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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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zierliche Bücklinge und nennt mich ihren lieben,
sehr lieben Herrn Vetter.

Wie freudig ich auch anfangs drein gegangen
bin in meinem Lernen, es ist mir gar bald ver-
leidet worden. Da habe ich vormalen immer ge-
meint, in einer Gelehrtenschule würde man Himmel
und Erde erfassen, und alles, was darin ist im
schönen Zusammenhange erkennen lernen; sie thun
ja so, als ob sie das Alles zutiefst inne hätten,
die Herren Gelehrten, wenn sie im Scheine hoher
Würde über die Gasse gehen. Das hat mich sauber
betrogen. Für Einen, der nur studirt, um ein
lustiger Student sein zu können; für Einen, der
nur lernt, um dereinstmalen als "Gelehrter" zu
prunken, oder als solcher sein Brot zu erwerben --
für so Einen mag diese Gelehrtenschule taugen.
Für Einen nach wahrem Wissen und Erkennen
Strebenden aber ist sie ein erbärmlich Ding. Ein
sehr erbärmlich Ding.

Schöne Gegenstände sind auf dem Lehrplan
gestanden. Schon in den unteren Abtheilungen
haben wir Erdbeschreibung, Geschichte, Meß- und
Größenlehre, Sprachlehre u. s. w. gehabt. Die
verkehrte Welt ist's gewesen. In der Erdbeschrei-
bung haben wir statt Länder- und Völkerkunde
nur die Größe der Fürstenthümer und ihrer Städte
vor Augen gehabt. In der Geschichte haben wir,

zierliche Bücklinge und nennt mich ihren lieben,
ſehr lieben Herrn Vetter.

Wie freudig ich auch anfangs drein gegangen
bin in meinem Lernen, es iſt mir gar bald ver-
leidet worden. Da habe ich vormalen immer ge-
meint, in einer Gelehrtenſchule würde man Himmel
und Erde erfaſſen, und alles, was darin iſt im
ſchönen Zuſammenhange erkennen lernen; ſie thun
ja ſo, als ob ſie das Alles zutiefſt inne hätten,
die Herren Gelehrten, wenn ſie im Scheine hoher
Würde über die Gaſſe gehen. Das hat mich ſauber
betrogen. Für Einen, der nur ſtudirt, um ein
luſtiger Student ſein zu können; für Einen, der
nur lernt, um dereinſtmalen als „Gelehrter“ zu
prunken, oder als ſolcher ſein Brot zu erwerben —
für ſo Einen mag dieſe Gelehrtenſchule taugen.
Für Einen nach wahrem Wiſſen und Erkennen
Strebenden aber iſt ſie ein erbärmlich Ding. Ein
ſehr erbärmlich Ding.

Schöne Gegenſtände ſind auf dem Lehrplan
geſtanden. Schon in den unteren Abtheilungen
haben wir Erdbeſchreibung, Geſchichte, Meß- und
Größenlehre, Sprachlehre u. ſ. w. gehabt. Die
verkehrte Welt iſt’s geweſen. In der Erdbeſchrei-
bung haben wir ſtatt Länder- und Völkerkunde
nur die Größe der Fürſtenthümer und ihrer Städte
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[41/0051] zierliche Bücklinge und nennt mich ihren lieben, ſehr lieben Herrn Vetter. Wie freudig ich auch anfangs drein gegangen bin in meinem Lernen, es iſt mir gar bald ver- leidet worden. Da habe ich vormalen immer ge- meint, in einer Gelehrtenſchule würde man Himmel und Erde erfaſſen, und alles, was darin iſt im ſchönen Zuſammenhange erkennen lernen; ſie thun ja ſo, als ob ſie das Alles zutiefſt inne hätten, die Herren Gelehrten, wenn ſie im Scheine hoher Würde über die Gaſſe gehen. Das hat mich ſauber betrogen. Für Einen, der nur ſtudirt, um ein luſtiger Student ſein zu können; für Einen, der nur lernt, um dereinſtmalen als „Gelehrter“ zu prunken, oder als ſolcher ſein Brot zu erwerben — für ſo Einen mag dieſe Gelehrtenſchule taugen. Für Einen nach wahrem Wiſſen und Erkennen Strebenden aber iſt ſie ein erbärmlich Ding. Ein ſehr erbärmlich Ding. Schöne Gegenſtände ſind auf dem Lehrplan geſtanden. Schon in den unteren Abtheilungen haben wir Erdbeſchreibung, Geſchichte, Meß- und Größenlehre, Sprachlehre u. ſ. w. gehabt. Die verkehrte Welt iſt’s geweſen. In der Erdbeſchrei- bung haben wir ſtatt Länder- und Völkerkunde nur die Größe der Fürſtenthümer und ihrer Städte vor Augen gehabt. In der Geſchichte haben wir,

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/51>, abgerufen am 27.11.2024.