und ein dreimal wilderes Blut, als sein Vater. Dieser Knabe wird ein Heiland, oder ein fürchter- licher Mörder.
Die alte Ruß-Kath siecht seit Monaten. Die Leute sagen, es fehle ihr an jungem Blut. Das hat auch der kleine Lazarus gehört, und gestern ist er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfchen und dem großen Seitenmesser seines Vaters, und hat mich aufgefordert, ich möge aus seiner Hand Blut ablassen und es der Ruß-Kath schicken.
Er glüht im Gesicht, ist aber sonst ruhig. Ich verweise ihm sein Ansinnen. Er schießt davon. Und bald darnach hat er im Hofe des Winkelhüterhauses eine Taube erwürgt -- aus Zorn, aus Liebe -- ich mag es nicht entscheiden.
Ich trete hinaus zu dem todten Thiere. "Lazarus," sage ich, "jetzt hast du eine Mutter umgebracht. Siehst du die armen, hilflosen Jungen dort? Hörst du, wie sie weinen?"
Bebend steht der Knabe da, blaß wie Stein, und ringt nach Luft und zerbeißt sich die Unter- lippe, daß Blut über den Backen rieselt. Ich drehe ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße Wasser auf seine Stirne.
Ich führe ihn in seine Hütte zurück. Dort fällt er erschöpft auf das Moos und sinkt in einen tiefen Schlaf.
und ein dreimal wilderes Blut, als ſein Vater. Dieſer Knabe wird ein Heiland, oder ein fürchter- licher Mörder.
Die alte Ruß-Kath ſiecht ſeit Monaten. Die Leute ſagen, es fehle ihr an jungem Blut. Das hat auch der kleine Lazarus gehört, und geſtern iſt er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfchen und dem großen Seitenmeſſer ſeines Vaters, und hat mich aufgefordert, ich möge aus ſeiner Hand Blut ablaſſen und es der Ruß-Kath ſchicken.
Er glüht im Geſicht, iſt aber ſonſt ruhig. Ich verweiſe ihm ſein Anſinnen. Er ſchießt davon. Und bald darnach hat er im Hofe des Winkelhüterhauſes eine Taube erwürgt — aus Zorn, aus Liebe — ich mag es nicht entſcheiden.
Ich trete hinaus zu dem todten Thiere. „Lazarus,“ ſage ich, „jetzt haſt du eine Mutter umgebracht. Siehſt du die armen, hilfloſen Jungen dort? Hörſt du, wie ſie weinen?“
Bebend ſteht der Knabe da, blaß wie Stein, und ringt nach Luft und zerbeißt ſich die Unter- lippe, daß Blut über den Backen rieſelt. Ich drehe ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße Waſſer auf ſeine Stirne.
Ich führe ihn in ſeine Hütte zurück. Dort fällt er erſchöpft auf das Moos und ſinkt in einen tiefen Schlaf.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0211"n="201"/>
und ein dreimal wilderes Blut, als ſein Vater.<lb/>
Dieſer Knabe wird ein Heiland, oder ein fürchter-<lb/>
licher Mörder.</p><lb/><p>Die alte Ruß-Kath ſiecht ſeit Monaten. Die<lb/>
Leute ſagen, es fehle ihr an jungem Blut. Das<lb/>
hat auch der kleine Lazarus gehört, und geſtern iſt<lb/>
er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfchen<lb/>
und dem großen Seitenmeſſer ſeines Vaters, und<lb/>
hat mich aufgefordert, ich möge aus ſeiner Hand<lb/>
Blut ablaſſen und es der Ruß-Kath ſchicken.</p><lb/><p>Er glüht im Geſicht, iſt aber ſonſt ruhig. Ich<lb/>
verweiſe ihm ſein Anſinnen. Er ſchießt davon. Und<lb/>
bald darnach hat er im Hofe des Winkelhüterhauſes<lb/>
eine Taube erwürgt — aus Zorn, aus Liebe —<lb/>
ich mag es nicht entſcheiden.</p><lb/><p>Ich trete hinaus zu dem todten Thiere.<lb/>„Lazarus,“ſage ich, „jetzt haſt du eine Mutter<lb/>
umgebracht. Siehſt du die armen, hilfloſen Jungen<lb/>
dort? Hörſt du, wie ſie weinen?“</p><lb/><p>Bebend ſteht der Knabe da, blaß wie Stein,<lb/>
und ringt nach Luft und zerbeißt ſich die Unter-<lb/>
lippe, daß Blut über den Backen rieſelt. Ich drehe<lb/>
ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße<lb/>
Waſſer auf ſeine Stirne.</p><lb/><p>Ich führe ihn in ſeine Hütte zurück. Dort<lb/>
fällt er erſchöpft auf das Moos und ſinkt in einen<lb/>
tiefen Schlaf.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[201/0211]
und ein dreimal wilderes Blut, als ſein Vater.
Dieſer Knabe wird ein Heiland, oder ein fürchter-
licher Mörder.
Die alte Ruß-Kath ſiecht ſeit Monaten. Die
Leute ſagen, es fehle ihr an jungem Blut. Das
hat auch der kleine Lazarus gehört, und geſtern iſt
er zu mir gekommen mit einem hölzernen Töpfchen
und dem großen Seitenmeſſer ſeines Vaters, und
hat mich aufgefordert, ich möge aus ſeiner Hand
Blut ablaſſen und es der Ruß-Kath ſchicken.
Er glüht im Geſicht, iſt aber ſonſt ruhig. Ich
verweiſe ihm ſein Anſinnen. Er ſchießt davon. Und
bald darnach hat er im Hofe des Winkelhüterhauſes
eine Taube erwürgt — aus Zorn, aus Liebe —
ich mag es nicht entſcheiden.
Ich trete hinaus zu dem todten Thiere.
„Lazarus,“ ſage ich, „jetzt haſt du eine Mutter
umgebracht. Siehſt du die armen, hilfloſen Jungen
dort? Hörſt du, wie ſie weinen?“
Bebend ſteht der Knabe da, blaß wie Stein,
und ringt nach Luft und zerbeißt ſich die Unter-
lippe, daß Blut über den Backen rieſelt. Ich drehe
ihm den eingezogenen Daumen aus und gieße
Waſſer auf ſeine Stirne.
Ich führe ihn in ſeine Hütte zurück. Dort
fällt er erſchöpft auf das Moos und ſinkt in einen
tiefen Schlaf.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/211>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.