dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und dem ganzen Wald haben wir Dank gesagt. -- Wir steigen über glatten Waldboden, wir steigen über verwittertes Gefälle und bemoostes Gestein. Die Bäume sind alt und tragen lange Bärte, mit jedem steht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter den Weben der Moose begegnen uns Käfer, Amei- sen, Eidechsen; wir grüßen sie alle, und lustflun- kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß sie mit uns kommen sollten zum Kreuze. Ei, die kleine bunte Welt hat davon nichts wissen wollen.
Mein Gefährte ist ein sehr seltsamer Kauz. Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben. Aber unter den Waldmenschen gibt es einmal die wunderlichsten Sondergestalten. Draußen in der durchgebildeten und abgeschliffenen Welt nennt man solche Erscheinungen große Geister; hier heißen sie Narren und Halbnarren.
Der Rüppel ist so ein Halbnarr. Sie heißen ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu fabeln weiß; und sie heißen ihn den Reim-Rüppel, weil er -- und das ist die Merkwürdigkeit -- nicht zehn Worte sprechen kann, ohne zu reimen. Es ist eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze Lebensgeschichte hat er mir unterwegs in Reimen erzählt. Die Reime haben zwar gottslästerlich ge- holpert; aber wer soll auf so steinigem Waldboden
dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und dem ganzen Wald haben wir Dank geſagt. — Wir ſteigen über glatten Waldboden, wir ſteigen über verwittertes Gefälle und bemooſtes Geſtein. Die Bäume ſind alt und tragen lange Bärte, mit jedem ſteht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter den Weben der Mooſe begegnen uns Käfer, Amei- ſen, Eidechſen; wir grüßen ſie alle, und luſtflun- kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß ſie mit uns kommen ſollten zum Kreuze. Ei, die kleine bunte Welt hat davon nichts wiſſen wollen.
Mein Gefährte iſt ein ſehr ſeltſamer Kauz. Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben. Aber unter den Waldmenſchen gibt es einmal die wunderlichſten Sondergeſtalten. Draußen in der durchgebildeten und abgeſchliffenen Welt nennt man ſolche Erſcheinungen große Geiſter; hier heißen ſie Narren und Halbnarren.
Der Rüppel iſt ſo ein Halbnarr. Sie heißen ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu fabeln weiß; und ſie heißen ihn den Reim-Rüppel, weil er — und das iſt die Merkwürdigkeit — nicht zehn Worte ſprechen kann, ohne zu reimen. Es iſt eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze Lebensgeſchichte hat er mir unterwegs in Reimen erzählt. Die Reime haben zwar gottsläſterlich ge- holpert; aber wer ſoll auf ſo ſteinigem Waldboden
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dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und
dem ganzen Wald haben wir Dank geſagt. — Wir
ſteigen über glatten Waldboden, wir ſteigen über
verwittertes Gefälle und bemooſtes Geſtein. Die
Bäume ſind alt und tragen lange Bärte, mit jedem
ſteht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter
den Weben der Mooſe begegnen uns Käfer, Amei-
ſen, Eidechſen; wir grüßen ſie alle, und luſtflun-
kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß ſie mit
uns kommen ſollten zum Kreuze. Ei, die kleine
bunte Welt hat davon nichts wiſſen wollen.
Mein Gefährte iſt ein ſehr ſeltſamer Kauz.
Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben.
Aber unter den Waldmenſchen gibt es einmal die
wunderlichſten Sondergeſtalten. Draußen in der
durchgebildeten und abgeſchliffenen Welt nennt man
ſolche Erſcheinungen große Geiſter; hier heißen ſie
Narren und Halbnarren.
Der Rüppel iſt ſo ein Halbnarr. Sie heißen
ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu
fabeln weiß; und ſie heißen ihn den Reim-Rüppel,
weil er — und das iſt die Merkwürdigkeit —
nicht zehn Worte ſprechen kann, ohne zu reimen.
Es iſt eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze
Lebensgeſchichte hat er mir unterwegs in Reimen
erzählt. Die Reime haben zwar gottsläſterlich ge-
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/245>, abgerufen am 27.11.2024.
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