Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Wipfeln zum erstenmale die Gletscher niederleuchten
auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge-
genden kommt.

Der Wildbach gießt von den Gletschern her.
Die Straße aber wendet sich links, milderen Wald-
geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden
und Wildnissen endlich wieder in belebte Ortschaften
einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein
verschwemmter steiniger Hohlweg, über welchen der
Sturm Fichtenstämme geworfen hatte, die nun seit
Jahrzehnten lehnen und dorren.

Hier am Scheidewege stand ein hohes hölzer-
nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich
dargestellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens-
geschichte, als Speer, Schwammstab, Zange, Ham-
mer und den drei Nägeln. Auf einem Felsen stand
der Pfahl, wettergrau und bemoost. Eng daneben
stand der Balken mit dem Arme und der Inschrift:
"Weg nach Winkelsteg."

Dieses Zeichen wies den verwahrlosten steini-
gen Weg mit dem Gefälle -- gegen das enge
Hochthal, in dessen Hintergrunde die Schneefelder
liegen. In fernster Höhe, über den sanft sich hin-
ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf,
an dessen Spitze so gerne Nebelflocken hängen.

Ich saß auf einem Felsblock neben dem Kreuze,
und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war

Wipfeln zum erſtenmale die Gletſcher niederleuchten
auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge-
genden kommt.

Der Wildbach gießt von den Gletſchern her.
Die Straße aber wendet ſich links, milderen Wald-
geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden
und Wildniſſen endlich wieder in belebte Ortſchaften
einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein
verſchwemmter ſteiniger Hohlweg, über welchen der
Sturm Fichtenſtämme geworfen hatte, die nun ſeit
Jahrzehnten lehnen und dorren.

Hier am Scheidewege ſtand ein hohes hölzer-
nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich
dargeſtellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens-
geſchichte, als Speer, Schwammſtab, Zange, Ham-
mer und den drei Nägeln. Auf einem Felſen ſtand
der Pfahl, wettergrau und bemooſt. Eng daneben
ſtand der Balken mit dem Arme und der Inſchrift:
„Weg nach Winkelſteg.“

Dieſes Zeichen wies den verwahrloſten ſteini-
gen Weg mit dem Gefälle — gegen das enge
Hochthal, in deſſen Hintergrunde die Schneefelder
liegen. In fernſter Höhe, über den ſanft ſich hin-
ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf,
an deſſen Spitze ſo gerne Nebelflocken hängen.

Ich ſaß auf einem Felsblock neben dem Kreuze,
und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="2"/>
Wipfeln zum er&#x017F;tenmale die Glet&#x017F;cher niederleuchten<lb/>
auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge-<lb/>
genden kommt.</p><lb/>
        <p>Der Wildbach gießt von den Glet&#x017F;chern her.<lb/>
Die Straße aber wendet &#x017F;ich links, milderen Wald-<lb/>
geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden<lb/>
und Wildni&#x017F;&#x017F;en endlich wieder in belebte Ort&#x017F;chaften<lb/>
einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein<lb/>
ver&#x017F;chwemmter &#x017F;teiniger Hohlweg, über welchen der<lb/>
Sturm Fichten&#x017F;tämme geworfen hatte, die nun &#x017F;eit<lb/>
Jahrzehnten lehnen und dorren.</p><lb/>
        <p>Hier am Scheidewege &#x017F;tand ein hohes hölzer-<lb/>
nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich<lb/>
darge&#x017F;tellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens-<lb/>
ge&#x017F;chichte, als Speer, Schwamm&#x017F;tab, Zange, Ham-<lb/>
mer und den drei Nägeln. Auf einem Fel&#x017F;en &#x017F;tand<lb/>
der Pfahl, wettergrau und bemoo&#x017F;t. Eng daneben<lb/>
&#x017F;tand der Balken mit dem Arme und der In&#x017F;chrift:<lb/>
&#x201E;Weg nach Winkel&#x017F;teg.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es Zeichen wies den verwahrlo&#x017F;ten &#x017F;teini-<lb/>
gen Weg mit dem Gefälle &#x2014; gegen das enge<lb/>
Hochthal, in de&#x017F;&#x017F;en Hintergrunde die Schneefelder<lb/>
liegen. In fern&#x017F;ter Höhe, über den &#x017F;anft &#x017F;ich hin-<lb/>
ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf,<lb/>
an de&#x017F;&#x017F;en Spitze &#x017F;o gerne Nebelflocken hängen.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;aß auf einem Felsblock neben dem Kreuze,<lb/>
und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0012] Wipfeln zum erſtenmale die Gletſcher niederleuchten auf den Wanderer, der aus fernen, bevölkerten Ge- genden kommt. Der Wildbach gießt von den Gletſchern her. Die Straße aber wendet ſich links, milderen Wald- geländen zu, um nach vielen Meilen von Oeden und Wildniſſen endlich wieder in belebte Ortſchaften einzuziehen. Das Flußgebiet entlang zieht nur ein verſchwemmter ſteiniger Hohlweg, über welchen der Sturm Fichtenſtämme geworfen hatte, die nun ſeit Jahrzehnten lehnen und dorren. Hier am Scheidewege ſtand ein hohes hölzer- nes Kreuz mit drei Querbalken und den bildlich dargeſtellten Marterwerkzeugen der heiligen Leidens- geſchichte, als Speer, Schwammſtab, Zange, Ham- mer und den drei Nägeln. Auf einem Felſen ſtand der Pfahl, wettergrau und bemooſt. Eng daneben ſtand der Balken mit dem Arme und der Inſchrift: „Weg nach Winkelſteg.“ Dieſes Zeichen wies den verwahrloſten ſteini- gen Weg mit dem Gefälle — gegen das enge Hochthal, in deſſen Hintergrunde die Schneefelder liegen. In fernſter Höhe, über den ſanft ſich hin- ziehenden Schneetüchern ragt ein grauer Kegel auf, an deſſen Spitze ſo gerne Nebelflocken hängen. Ich ſaß auf einem Felsblock neben dem Kreuze, und blickte zu jener grauen Spitze empor. Das war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/12
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/12>, abgerufen am 21.11.2024.