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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Augen der Gelahrtheit auf und sagen: Der da
gehört in diese Klasse, oder in diese -- als wie
wenn die hundertjährigen Tannen und Eichen lauter
Schulbuben wären.

Mir ist es schon recht im Walde. Ich will,
so lange ich ihn genieße, von seinem Zwecke, wie
diesen Zweck die Gewinnsucht der Menschen ver-
steht, kein Wort noch gehört haben; ich will so
kindlich unwissend sein, als wär ich erst heute vom
Himmel gefallen auf das weiche, kühle Moos im
Schatten des Waldes.

Ein Netz von Wurzeln umgibt mich, theils
saugt es aus der Erde seinen Bäumen die Mutter-
milch, theils sucht es den Moosboden und den
Andreas Erdmann darauf mit sich zu verflechten.
Ich ruhe sanft auf den Armen des Netzes -- auf
Mutterarmen.

Geradeempor ragt der braune Stamm der
Fichte und reckt einen reichen Kranz von knorrigen
Aesten nach allen Seiten. Die Aeste haben lange,
graue Bärte -- so hängen die filzigen Flechten-
fahnen nieder von Zweig zu Zweig. Wohlgeglättet
und balsamtriefend ist die silberigschimmernde Tanne.
In den rauhen, furchigen, verschnörkelten Rinden
der Lärche aber ist mit den geheimnißvollen Zeichen
der zahllosen Schrammen die ganze Weltgeschichte
eingegraben, von dem Tage an, als der verbannte

Augen der Gelahrtheit auf und ſagen: Der da
gehört in dieſe Klaſſe, oder in dieſe — als wie
wenn die hundertjährigen Tannen und Eichen lauter
Schulbuben wären.

Mir iſt es ſchon recht im Walde. Ich will,
ſo lange ich ihn genieße, von ſeinem Zwecke, wie
dieſen Zweck die Gewinnſucht der Menſchen ver-
ſteht, kein Wort noch gehört haben; ich will ſo
kindlich unwiſſend ſein, als wär ich erſt heute vom
Himmel gefallen auf das weiche, kühle Moos im
Schatten des Waldes.

Ein Netz von Wurzeln umgibt mich, theils
ſaugt es aus der Erde ſeinen Bäumen die Mutter-
milch, theils ſucht es den Moosboden und den
Andreas Erdmann darauf mit ſich zu verflechten.
Ich ruhe ſanft auf den Armen des Netzes — auf
Mutterarmen.

Geradeempor ragt der braune Stamm der
Fichte und reckt einen reichen Kranz von knorrigen
Aeſten nach allen Seiten. Die Aeſte haben lange,
graue Bärte — ſo hängen die filzigen Flechten-
fahnen nieder von Zweig zu Zweig. Wohlgeglättet
und balſamtriefend iſt die ſilberigſchimmernde Tanne.
In den rauhen, furchigen, verſchnörkelten Rinden
der Lärche aber iſt mit den geheimnißvollen Zeichen
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eingegraben, von dem Tage an, als der verbannte

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[77/0087] Augen der Gelahrtheit auf und ſagen: Der da gehört in dieſe Klaſſe, oder in dieſe — als wie wenn die hundertjährigen Tannen und Eichen lauter Schulbuben wären. Mir iſt es ſchon recht im Walde. Ich will, ſo lange ich ihn genieße, von ſeinem Zwecke, wie dieſen Zweck die Gewinnſucht der Menſchen ver- ſteht, kein Wort noch gehört haben; ich will ſo kindlich unwiſſend ſein, als wär ich erſt heute vom Himmel gefallen auf das weiche, kühle Moos im Schatten des Waldes. Ein Netz von Wurzeln umgibt mich, theils ſaugt es aus der Erde ſeinen Bäumen die Mutter- milch, theils ſucht es den Moosboden und den Andreas Erdmann darauf mit ſich zu verflechten. Ich ruhe ſanft auf den Armen des Netzes — auf Mutterarmen. Geradeempor ragt der braune Stamm der Fichte und reckt einen reichen Kranz von knorrigen Aeſten nach allen Seiten. Die Aeſte haben lange, graue Bärte — ſo hängen die filzigen Flechten- fahnen nieder von Zweig zu Zweig. Wohlgeglättet und balſamtriefend iſt die ſilberigſchimmernde Tanne. In den rauhen, furchigen, verſchnörkelten Rinden der Lärche aber iſt mit den geheimnißvollen Zeichen der zahlloſen Schrammen die ganze Weltgeſchichte eingegraben, von dem Tage an, als der verbannte

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/87>, abgerufen am 15.05.2024.