Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und
dem ganzen Wald haben wir Dank gesagt. -- Wir
steigen über glatten Waldboden, wir steigen über
verwittertes Gefälle und bemoostes Gestein. Die
Bäume sind alt und tragen lange Bärte, mit jedem
steht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter
den Weben der Moose begegnen uns Käfer, Amei-
sen, Eidechsen; wir grüßen sie alle, und lustflun-
kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß sie mit
uns kommen sollten zum Kreuze. Ei, die kleine
bunte Welt hat davon nichts wissen wollen.

Mein Gefährte ist ein sehr seltsamer Kauz.
Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben.
Aber unter den Waldmenschen gibt es einmal die
wunderlichsten Sondergestalten. Draußen in der
durchgebildeten und abgeschliffenen Welt nennt man
solche Erscheinungen große Geister; hier heißen sie
Narren und Halbnarren.

Der Rüppel ist so ein Halbnarr. Sie heißen
ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu
fabeln weiß; und sie heißen ihn den Reim-Rüppel,
weil er -- und das ist die Merkwürdigkeit --
nicht zehn Worte sprechen kann, ohne zu reimen.
Es ist eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze
Lebensgeschichte hat er mir unterwegs in Reimen
erzählt. Die Reime haben zwar gottslästerlich ge-
holpert; aber wer soll auf so steinigem Waldboden

dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und
dem ganzen Wald haben wir Dank geſagt. — Wir
ſteigen über glatten Waldboden, wir ſteigen über
verwittertes Gefälle und bemooſtes Geſtein. Die
Bäume ſind alt und tragen lange Bärte, mit jedem
ſteht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter
den Weben der Mooſe begegnen uns Käfer, Amei-
ſen, Eidechſen; wir grüßen ſie alle, und luſtflun-
kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß ſie mit
uns kommen ſollten zum Kreuze. Ei, die kleine
bunte Welt hat davon nichts wiſſen wollen.

Mein Gefährte iſt ein ſehr ſeltſamer Kauz.
Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben.
Aber unter den Waldmenſchen gibt es einmal die
wunderlichſten Sondergeſtalten. Draußen in der
durchgebildeten und abgeſchliffenen Welt nennt man
ſolche Erſcheinungen große Geiſter; hier heißen ſie
Narren und Halbnarren.

Der Rüppel iſt ſo ein Halbnarr. Sie heißen
ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu
fabeln weiß; und ſie heißen ihn den Reim-Rüppel,
weil er — und das iſt die Merkwürdigkeit —
nicht zehn Worte ſprechen kann, ohne zu reimen.
Es iſt eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze
Lebensgeſchichte hat er mir unterwegs in Reimen
erzählt. Die Reime haben zwar gottsläſterlich ge-
holpert; aber wer ſoll auf ſo ſteinigem Waldboden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="235"/>
dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und<lb/>
dem ganzen Wald haben wir Dank ge&#x017F;agt. &#x2014; Wir<lb/>
&#x017F;teigen über glatten Waldboden, wir &#x017F;teigen über<lb/>
verwittertes Gefälle und bemoo&#x017F;tes Ge&#x017F;tein. Die<lb/>
Bäume &#x017F;ind alt und tragen lange Bärte, mit jedem<lb/>
&#x017F;teht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter<lb/>
den Weben der Moo&#x017F;e begegnen uns Käfer, Amei-<lb/>
&#x017F;en, Eidech&#x017F;en; wir grüßen &#x017F;ie alle, und lu&#x017F;tflun-<lb/>
kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß &#x017F;ie mit<lb/>
uns kommen &#x017F;ollten zum Kreuze. Ei, die kleine<lb/>
bunte Welt hat davon nichts wi&#x017F;&#x017F;en wollen.</p><lb/>
          <p>Mein Gefährte i&#x017F;t ein &#x017F;ehr &#x017F;elt&#x017F;amer Kauz.<lb/>
Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben.<lb/>
Aber unter den Waldmen&#x017F;chen gibt es einmal die<lb/>
wunderlich&#x017F;ten Sonderge&#x017F;talten. Draußen in der<lb/>
durchgebildeten und abge&#x017F;chliffenen Welt nennt man<lb/>
&#x017F;olche Er&#x017F;cheinungen große Gei&#x017F;ter; hier heißen &#x017F;ie<lb/>
Narren und Halbnarren.</p><lb/>
          <p>Der Rüppel i&#x017F;t &#x017F;o ein Halbnarr. Sie heißen<lb/>
ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu<lb/>
fabeln weiß; und &#x017F;ie heißen ihn den Reim-Rüppel,<lb/>
weil er &#x2014; und das i&#x017F;t die Merkwürdigkeit &#x2014;<lb/>
nicht zehn Worte &#x017F;prechen kann, ohne zu reimen.<lb/>
Es i&#x017F;t eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze<lb/>
Lebensge&#x017F;chichte hat er mir unterwegs in Reimen<lb/>
erzählt. Die Reime haben zwar gottslä&#x017F;terlich ge-<lb/>
holpert; aber wer &#x017F;oll auf &#x017F;o &#x017F;teinigem Waldboden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0245] dem Thaue und den Vögeln und dem Reh und dem ganzen Wald haben wir Dank geſagt. — Wir ſteigen über glatten Waldboden, wir ſteigen über verwittertes Gefälle und bemooſtes Geſtein. Die Bäume ſind alt und tragen lange Bärte, mit jedem ſteht der Fabelhans auf brüderlichem Fuße. Unter den Weben der Mooſe begegnen uns Käfer, Amei- ſen, Eidechſen; wir grüßen ſie alle, und luſtflun- kernde Schmetterlinge laden wir ein, daß ſie mit uns kommen ſollten zum Kreuze. Ei, die kleine bunte Welt hat davon nichts wiſſen wollen. Mein Gefährte iſt ein ſehr ſeltſamer Kauz. Wer ihn nicht kennt, der kann ihm nicht glauben. Aber unter den Waldmenſchen gibt es einmal die wunderlichſten Sondergeſtalten. Draußen in der durchgebildeten und abgeſchliffenen Welt nennt man ſolche Erſcheinungen große Geiſter; hier heißen ſie Narren und Halbnarren. Der Rüppel iſt ſo ein Halbnarr. Sie heißen ihn auch den Fabelhans, weil er allfort was zu fabeln weiß; und ſie heißen ihn den Reim-Rüppel, weil er — und das iſt die Merkwürdigkeit — nicht zehn Worte ſprechen kann, ohne zu reimen. Es iſt eine tollwitzige Gewohnheit. Seine ganze Lebensgeſchichte hat er mir unterwegs in Reimen erzählt. Die Reime haben zwar gottsläſterlich ge- holpert; aber wer ſoll auf ſo ſteinigem Waldboden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/245
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/245>, abgerufen am 27.11.2024.