"Hätt' ein kleines Anliegen," sagt der Mann und bleibt auf seinem Flecke stehen, "bin der Branntweinbrenner vom Miesenbachwald, ein armer Teufel, der sich seinen Brotgroschen mit blutigen Händen muß erwerben. Arbeiten mag ich gern, so lang mir altem Manne Gott das Leben noch schenkt, wiewol mich die Leute schon niederdrucken möchten und mir die Kundschaften abzwicken."
"Setzet euch," sagt der Pfarrer, "ihr seid erhitzt, seid etwan recht gelaufen?"
"Gar nicht. Hübsch stad bin ich gegangen, und hab' unterwegs gedacht bei mir selber, daß keine Gerechtigkeit mehr ist auf der Welt, und bei keinem Menschen mehr -- bei gar keinem, er mag noch so heilig ausschauen. Was ist denn das für ein Pfarrer, der einem armen Familienvater seiner Gemeinde das letzt' Stückel Brot aus der Hand schlägt? -- Ist und trägt schon die ehrlich' Arbeit nichts, recht, so muß Einer halt stehlen, rauben; wird wol besser sein, als wenn ein armer Ab- gematteter so ein Tröpfel Branntwein in den Mund thut; -- ist ja der Höllbrunnen das!"
Der Mann schnauft sich aus; der Pfarrer schweigt; er weiß, daß er den Sturm vertoben lassen muß, will er bei ruhigem Wetter säen.
Der Pfarrer bietet ihm freundlich einen Stuhl.
„Hätt’ ein kleines Anliegen,“ ſagt der Mann und bleibt auf ſeinem Flecke ſtehen, „bin der Branntweinbrenner vom Mieſenbachwald, ein armer Teufel, der ſich ſeinen Brotgroſchen mit blutigen Händen muß erwerben. Arbeiten mag ich gern, ſo lang mir altem Manne Gott das Leben noch ſchenkt, wiewol mich die Leute ſchon niederdrucken möchten und mir die Kundſchaften abzwicken.“
„Gar nicht. Hübſch ſtad bin ich gegangen, und hab’ unterwegs gedacht bei mir ſelber, daß keine Gerechtigkeit mehr iſt auf der Welt, und bei keinem Menſchen mehr — bei gar keinem, er mag noch ſo heilig ausſchauen. Was iſt denn das für ein Pfarrer, der einem armen Familienvater ſeiner Gemeinde das letzt’ Stückel Brot aus der Hand ſchlägt? — Iſt und trägt ſchon die ehrlich’ Arbeit nichts, recht, ſo muß Einer halt ſtehlen, rauben; wird wol beſſer ſein, als wenn ein armer Ab- gematteter ſo ein Tröpfel Branntwein in den Mund thut; — iſt ja der Höllbrunnen das!“
Der Mann ſchnauft ſich aus; der Pfarrer ſchweigt; er weiß, daß er den Sturm vertoben laſſen muß, will er bei ruhigem Wetter ſäen.
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Der Pfarrer bietet ihm freundlich einen
Stuhl.
„Hätt’ ein kleines Anliegen,“ ſagt der Mann
und bleibt auf ſeinem Flecke ſtehen, „bin der
Branntweinbrenner vom Mieſenbachwald, ein armer
Teufel, der ſich ſeinen Brotgroſchen mit blutigen
Händen muß erwerben. Arbeiten mag ich gern, ſo
lang mir altem Manne Gott das Leben noch
ſchenkt, wiewol mich die Leute ſchon niederdrucken
möchten und mir die Kundſchaften abzwicken.“
„Setzet euch,“ ſagt der Pfarrer, „ihr ſeid
erhitzt, ſeid etwan recht gelaufen?“
„Gar nicht. Hübſch ſtad bin ich gegangen,
und hab’ unterwegs gedacht bei mir ſelber, daß
keine Gerechtigkeit mehr iſt auf der Welt, und bei
keinem Menſchen mehr — bei gar keinem, er mag
noch ſo heilig ausſchauen. Was iſt denn das für
ein Pfarrer, der einem armen Familienvater ſeiner
Gemeinde das letzt’ Stückel Brot aus der Hand
ſchlägt? — Iſt und trägt ſchon die ehrlich’ Arbeit
nichts, recht, ſo muß Einer halt ſtehlen, rauben;
wird wol beſſer ſein, als wenn ein armer Ab-
gematteter ſo ein Tröpfel Branntwein in den Mund
thut; — iſt ja der Höllbrunnen das!“
Der Mann ſchnauft ſich aus; der Pfarrer
ſchweigt; er weiß, daß er den Sturm vertoben
laſſen muß, will er bei ruhigem Wetter ſäen.
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/378>, abgerufen am 21.11.2024.
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