Wie ich diese Leute bis jetzt kennen gelernt habe, ist ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Ge- wöhnliches, schier Selbstverständliches, ein Todt- schlag nichts so Seltenes. Hingegen Diebstähle kommen nicht vor.
So sind sie in den Hochwäldern. Der Holz- hauer wird geboren unter dem Baume, sein Vater gibt ihm fast eher den Axtstiel in die Hand, als den Löffel, und anstatt nach dem Zulp greift der Kleine nach der Tabaksblase. Wer Tabak nicht zu kaufen vermag, der macht sich ihn aus Buchenblättern.
Just sonderliche Anmut ist ihnen nicht ange- boren. Die stille Freude kennen sie kaum; sie fahn- den nach gellender Lust. Selbst der Schmerz greift nicht recht an. Wenn Einer sich mit dem scharfen Beil in das Bein fährt, so sagt er, es thät ein bischen "kitzeln." In wenigen Tagen ist Alles wieder heil. Haut sich Einer unversehens einen Finger weg, so ist das unselig, des -- Tabak- feuerschlagens wegen.
Tannenharz und Pechöl, und ein alter Bein- brucharzt und Zahnbrecher ist in dieser waldschatti- gen Welt die ganze medizinische Facultät.
Heimweh ist ihr größtes Seelenleid, wenn sie hinauskommen. Heimweh die Heimatlosen? -- Das Leid heißt vielmehr Sehnsucht nach den Waldber- gen, in welchen sie einmal den Jahreslauf durchlebt.
Wie ich dieſe Leute bis jetzt kennen gelernt habe, iſt ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Ge- wöhnliches, ſchier Selbſtverſtändliches, ein Todt- ſchlag nichts ſo Seltenes. Hingegen Diebſtähle kommen nicht vor.
So ſind ſie in den Hochwäldern. Der Holz- hauer wird geboren unter dem Baume, ſein Vater gibt ihm faſt eher den Axtſtiel in die Hand, als den Löffel, und anſtatt nach dem Zulp greift der Kleine nach der Tabaksblaſe. Wer Tabak nicht zu kaufen vermag, der macht ſich ihn aus Buchenblättern.
Juſt ſonderliche Anmut iſt ihnen nicht ange- boren. Die ſtille Freude kennen ſie kaum; ſie fahn- den nach gellender Luſt. Selbſt der Schmerz greift nicht recht an. Wenn Einer ſich mit dem ſcharfen Beil in das Bein fährt, ſo ſagt er, es thät ein bischen „kitzeln.“ In wenigen Tagen iſt Alles wieder heil. Haut ſich Einer unverſehens einen Finger weg, ſo iſt das unſelig, des — Tabak- feuerſchlagens wegen.
Tannenharz und Pechöl, und ein alter Bein- brucharzt und Zahnbrecher iſt in dieſer waldſchatti- gen Welt die ganze mediziniſche Facultät.
Heimweh iſt ihr größtes Seelenleid, wenn ſie hinauskommen. Heimweh die Heimatloſen? — Das Leid heißt vielmehr Sehnſucht nach den Waldber- gen, in welchen ſie einmal den Jahreslauf durchlebt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0136"n="126"/><p>Wie ich dieſe Leute bis jetzt kennen gelernt<lb/>
habe, iſt ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Ge-<lb/>
wöhnliches, ſchier Selbſtverſtändliches, ein Todt-<lb/>ſchlag nichts ſo Seltenes. Hingegen Diebſtähle<lb/>
kommen nicht vor.</p><lb/><p>So ſind ſie in den Hochwäldern. Der Holz-<lb/>
hauer wird geboren unter dem Baume, ſein Vater<lb/>
gibt ihm faſt eher den Axtſtiel in die Hand, als den<lb/>
Löffel, und anſtatt nach dem Zulp greift der Kleine<lb/>
nach der Tabaksblaſe. Wer Tabak nicht zu kaufen<lb/>
vermag, der macht ſich ihn aus Buchenblättern.</p><lb/><p>Juſt ſonderliche Anmut iſt ihnen nicht ange-<lb/>
boren. Die ſtille Freude kennen ſie kaum; ſie fahn-<lb/>
den nach gellender Luſt. Selbſt der Schmerz greift<lb/>
nicht recht an. Wenn Einer ſich mit dem ſcharfen<lb/>
Beil in das Bein fährt, ſo ſagt er, es thät ein<lb/>
bischen „kitzeln.“ In wenigen Tagen iſt Alles<lb/>
wieder heil. Haut ſich Einer unverſehens einen<lb/>
Finger weg, ſo iſt das unſelig, des — Tabak-<lb/>
feuerſchlagens wegen.</p><lb/><p>Tannenharz und Pechöl, und ein alter Bein-<lb/>
brucharzt und Zahnbrecher iſt in dieſer waldſchatti-<lb/>
gen Welt die ganze mediziniſche Facultät.</p><lb/><p>Heimweh iſt ihr größtes Seelenleid, wenn ſie<lb/>
hinauskommen. Heimweh die Heimatloſen? — Das<lb/>
Leid heißt vielmehr Sehnſucht nach den Waldber-<lb/>
gen, in welchen ſie einmal den Jahreslauf durchlebt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[126/0136]
Wie ich dieſe Leute bis jetzt kennen gelernt
habe, iſt ihnen ein blutiger Raufhandel etwas Ge-
wöhnliches, ſchier Selbſtverſtändliches, ein Todt-
ſchlag nichts ſo Seltenes. Hingegen Diebſtähle
kommen nicht vor.
So ſind ſie in den Hochwäldern. Der Holz-
hauer wird geboren unter dem Baume, ſein Vater
gibt ihm faſt eher den Axtſtiel in die Hand, als den
Löffel, und anſtatt nach dem Zulp greift der Kleine
nach der Tabaksblaſe. Wer Tabak nicht zu kaufen
vermag, der macht ſich ihn aus Buchenblättern.
Juſt ſonderliche Anmut iſt ihnen nicht ange-
boren. Die ſtille Freude kennen ſie kaum; ſie fahn-
den nach gellender Luſt. Selbſt der Schmerz greift
nicht recht an. Wenn Einer ſich mit dem ſcharfen
Beil in das Bein fährt, ſo ſagt er, es thät ein
bischen „kitzeln.“ In wenigen Tagen iſt Alles
wieder heil. Haut ſich Einer unverſehens einen
Finger weg, ſo iſt das unſelig, des — Tabak-
feuerſchlagens wegen.
Tannenharz und Pechöl, und ein alter Bein-
brucharzt und Zahnbrecher iſt in dieſer waldſchatti-
gen Welt die ganze mediziniſche Facultät.
Heimweh iſt ihr größtes Seelenleid, wenn ſie
hinauskommen. Heimweh die Heimatloſen? — Das
Leid heißt vielmehr Sehnſucht nach den Waldber-
gen, in welchen ſie einmal den Jahreslauf durchlebt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/136>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.