Und da thut er jetztund, als wollte er eine kleine Weile sich nur ausrasten und bald wieder aufstehen mit seinen grünen Zweigen und weiter wachsen; und indessen fallen ihm schon die Nadeln ab und es schrumpft und springt die Rinde, und die Käfer lösen sie los, und nach einer Zeit liegt das nackte, bleiche Gerippe da, das immer mehr und mehr in die Erde hinein versinkt, aus der das Bäumchen einst hervorgewachsen war.
Und doch muß eine Zeit gewesen sein, in welcher der Wald hier glücklicher gediehen ist; es ragt ja noch hier und da der graue, gespaltene Rest eines gewaltigen Tannenbaumes empor, oder eines uralten Ahorn, in dessen Höhlen das Wiesel wohnt, oder durch die der Fuchs den Eingang hat zu seiner unterirdischen Behausung.
Die Kiefer allein ist noch kampfesmuthig, sie will die steilen Lehnen hinanklettern zwischen den Wänden, will wissen, wie es da oben aussieht bei dem Edelweiß, bei den Alpenrosen, bei den Gemsen, und wie weit es noch hinauf ist, bis zum Schnee. Aber die gute Kiefer ist keine Tochter der Alpen, balde faßt sie der Schwindel und sie bückt sich angstvoll zusammen und kriecht mühsam auf den Knieen hinan, mit ihren geschlungenen, verkrüppel- ten Armen immer weiter vorgreifend und rankend, die Zapfenköpfchen neugierig emporreckend, bis sie
Und da thut er jetztund, als wollte er eine kleine Weile ſich nur ausraſten und bald wieder aufſtehen mit ſeinen grünen Zweigen und weiter wachſen; und indeſſen fallen ihm ſchon die Nadeln ab und es ſchrumpft und ſpringt die Rinde, und die Käfer löſen ſie los, und nach einer Zeit liegt das nackte, bleiche Gerippe da, das immer mehr und mehr in die Erde hinein verſinkt, aus der das Bäumchen einſt hervorgewachſen war.
Und doch muß eine Zeit geweſen ſein, in welcher der Wald hier glücklicher gediehen iſt; es ragt ja noch hier und da der graue, geſpaltene Reſt eines gewaltigen Tannenbaumes empor, oder eines uralten Ahorn, in deſſen Höhlen das Wieſel wohnt, oder durch die der Fuchs den Eingang hat zu ſeiner unterirdiſchen Behauſung.
Die Kiefer allein iſt noch kampfesmuthig, ſie will die ſteilen Lehnen hinanklettern zwiſchen den Wänden, will wiſſen, wie es da oben ausſieht bei dem Edelweiß, bei den Alpenroſen, bei den Gemſen, und wie weit es noch hinauf iſt, bis zum Schnee. Aber die gute Kiefer iſt keine Tochter der Alpen, balde faßt ſie der Schwindel und ſie bückt ſich angſtvoll zuſammen und kriecht mühſam auf den Knieen hinan, mit ihren geſchlungenen, verkrüppel- ten Armen immer weiter vorgreifend und rankend, die Zapfenköpfchen neugierig emporreckend, bis ſie
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Und da thut er jetztund, als wollte er eine kleine
Weile ſich nur ausraſten und bald wieder aufſtehen
mit ſeinen grünen Zweigen und weiter wachſen;
und indeſſen fallen ihm ſchon die Nadeln ab und
es ſchrumpft und ſpringt die Rinde, und die Käfer
löſen ſie los, und nach einer Zeit liegt das nackte,
bleiche Gerippe da, das immer mehr und mehr in
die Erde hinein verſinkt, aus der das Bäumchen
einſt hervorgewachſen war.
Und doch muß eine Zeit geweſen ſein, in
welcher der Wald hier glücklicher gediehen iſt; es
ragt ja noch hier und da der graue, geſpaltene
Reſt eines gewaltigen Tannenbaumes empor, oder
eines uralten Ahorn, in deſſen Höhlen das Wieſel
wohnt, oder durch die der Fuchs den Eingang hat
zu ſeiner unterirdiſchen Behauſung.
Die Kiefer allein iſt noch kampfesmuthig, ſie
will die ſteilen Lehnen hinanklettern zwiſchen den
Wänden, will wiſſen, wie es da oben ausſieht bei
dem Edelweiß, bei den Alpenroſen, bei den Gemſen,
und wie weit es noch hinauf iſt, bis zum Schnee.
Aber die gute Kiefer iſt keine Tochter der Alpen,
balde faßt ſie der Schwindel und ſie bückt ſich
angſtvoll zuſammen und kriecht mühſam auf den
Knieen hinan, mit ihren geſchlungenen, verkrüppel-
ten Armen immer weiter vorgreifend und rankend,
die Zapfenköpfchen neugierig emporreckend, bis ſie
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/122>, abgerufen am 23.11.2024.
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