dem Stein, kein Mensch kann sagen, wer es auf- gestellt. Der Sage nach sei es gar nicht aufgestellt worden. Alle tausend Jahre flöge ein Vögelein in den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner seien bislang verloren gegangen, oder man wisse nicht, sei die Giftpflanze mit der blauen Beere, oder der Dornstrauch mit der weißen Rose oder ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent- wachsen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein auf den Klotz im Felsenthale gelegt, und daraus sei das Kreuz entsprossen. Man gehe zuweilen hin, um davor zu beten; manchmal habe das Gebet daselbst schon Segen gebracht, manchmal aber sei auch ein Unglück darauf gekommen. Man wisse also auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder zum Unheile sei. Den Einspanig sehe man noch am öftesten im Felsenthale und er verrichte seine An- dacht vor dem Bilde; aber man wisse auch vom Ein- spanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.
Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felsenthale und den Einspanig nachdenkend, hab ich im Winkel von Letzterem ein Weniges erfahren.
Erstlich, wie ich eintrete in das Haus, wun- dere ich mich baß, daß meine, sonst recht gutmütige
dem Stein, kein Menſch kann ſagen, wer es auf- geſtellt. Der Sage nach ſei es gar nicht aufgeſtellt worden. Alle tauſend Jahre flöge ein Vögelein in den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner ſeien bislang verloren gegangen, oder man wiſſe nicht, ſei die Giftpflanze mit der blauen Beere, oder der Dornſtrauch mit der weißen Roſe oder ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent- wachſen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein auf den Klotz im Felſenthale gelegt, und daraus ſei das Kreuz entſproſſen. Man gehe zuweilen hin, um davor zu beten; manchmal habe das Gebet daſelbſt ſchon Segen gebracht, manchmal aber ſei auch ein Unglück darauf gekommen. Man wiſſe alſo auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder zum Unheile ſei. Den Einſpanig ſehe man noch am öfteſten im Felſenthale und er verrichte ſeine An- dacht vor dem Bilde; aber man wiſſe auch vom Ein- ſpanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.
Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felſenthale und den Einſpanig nachdenkend, hab ich im Winkel von Letzterem ein Weniges erfahren.
Erſtlich, wie ich eintrete in das Haus, wun- dere ich mich baß, daß meine, ſonſt recht gutmütige
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dem Stein, kein Menſch kann ſagen, wer es auf-
geſtellt. Der Sage nach ſei es gar nicht aufgeſtellt
worden. Alle tauſend Jahre flöge ein Vögelein in
den Wald und das brächte ein Saamenkorn mit
aus unbekannten Landen. Alle anderen Körner
ſeien bislang verloren gegangen, oder man wiſſe
nicht, ſei die Giftpflanze mit der blauen Beere,
oder der Dornſtrauch mit der weißen Roſe oder
ein anderes Schlimmes oder Gutes daraus ent-
wachſen. Das letzte Korn aber habe jenes Vöglein
auf den Klotz im Felſenthale gelegt, und daraus
ſei das Kreuz entſproſſen. Man gehe zuweilen hin,
um davor zu beten; manchmal habe das Gebet
daſelbſt ſchon Segen gebracht, manchmal aber ſei
auch ein Unglück darauf gekommen. Man wiſſe
alſo auch vom Kreuze nicht, ob es zum Heile oder
zum Unheile ſei. Den Einſpanig ſehe man noch am
öfteſten im Felſenthale und er verrichte ſeine An-
dacht vor dem Bilde; aber man wiſſe auch vom Ein-
ſpanig nicht, ob er Gutes oder Schlimmes bedeute.
Nach mehreren Tagen der Wanderung bin ich
wieder einmal zurückgekehrt in mein Haus an der
Winkel. Mehrmals über das Kreuz im Felſenthale
und den Einſpanig nachdenkend, hab ich im Winkel
von Letzterem ein Weniges erfahren.
Erſtlich, wie ich eintrete in das Haus, wun-
dere ich mich baß, daß meine, ſonſt recht gutmütige
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/124>, abgerufen am 27.11.2024.
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