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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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chelt, und als er einen Blick hinabthut auf den
Schrein, da hebt er an zu reden:

"Geboren ist sie worden vor neunzig Jahren.
Ihr Lebtag ist sie mit keinem Rößlein gefahren.
Mit ihren Füßen ist sie gegangen thalab und berg-
auf ihren ganzen mühseligen Lebenslauf. Sie ist
beigesprungen den Leuten in Kummer und Nöthen,
und dabei hat sie hundert par Schuh' zertreten.
Und andere hundert par Schuh' thät sie wagen,
um ihren Kindern das Brot auf den Tisch zu
tragen. Und weitere hundert par Schuh sind zerrissen
auf Schmerzenswegen, die sie hat wandeln müssen.
Für Tanz und sonstige Lustbarkeiten fürwahr, thät'
sie brauchen nicht ein einziges Paar. Dann hat sie
angezogen die letzten Schuh', und fortgegangen ist
sie in die ewige Ruh'. Die heiligen Engel thaten
ihre Seele führen wol durch das Fegfeuer bis zu
den himmlischen Thüren. Und unter der Erde thut
ruhen der arme Leib in seiner hölzernen Truhen. --
Schlaf wohl, Kathrin, in deiner neuen Wiegen, wir
werden bald an deiner Seiten liegen; bis der Herr uns
thut wecken zu seinen heiligen Schaaren, auf daß wir
mit Leib und Seel' in den Himmel mögen fahren!"
-- -- -- -- -- -- -- -- -- --

"Der Rüppel wäre der Pfarrer für die Winkel-
steger!" hat nun der Mann gesagt, den sie den
Einspanig geheißen.


chelt, und als er einen Blick hinabthut auf den
Schrein, da hebt er an zu reden:

„Geboren iſt ſie worden vor neunzig Jahren.
Ihr Lebtag iſt ſie mit keinem Rößlein gefahren.
Mit ihren Füßen iſt ſie gegangen thalab und berg-
auf ihren ganzen mühſeligen Lebenslauf. Sie iſt
beigeſprungen den Leuten in Kummer und Nöthen,
und dabei hat ſie hundert par Schuh’ zertreten.
Und andere hundert par Schuh’ thät ſie wagen,
um ihren Kindern das Brot auf den Tiſch zu
tragen. Und weitere hundert par Schuh ſind zerriſſen
auf Schmerzenswegen, die ſie hat wandeln müſſen.
Für Tanz und ſonſtige Luſtbarkeiten fürwahr, thät’
ſie brauchen nicht ein einziges Paar. Dann hat ſie
angezogen die letzten Schuh’, und fortgegangen iſt
ſie in die ewige Ruh’. Die heiligen Engel thaten
ihre Seele führen wol durch das Fegfeuer bis zu
den himmliſchen Thüren. Und unter der Erde thut
ruhen der arme Leib in ſeiner hölzernen Truhen. —
Schlaf wohl, Kathrin, in deiner neuen Wiegen, wir
werden bald an deiner Seiten liegen; bis der Herr uns
thut wecken zu ſeinen heiligen Schaaren, auf daß wir
mit Leib und Seel’ in den Himmel mögen fahren!“
— — — — — — — — — —

„Der Rüppel wäre der Pfarrer für die Winkel-
ſteger!“ hat nun der Mann geſagt, den ſie den
Einſpanig geheißen.


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[314/0324] chelt, und als er einen Blick hinabthut auf den Schrein, da hebt er an zu reden: „Geboren iſt ſie worden vor neunzig Jahren. Ihr Lebtag iſt ſie mit keinem Rößlein gefahren. Mit ihren Füßen iſt ſie gegangen thalab und berg- auf ihren ganzen mühſeligen Lebenslauf. Sie iſt beigeſprungen den Leuten in Kummer und Nöthen, und dabei hat ſie hundert par Schuh’ zertreten. Und andere hundert par Schuh’ thät ſie wagen, um ihren Kindern das Brot auf den Tiſch zu tragen. Und weitere hundert par Schuh ſind zerriſſen auf Schmerzenswegen, die ſie hat wandeln müſſen. Für Tanz und ſonſtige Luſtbarkeiten fürwahr, thät’ ſie brauchen nicht ein einziges Paar. Dann hat ſie angezogen die letzten Schuh’, und fortgegangen iſt ſie in die ewige Ruh’. Die heiligen Engel thaten ihre Seele führen wol durch das Fegfeuer bis zu den himmliſchen Thüren. Und unter der Erde thut ruhen der arme Leib in ſeiner hölzernen Truhen. — Schlaf wohl, Kathrin, in deiner neuen Wiegen, wir werden bald an deiner Seiten liegen; bis der Herr uns thut wecken zu ſeinen heiligen Schaaren, auf daß wir mit Leib und Seel’ in den Himmel mögen fahren!“ — — — — — — — — — — „Der Rüppel wäre der Pfarrer für die Winkel- ſteger!“ hat nun der Mann geſagt, den ſie den Einſpanig geheißen.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/324>, abgerufen am 21.11.2024.