Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.chen anstellen und beobachtete inzwischen unsern Kahnführer. Victor saß mit dem Rücken gegen ihn, während ich dem Kosaken das Gesicht zuwendete. Und so bemerkte ich denn, daß er aufmerksam auf unser Gespräch geworden war. So oft der Name Schlangenkönigin genannt wurde, lag sein Blick lauernd auf Victor, ja ich glaubte einen immer wachsenden Ingrimm in demselben zu lesen. Es war unverkennbar, daß auch Sardok seine Vermuthungen anstellte und einen Grund zum Argwohn gegen uns zu haben glaubte. Es hätte nahe gelegen, ihn nach der Schlangenkönigin zu fragen, indessen suchte ich das Gespräch auf andere Dinge zu bringen, da mir Victors Interesse als ein eingebildetes erschien. Ich kannte seine Leichtfertigkeit und wünschte ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen. Zwei Stunden hatten wir zurückgelegt, der Wald war lichter geworden, und schon fuhren wir durch einen Verbindungskanal zwischen Wiesen dem eigentlichen Flußbett der Spree entgegen. Ich habe zu sagen vergessen, daß wir nicht nach Leipe, sondern nach Lübbenau zurück steuerten. Es war Sonntag, und da Leipe keine Kirche hat und die ganze Gemeinde die Predigt in Lübbenau besucht, so sah ich voraus, daß wir auch den Schullehrer daselbst eher finden würden, als in seinem Wohnorte. Schon hörten wir die Glocken läuten. Feierlich klangen sie durch die weite Stille. Der Thau hing an dem üppigen Graswuchs der Wiesen, der Wald verschwamm in der Entfernung im blauen chen anstellen und beobachtete inzwischen unsern Kahnführer. Victor saß mit dem Rücken gegen ihn, während ich dem Kosaken das Gesicht zuwendete. Und so bemerkte ich denn, daß er aufmerksam auf unser Gespräch geworden war. So oft der Name Schlangenkönigin genannt wurde, lag sein Blick lauernd auf Victor, ja ich glaubte einen immer wachsenden Ingrimm in demselben zu lesen. Es war unverkennbar, daß auch Sardok seine Vermuthungen anstellte und einen Grund zum Argwohn gegen uns zu haben glaubte. Es hätte nahe gelegen, ihn nach der Schlangenkönigin zu fragen, indessen suchte ich das Gespräch auf andere Dinge zu bringen, da mir Victors Interesse als ein eingebildetes erschien. Ich kannte seine Leichtfertigkeit und wünschte ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen. Zwei Stunden hatten wir zurückgelegt, der Wald war lichter geworden, und schon fuhren wir durch einen Verbindungskanal zwischen Wiesen dem eigentlichen Flußbett der Spree entgegen. Ich habe zu sagen vergessen, daß wir nicht nach Leipe, sondern nach Lübbenau zurück steuerten. Es war Sonntag, und da Leipe keine Kirche hat und die ganze Gemeinde die Predigt in Lübbenau besucht, so sah ich voraus, daß wir auch den Schullehrer daselbst eher finden würden, als in seinem Wohnorte. Schon hörten wir die Glocken läuten. Feierlich klangen sie durch die weite Stille. Der Thau hing an dem üppigen Graswuchs der Wiesen, der Wald verschwamm in der Entfernung im blauen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0035"/> chen anstellen und beobachtete inzwischen unsern Kahnführer. Victor saß mit dem Rücken gegen ihn, während ich dem Kosaken das Gesicht zuwendete. Und so bemerkte ich denn, daß er aufmerksam auf unser Gespräch geworden war. So oft der Name Schlangenkönigin genannt wurde, lag sein Blick lauernd auf Victor, ja ich glaubte einen immer wachsenden Ingrimm in demselben zu lesen. Es war unverkennbar, daß auch Sardok seine Vermuthungen anstellte und einen Grund zum Argwohn gegen uns zu haben glaubte. Es hätte nahe gelegen, ihn nach der Schlangenkönigin zu fragen, indessen suchte ich das Gespräch auf andere Dinge zu bringen, da mir Victors Interesse als ein eingebildetes erschien. Ich kannte seine Leichtfertigkeit und wünschte ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen.</p><lb/> <p>Zwei Stunden hatten wir zurückgelegt, der Wald war lichter geworden, und schon fuhren wir durch einen Verbindungskanal zwischen Wiesen dem eigentlichen Flußbett der Spree entgegen. Ich habe zu sagen vergessen, daß wir nicht nach Leipe, sondern nach Lübbenau zurück steuerten. Es war Sonntag, und da Leipe keine Kirche hat und die ganze Gemeinde die Predigt in Lübbenau besucht, so sah ich voraus, daß wir auch den Schullehrer daselbst eher finden würden, als in seinem Wohnorte. Schon hörten wir die Glocken läuten. Feierlich klangen sie durch die weite Stille. Der Thau hing an dem üppigen Graswuchs der Wiesen, der Wald verschwamm in der Entfernung im blauen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
chen anstellen und beobachtete inzwischen unsern Kahnführer. Victor saß mit dem Rücken gegen ihn, während ich dem Kosaken das Gesicht zuwendete. Und so bemerkte ich denn, daß er aufmerksam auf unser Gespräch geworden war. So oft der Name Schlangenkönigin genannt wurde, lag sein Blick lauernd auf Victor, ja ich glaubte einen immer wachsenden Ingrimm in demselben zu lesen. Es war unverkennbar, daß auch Sardok seine Vermuthungen anstellte und einen Grund zum Argwohn gegen uns zu haben glaubte. Es hätte nahe gelegen, ihn nach der Schlangenkönigin zu fragen, indessen suchte ich das Gespräch auf andere Dinge zu bringen, da mir Victors Interesse als ein eingebildetes erschien. Ich kannte seine Leichtfertigkeit und wünschte ihm Unannehmlichkeiten zu ersparen.
Zwei Stunden hatten wir zurückgelegt, der Wald war lichter geworden, und schon fuhren wir durch einen Verbindungskanal zwischen Wiesen dem eigentlichen Flußbett der Spree entgegen. Ich habe zu sagen vergessen, daß wir nicht nach Leipe, sondern nach Lübbenau zurück steuerten. Es war Sonntag, und da Leipe keine Kirche hat und die ganze Gemeinde die Predigt in Lübbenau besucht, so sah ich voraus, daß wir auch den Schullehrer daselbst eher finden würden, als in seinem Wohnorte. Schon hörten wir die Glocken läuten. Feierlich klangen sie durch die weite Stille. Der Thau hing an dem üppigen Graswuchs der Wiesen, der Wald verschwamm in der Entfernung im blauen
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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