachtung. Für sie bedarf es nicht des                Apparates gewaltiger Erscheinungen. Was aus einfachen Mitteln sich harmonisch zum                Ganzen verbindet, gilt ihr eben so viel als das, was die Natur in großen, erhabenen                Zügen dichtet. Das Vergleichen ist die beliebteste und doch unglücklichste Kritik des                Laien oder gedankenlosen Halbgebildeten. Bringt nur die Reinheit des Gemüthes mit und                die unentweihte Genußfähigkeit für das Schöne, und ihr werdet, wenn ihr schon das                Große und Er-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] chengestalten bei der Arbeit in Hof und Garten. Das Auge weiß nicht, wo es hinsehen soll, so reich ist die Mannichfaltigkeit, so einzig die Zusammenstellung und Verschmelzung von Dorf, Wald und Wasser in der Landschaft. Wüßtet ihr nur, was ihr hier lernen könntet, ihr Maler! Ihr müßt den Schnee der Alpen, ihr müßt die Wunder des fernen Südens sehen — nun wohl, ihr müßt, aber ihr verschmäht oder wißt nicht, welch ein Reichthum für euren Griffel hier in nächster Nähe liegt. Ihr braucht nur abzuschreiben, und das Bild ist fertig. Aber freilich, was hundert Meilen weit entfernt liegt, wird immer als das Schönere und Ersehnenswerthere gelten, und der Mensch vergißt, daß er das Gute so nahe hat. Erst wer in der Fremde Großes und Viel gesehen hat, kehrt mit geläutertem Auge zur bescheideneren Heimath zurück. Bildung macht wohlwollend und anerkennend, wie im Leben so in der künstlerischen Naturbetrachtung. Für sie bedarf es nicht des Apparates gewaltiger Erscheinungen. Was aus einfachen Mitteln sich harmonisch zum Ganzen verbindet, gilt ihr eben so viel als das, was die Natur in großen, erhabenen Zügen dichtet. Das Vergleichen ist die beliebteste und doch unglücklichste Kritik des Laien oder gedankenlosen Halbgebildeten. Bringt nur die Reinheit des Gemüthes mit und die unentweihte Genußfähigkeit für das Schöne, und ihr werdet, wenn ihr schon das Große und Er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/19
Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/19>, abgerufen am 03.12.2024.