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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Ziegen Futter sammelt, und das Kind ist ihr
Töchterchen -- meine Waldlilie.

Das Weib ladet hierauf den Grasvorrath auf
ihren Rücken und das Kind auf ihre Brust, und
wir gehen zusammen dem Thale zu.

Ich bin an demselben Abende in ihre Klause
eingekehrt und hab Ziegenmilch getrunken. Der
Berthold ist spät vom Holzschlage heimgekommen.
Die Leutchen führen ein kümmerliches Leben; aber
sie sind guten Muthes, und die junge Waldlilie ist
ihre Glückseligkeit.

Als der Berthold an meiner Brust das Edel-
weiß sieht, sagt er mit dem Finger drohend: "Ihr,
gebt Acht, das ist ein gefährlich Kraut!"

Ich verstehe ihn nicht, da setzt er bei: "Das
Edelweiß hätt' schier meinen Vater getödtet und das
Edelweiß will mir die Lieb' zu meiner schon ver-
storbenen Mutter vergiften."

"Wie so, wie so, Berthold?" frage ich.

Da erzählt er mir folgende Geschichte: Auf
der andern Seite des Zahn, vom Gesenke hinaus,
ist ein Forstjunge gewesen, der hat ein Sennmäd-
chen lieb gehabt. Aber das ist gottlos stolz gewesen
und hat eines Tages zum Forstjungen gesagt:
"Bist mir ja recht und ich mag dein werden, aber
eine Gewährschaft mußt du mir geben von deiner
treuen Lieb'. Bist ein flinker und prächtiger Bursch;

Rosegger: Waldschulmeister. 15

Ziegen Futter ſammelt, und das Kind iſt ihr
Töchterchen — meine Waldlilie.

Das Weib ladet hierauf den Grasvorrath auf
ihren Rücken und das Kind auf ihre Bruſt, und
wir gehen zuſammen dem Thale zu.

Ich bin an demſelben Abende in ihre Klauſe
eingekehrt und hab Ziegenmilch getrunken. Der
Berthold iſt ſpät vom Holzſchlage heimgekommen.
Die Leutchen führen ein kümmerliches Leben; aber
ſie ſind guten Muthes, und die junge Waldlilie iſt
ihre Glückſeligkeit.

Als der Berthold an meiner Bruſt das Edel-
weiß ſieht, ſagt er mit dem Finger drohend: „Ihr,
gebt Acht, das iſt ein gefährlich Kraut!“

Ich verſtehe ihn nicht, da ſetzt er bei: „Das
Edelweiß hätt’ ſchier meinen Vater getödtet und das
Edelweiß will mir die Lieb’ zu meiner ſchon ver-
ſtorbenen Mutter vergiften.“

„Wie ſo, wie ſo, Berthold?“ frage ich.

Da erzählt er mir folgende Geſchichte: Auf
der andern Seite des Zahn, vom Geſenke hinaus,
iſt ein Forſtjunge geweſen, der hat ein Sennmäd-
chen lieb gehabt. Aber das iſt gottlos ſtolz geweſen
und hat eines Tages zum Forſtjungen geſagt:
„Biſt mir ja recht und ich mag dein werden, aber
eine Gewährſchaft mußt du mir geben von deiner
treuen Lieb’. Biſt ein flinker und prächtiger Burſch;

Roſegger: Waldſchulmeiſter. 15
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[225/0235] Ziegen Futter ſammelt, und das Kind iſt ihr Töchterchen — meine Waldlilie. Das Weib ladet hierauf den Grasvorrath auf ihren Rücken und das Kind auf ihre Bruſt, und wir gehen zuſammen dem Thale zu. Ich bin an demſelben Abende in ihre Klauſe eingekehrt und hab Ziegenmilch getrunken. Der Berthold iſt ſpät vom Holzſchlage heimgekommen. Die Leutchen führen ein kümmerliches Leben; aber ſie ſind guten Muthes, und die junge Waldlilie iſt ihre Glückſeligkeit. Als der Berthold an meiner Bruſt das Edel- weiß ſieht, ſagt er mit dem Finger drohend: „Ihr, gebt Acht, das iſt ein gefährlich Kraut!“ Ich verſtehe ihn nicht, da ſetzt er bei: „Das Edelweiß hätt’ ſchier meinen Vater getödtet und das Edelweiß will mir die Lieb’ zu meiner ſchon ver- ſtorbenen Mutter vergiften.“ „Wie ſo, wie ſo, Berthold?“ frage ich. Da erzählt er mir folgende Geſchichte: Auf der andern Seite des Zahn, vom Geſenke hinaus, iſt ein Forſtjunge geweſen, der hat ein Sennmäd- chen lieb gehabt. Aber das iſt gottlos ſtolz geweſen und hat eines Tages zum Forſtjungen geſagt: „Biſt mir ja recht und ich mag dein werden, aber eine Gewährſchaft mußt du mir geben von deiner treuen Lieb’. Biſt ein flinker und prächtiger Burſch; Roſegger: Waldſchulmeiſter. 15

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/235>, abgerufen am 27.11.2024.