Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

strömte der Regen und in zahllosen grauen Fäden
rieselte es vom Dache.

Nach Tische las ich weiter.

Im Winkel.

So will ich Alles aufschreiben. Für wen, das
weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie
dermaleinst das Brieflein, als mein Vater ge-
storben. All das Seltsame und Bewegende, das ich
erlebe, müßt' mir das Herz zersprengen, dürft'
ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem
Blatt Papier. Vielleicht findet sich dereinst ein
Mensch, dem ich's mag vertrauen, und sollt' er
mich auch nur zum halben Theil verstehen. Ihr
stillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde
sein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun
kommen mögen. Ich trag heute noch ein frisches
dunkles Haar, und ihr seid grau zumal; etwan
überlebt ihr mich weit und seid mein zukünftig
Geschlecht.

Ein Blättchen Papier kann älter werden,
Wie das frischeste Maiblatt auf Gottes Erden,
Wie das flinkeste Gemslein am Felsenwall,
Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.
Ein Blättchen Papier weiß und mild
Ist oft das treueste einzige Bild,

ſtrömte der Regen und in zahlloſen grauen Fäden
rieſelte es vom Dache.

Nach Tiſche las ich weiter.

Im Winkel.

So will ich Alles aufſchreiben. Für wen, das
weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie
dermaleinſt das Brieflein, als mein Vater ge-
ſtorben. All das Seltſame und Bewegende, das ich
erlebe, müßt’ mir das Herz zerſprengen, dürft’
ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem
Blatt Papier. Vielleicht findet ſich dereinſt ein
Menſch, dem ich’s mag vertrauen, und ſollt’ er
mich auch nur zum halben Theil verſtehen. Ihr
ſtillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde
ſein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun
kommen mögen. Ich trag heute noch ein friſches
dunkles Haar, und ihr ſeid grau zumal; etwan
überlebt ihr mich weit und ſeid mein zukünftig
Geſchlecht.

Ein Blättchen Papier kann älter werden,
Wie das friſcheſte Maiblatt auf Gottes Erden,
Wie das flinkeſte Gemslein am Felſenwall,
Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.
Ein Blättchen Papier weiß und mild
Iſt oft das treueſte einzige Bild,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="68"/>
&#x017F;trömte der Regen und in zahllo&#x017F;en grauen Fäden<lb/>
rie&#x017F;elte es vom Dache.</p><lb/>
        <p>Nach Ti&#x017F;che las ich weiter.</p><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Im Winkel.</hi> </head><lb/>
          <p>So will ich Alles auf&#x017F;chreiben. Für wen, das<lb/>
weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie<lb/>
dermalein&#x017F;t das Brieflein, als mein Vater ge-<lb/>
&#x017F;torben. All das Selt&#x017F;ame und Bewegende, das ich<lb/>
erlebe, müßt&#x2019; mir das Herz zer&#x017F;prengen, dürft&#x2019;<lb/>
ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem<lb/>
Blatt Papier. Vielleicht findet &#x017F;ich derein&#x017F;t ein<lb/>
Men&#x017F;ch, dem ich&#x2019;s mag vertrauen, und &#x017F;ollt&#x2019; er<lb/>
mich auch nur zum halben Theil ver&#x017F;tehen. Ihr<lb/>
&#x017F;tillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde<lb/>
&#x017F;ein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun<lb/>
kommen mögen. Ich trag heute noch ein fri&#x017F;ches<lb/>
dunkles Haar, und ihr &#x017F;eid grau zumal; etwan<lb/>
überlebt ihr mich weit und &#x017F;eid mein zukünftig<lb/>
Ge&#x017F;chlecht.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Ein Blättchen Papier kann älter werden,</l><lb/>
            <l>Wie das fri&#x017F;che&#x017F;te Maiblatt auf Gottes Erden,</l><lb/>
            <l>Wie das flinke&#x017F;te Gemslein am Fel&#x017F;enwall,</l><lb/>
            <l>Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.</l><lb/>
            <l>Ein Blättchen Papier weiß und mild</l><lb/>
            <l>I&#x017F;t oft das treue&#x017F;te einzige Bild,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0078] ſtrömte der Regen und in zahlloſen grauen Fäden rieſelte es vom Dache. Nach Tiſche las ich weiter. Im Winkel. So will ich Alles aufſchreiben. Für wen, das weiß ich nicht; etwan für den lieben Gott, wie dermaleinſt das Brieflein, als mein Vater ge- ſtorben. All das Seltſame und Bewegende, das ich erlebe, müßt’ mir das Herz zerſprengen, dürft’ ich es nicht ausplaudern. Ich erzähle es dem Blatt Papier. Vielleicht findet ſich dereinſt ein Menſch, dem ich’s mag vertrauen, und ſollt’ er mich auch nur zum halben Theil verſtehen. Ihr ſtillen weißen Blätter wollt jetztund meine Freunde ſein und theilnehmen an den Tagen, die mir nun kommen mögen. Ich trag heute noch ein friſches dunkles Haar, und ihr ſeid grau zumal; etwan überlebt ihr mich weit und ſeid mein zukünftig Geſchlecht. Ein Blättchen Papier kann älter werden, Wie das friſcheſte Maiblatt auf Gottes Erden, Wie das flinkeſte Gemslein am Felſenwall, Wie das lockige Kind im lieblichen Thal. Ein Blättchen Papier weiß und mild Iſt oft das treueſte einzige Bild,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/78
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/78>, abgerufen am 23.11.2024.