In der Kirche wird Wein getrunken und der Herr Pfarrer hält eine sehr erbauliche Rede von dem Ehesakrament und den Absichten Gottes. Der gute, alte Herr hat sehr schön gesprochen, aber die Leute aus dem Walde verstehen sein Hochdeutsch nicht recht. Erst im Wirthshause, als wir schon Alle gegessen, getrunken und Schabernack getrieben haben, ist für die Leutchen die rechte Predigt. Da erhebt der alte, bärtige Rüppel sein Weinglas und hebt an zu reden:
"Ich bin kein gelehrter Mann, hab' keinen Doktornzipf auf und keine Kutten an. Thät' ich mein Weinglas nit haben zur Hand, bei meiner Treu', Leut', ich brächt' kein gescheit Wörtl zu Stand. Daß die Zung' mir wird gelöst, wie es bei Moses ist gewest, desweg' trink ich den Wein; fällt mir auch leichter ein schicksam Wörtl ein. -- Ich bin als der alte Bibelreiter bekannt; wär' ich ein Ritters- mann, ich ritt auf einem Schimmel durch's Land. Und in der Bibel, da hab' ich einmal ein Sprüch- el erfragt, der Herrgott, das Kreuzköpfel, hat's selber gesagt: Ist der Mensch allein, sagt er, so thut er kein Gut; aber sind ihrer viel, so thun sie auch kein Gut; so probir ich's halt justament zu zwein und zwein, und sperr' sie paarweis' in die Hütten ein. Aber schaut's, da wird gleich die Hütten zu klein. Sie brauchen ein großmächtiges
In der Kirche wird Wein getrunken und der Herr Pfarrer hält eine ſehr erbauliche Rede von dem Eheſakrament und den Abſichten Gottes. Der gute, alte Herr hat ſehr ſchön geſprochen, aber die Leute aus dem Walde verſtehen ſein Hochdeutſch nicht recht. Erſt im Wirthshauſe, als wir ſchon Alle gegeſſen, getrunken und Schabernack getrieben haben, iſt für die Leutchen die rechte Predigt. Da erhebt der alte, bärtige Rüppel ſein Weinglas und hebt an zu reden:
„Ich bin kein gelehrter Mann, hab’ keinen Doktornzipf auf und keine Kutten an. Thät’ ich mein Weinglas nit haben zur Hand, bei meiner Treu’, Leut’, ich brächt’ kein geſcheit Wörtl zu Stand. Daß die Zung’ mir wird gelöſt, wie es bei Moſes iſt geweſt, desweg’ trink ich den Wein; fällt mir auch leichter ein ſchickſam Wörtl ein. — Ich bin als der alte Bibelreiter bekannt; wär’ ich ein Ritters- mann, ich ritt auf einem Schimmel durch’s Land. Und in der Bibel, da hab’ ich einmal ein Sprüch- el erfragt, der Herrgott, das Kreuzköpfel, hat’s ſelber geſagt: Iſt der Menſch allein, ſagt er, ſo thut er kein Gut; aber ſind ihrer viel, ſo thun ſie auch kein Gut; ſo probir ich’s halt juſtament zu zwein und zwein, und ſperr’ ſie paarweiſ’ in die Hütten ein. Aber ſchaut’s, da wird gleich die Hütten zu klein. Sie brauchen ein großmächtiges
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In der Kirche wird Wein getrunken und der
Herr Pfarrer hält eine ſehr erbauliche Rede von
dem Eheſakrament und den Abſichten Gottes. Der
gute, alte Herr hat ſehr ſchön geſprochen, aber die
Leute aus dem Walde verſtehen ſein Hochdeutſch
nicht recht. Erſt im Wirthshauſe, als wir ſchon
Alle gegeſſen, getrunken und Schabernack getrieben
haben, iſt für die Leutchen die rechte Predigt. Da
erhebt der alte, bärtige Rüppel ſein Weinglas und
hebt an zu reden:
„Ich bin kein gelehrter Mann, hab’ keinen
Doktornzipf auf und keine Kutten an. Thät’ ich mein
Weinglas nit haben zur Hand, bei meiner Treu’,
Leut’, ich brächt’ kein geſcheit Wörtl zu Stand. Daß
die Zung’ mir wird gelöſt, wie es bei Moſes iſt
geweſt, desweg’ trink ich den Wein; fällt mir auch
leichter ein ſchickſam Wörtl ein. — Ich bin als
der alte Bibelreiter bekannt; wär’ ich ein Ritters-
mann, ich ritt auf einem Schimmel durch’s Land.
Und in der Bibel, da hab’ ich einmal ein Sprüch-
el erfragt, der Herrgott, das Kreuzköpfel, hat’s
ſelber geſagt: Iſt der Menſch allein, ſagt er, ſo
thut er kein Gut; aber ſind ihrer viel, ſo thun ſie
auch kein Gut; ſo probir ich’s halt juſtament zu
zwein und zwein, und ſperr’ ſie paarweiſ’ in die
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/179>, abgerufen am 21.11.2024.
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