dem Spinnen eingeschlummert und vom Menschen- geschlechte hat geträumt, ein Flockchen der Wolle auf die Erde gefallen, ist hängen geblieben an einem hohen Felsen, und die Leute haben es gefun- den und Edelweiß geheißen.
Zwei Sternchen davon hab ich abgepflückt und sie an meine Brust gethan. Das eine, das ein wenig röthlich leuchtet, sei Heinrichroth genannt, das andere, schneeweiße, das . . . . lasse ich bei seinem alten Namen.
Als ich gegen Abend zu den Wäldern und Geschlägen niederkomme, stößt mir was unsäglich Liebliches zu. Da sehe ich unweit meines Fußsteiges eine Schichte frischgrünen Grases; es duftet mir so einladend entgegen, und so denke ich, daß ich hin- schreite dazu und meine ermüdeten Glieder darauf ein wenig rasten lasse. Und wie ich nun zur Gras- schichte komme, sehe ich darin ein Kindlein schlafen. Ein blüthenzartes, herziges Kindlein, sorglich in Linnen gewickelt. Ich bleibe stehen, und wahre mei- nen Athem, daß er nicht in Verwunderung aus- breche und so das Wesen wecke. Ich vermag kaum zu denken, wie es komme, daß dieses hilflose, blut- junge Menschenkind zu dieser Stunde an dieser ent- legenen Stelle sei. Da klärt es sich schon auf. Von der Thalmulde wankt eine Grasladung heran, und unter derselben schnauft die Aga, die für ihre
dem Spinnen eingeſchlummert und vom Menſchen- geſchlechte hat geträumt, ein Flockchen der Wolle auf die Erde gefallen, iſt hängen geblieben an einem hohen Felſen, und die Leute haben es gefun- den und Edelweiß geheißen.
Zwei Sternchen davon hab ich abgepflückt und ſie an meine Bruſt gethan. Das eine, das ein wenig röthlich leuchtet, ſei Heinrichroth genannt, das andere, ſchneeweiße, das . . . . laſſe ich bei ſeinem alten Namen.
Als ich gegen Abend zu den Wäldern und Geſchlägen niederkomme, ſtößt mir was unſäglich Liebliches zu. Da ſehe ich unweit meines Fußſteiges eine Schichte friſchgrünen Graſes; es duftet mir ſo einladend entgegen, und ſo denke ich, daß ich hin- ſchreite dazu und meine ermüdeten Glieder darauf ein wenig raſten laſſe. Und wie ich nun zur Gras- ſchichte komme, ſehe ich darin ein Kindlein ſchlafen. Ein blüthenzartes, herziges Kindlein, ſorglich in Linnen gewickelt. Ich bleibe ſtehen, und wahre mei- nen Athem, daß er nicht in Verwunderung aus- breche und ſo das Weſen wecke. Ich vermag kaum zu denken, wie es komme, daß dieſes hilfloſe, blut- junge Menſchenkind zu dieſer Stunde an dieſer ent- legenen Stelle ſei. Da klärt es ſich ſchon auf. Von der Thalmulde wankt eine Grasladung heran, und unter derſelben ſchnauft die Aga, die für ihre
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dem Spinnen eingeſchlummert und vom Menſchen-
geſchlechte hat geträumt, ein Flockchen der Wolle
auf die Erde gefallen, iſt hängen geblieben an
einem hohen Felſen, und die Leute haben es gefun-
den und Edelweiß geheißen.
Zwei Sternchen davon hab ich abgepflückt und
ſie an meine Bruſt gethan. Das eine, das ein wenig
röthlich leuchtet, ſei Heinrichroth genannt, das andere,
ſchneeweiße, das . . . . laſſe ich bei ſeinem alten
Namen.
Als ich gegen Abend zu den Wäldern und
Geſchlägen niederkomme, ſtößt mir was unſäglich
Liebliches zu. Da ſehe ich unweit meines Fußſteiges
eine Schichte friſchgrünen Graſes; es duftet mir ſo
einladend entgegen, und ſo denke ich, daß ich hin-
ſchreite dazu und meine ermüdeten Glieder darauf
ein wenig raſten laſſe. Und wie ich nun zur Gras-
ſchichte komme, ſehe ich darin ein Kindlein ſchlafen.
Ein blüthenzartes, herziges Kindlein, ſorglich in
Linnen gewickelt. Ich bleibe ſtehen, und wahre mei-
nen Athem, daß er nicht in Verwunderung aus-
breche und ſo das Weſen wecke. Ich vermag kaum
zu denken, wie es komme, daß dieſes hilfloſe, blut-
junge Menſchenkind zu dieſer Stunde an dieſer ent-
legenen Stelle ſei. Da klärt es ſich ſchon auf. Von
der Thalmulde wankt eine Grasladung heran, und
unter derſelben ſchnauft die Aga, die für ihre
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/234>, abgerufen am 23.11.2024.
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