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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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anstatt der naturgemäßen Entwickelung der Mensch-
heit nachzuspüren, spitzfindige Staatenklügelei ge-
trieben; der Lehrer hat allfort nur von hohen
Fürstenhäusern und ihren Stammbäumen, Umtrie-
ben und Schlachten geschwätzt; sonst hat der Wicht
nichts gewußt. In der Meßlehre haben wir uns
mit Beispielen abgeplagt, die weder der Lehrer
noch der Schüler verstanden und im Leben schier
gar nicht vorkommen. Die Sprachlehre ist schon
gar ein Elend gewesen. Ach, die schöne arme
deutsche Sprache ist zugerichtet, daß Einem das
Herz möcht' brechen. Seit vielen Jahren ist sie
von der welschen belagert, ja hochnothpeinlich auf
die Folter gespannt. Und wollt's ein deutscher
Bursche einmal versuchen, seine reinen Mutterlaute
wieder zu Ehren zu bringen, allsogleich thaten die
hochgelahrten Herren zu Dutzenden herbeistürzen
mit ihrem Griechisch und Latein, um mit dem
todten Buchstaben der todten Sprachen auch den
deutschen Laut zu tödten. Ich weiß recht gut,
welch hohen Segen die Sprache des Homer und
Virgil für unsere arg geschändete deutsche Zunge
in sich trägt; davon zeugt unser Klopstock und
Schiller. Aber die gelehrten Pharisäer, von
denen ich rede, gehen auf den Buchstaben und
nicht auf den Geist. Mit überflüßigen Dingen
pferchen sie uns den Kopf voll. Die unsinnigsten

anſtatt der naturgemäßen Entwickelung der Menſch-
heit nachzuſpüren, ſpitzfindige Staatenklügelei ge-
trieben; der Lehrer hat allfort nur von hohen
Fürſtenhäuſern und ihren Stammbäumen, Umtrie-
ben und Schlachten geſchwätzt; ſonſt hat der Wicht
nichts gewußt. In der Meßlehre haben wir uns
mit Beiſpielen abgeplagt, die weder der Lehrer
noch der Schüler verſtanden und im Leben ſchier
gar nicht vorkommen. Die Sprachlehre iſt ſchon
gar ein Elend geweſen. Ach, die ſchöne arme
deutſche Sprache iſt zugerichtet, daß Einem das
Herz möcht’ brechen. Seit vielen Jahren iſt ſie
von der welſchen belagert, ja hochnothpeinlich auf
die Folter geſpannt. Und wollt’s ein deutſcher
Burſche einmal verſuchen, ſeine reinen Mutterlaute
wieder zu Ehren zu bringen, allſogleich thaten die
hochgelahrten Herren zu Dutzenden herbeiſtürzen
mit ihrem Griechiſch und Latein, um mit dem
todten Buchſtaben der todten Sprachen auch den
deutſchen Laut zu tödten. Ich weiß recht gut,
welch hohen Segen die Sprache des Homer und
Virgil für unſere arg geſchändete deutſche Zunge
in ſich trägt; davon zeugt unſer Klopſtock und
Schiller. Aber die gelehrten Phariſäer, von
denen ich rede, gehen auf den Buchſtaben und
nicht auf den Geiſt. Mit überflüßigen Dingen
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[42/0052] anſtatt der naturgemäßen Entwickelung der Menſch- heit nachzuſpüren, ſpitzfindige Staatenklügelei ge- trieben; der Lehrer hat allfort nur von hohen Fürſtenhäuſern und ihren Stammbäumen, Umtrie- ben und Schlachten geſchwätzt; ſonſt hat der Wicht nichts gewußt. In der Meßlehre haben wir uns mit Beiſpielen abgeplagt, die weder der Lehrer noch der Schüler verſtanden und im Leben ſchier gar nicht vorkommen. Die Sprachlehre iſt ſchon gar ein Elend geweſen. Ach, die ſchöne arme deutſche Sprache iſt zugerichtet, daß Einem das Herz möcht’ brechen. Seit vielen Jahren iſt ſie von der welſchen belagert, ja hochnothpeinlich auf die Folter geſpannt. Und wollt’s ein deutſcher Burſche einmal verſuchen, ſeine reinen Mutterlaute wieder zu Ehren zu bringen, allſogleich thaten die hochgelahrten Herren zu Dutzenden herbeiſtürzen mit ihrem Griechiſch und Latein, um mit dem todten Buchſtaben der todten Sprachen auch den deutſchen Laut zu tödten. Ich weiß recht gut, welch hohen Segen die Sprache des Homer und Virgil für unſere arg geſchändete deutſche Zunge in ſich trägt; davon zeugt unſer Klopſtock und Schiller. Aber die gelehrten Phariſäer, von denen ich rede, gehen auf den Buchſtaben und nicht auf den Geiſt. Mit überflüßigen Dingen pferchen ſie uns den Kopf voll. Die unſinnigſten

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/52>, abgerufen am 27.11.2024.