strömte der Regen und in zahllosen grauen Fäden rieselte es vom Dache.
Nach Tische las ich weiter.
Im Winkel.
So will ich Alles aufschreiben. Für wen, das weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie dermaleinst das Brieflein, als mein Vater ge- storben. All das Seltsame und Bewegende, das ich erlebe, müßt' mir das Herz zersprengen, dürft' ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem Blatt Papier. Vielleicht findet sich dereinst ein Mensch, dem ich's mag vertrauen, und sollt' er mich auch nur zum halben Theil verstehen. Ihr stillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde sein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun kommen mögen. Ich trag heute noch ein frisches dunkles Haar, und ihr seid grau zumal; etwan überlebt ihr mich weit und seid mein zukünftig Geschlecht.
Ein Blättchen Papier kann älter werden, Wie das frischeste Maiblatt auf Gottes Erden, Wie das flinkeste Gemslein am Felsenwall, Wie das lockige Kind im lieblichen Thal. Ein Blättchen Papier weiß und mild Ist oft das treueste einzige Bild,
ſtrömte der Regen und in zahlloſen grauen Fäden rieſelte es vom Dache.
Nach Tiſche las ich weiter.
Im Winkel.
So will ich Alles aufſchreiben. Für wen, das weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie dermaleinſt das Brieflein, als mein Vater ge- ſtorben. All das Seltſame und Bewegende, das ich erlebe, müßt’ mir das Herz zerſprengen, dürft’ ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem Blatt Papier. Vielleicht findet ſich dereinſt ein Menſch, dem ich’s mag vertrauen, und ſollt’ er mich auch nur zum halben Theil verſtehen. Ihr ſtillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde ſein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun kommen mögen. Ich trag heute noch ein friſches dunkles Haar, und ihr ſeid grau zumal; etwan überlebt ihr mich weit und ſeid mein zukünftig Geſchlecht.
Ein Blättchen Papier kann älter werden, Wie das friſcheſte Maiblatt auf Gottes Erden, Wie das flinkeſte Gemslein am Felſenwall, Wie das lockige Kind im lieblichen Thal. Ein Blättchen Papier weiß und mild Iſt oft das treueſte einzige Bild,
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ſtrömte der Regen und in zahlloſen grauen Fäden
rieſelte es vom Dache.
Nach Tiſche las ich weiter.
Im Winkel.
So will ich Alles aufſchreiben. Für wen, das
weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie
dermaleinſt das Brieflein, als mein Vater ge-
ſtorben. All das Seltſame und Bewegende, das ich
erlebe, müßt’ mir das Herz zerſprengen, dürft’
ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem
Blatt Papier. Vielleicht findet ſich dereinſt ein
Menſch, dem ich’s mag vertrauen, und ſollt’ er
mich auch nur zum halben Theil verſtehen. Ihr
ſtillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde
ſein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun
kommen mögen. Ich trag heute noch ein friſches
dunkles Haar, und ihr ſeid grau zumal; etwan
überlebt ihr mich weit und ſeid mein zukünftig
Geſchlecht.
Ein Blättchen Papier kann älter werden,
Wie das friſcheſte Maiblatt auf Gottes Erden,
Wie das flinkeſte Gemslein am Felſenwall,
Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.
Ein Blättchen Papier weiß und mild
Iſt oft das treueſte einzige Bild,
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/78>, abgerufen am 23.11.2024.
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