Gattung u. s. w. festgehalten sei. Diese Bestimmtheit ist durchaus erforderlich, weil ohne sie die Individualiät der Gestalt nicht zur Erscheinung kommen kann. Sie ist insofern schön. Da sie jedoch erst auf die formale Uebereinstimmung der individuellen Gestalt mit ihrer generischen Gesetzmäßigkeit geht, so ist sie an sich noch nicht absolut schön, sondern macht nur die Erfüllung einer für das Schöne unerläßlichen Bedingung aus. Der idealische Schwung, die Weihe einer höhern Poesie liegt noch nicht in ihr und sie allein vermag daher noch nicht ästhetisch zu befriedigen.
Sagen wir von einem Kunstwerk, daß es völlig cor¬ rect sei, so ist das gewiß ein Lob und ein nicht geringes, denn wir erkennen damit an, daß es den Regeln der Kunst gemäß sei. Sagen wir aber nichts weiter von ihm, so ist dies Lob nahe daran, ein Tadel zu werden, denn als nur correct kann es zugleich trocken, ohne Seele, ohne den Sprudel origineller Erfindung sein. Wir sehen dies vorzüglich an den Werken derjenigen Kunstrichtung, die wir die akademische nennen. Formell sind sie gewöhnlich richtig, indem sich ihr Verdienst aber auf die Abwesenheit einzelner Fehler beschränkt, ermangeln sie nicht, uns trotz ihrer Correctheit bald zu langweilen, denn sie ergreifen uns nicht durch eine Begeisterung, die über das richtige Maaß hinaus uns mit jenem Ueberschuß göttlicher Eigenart, idealer Wahrheit, ursprünglicher Freiheit entzückte, der ein Kunstwerk erst zu einem classischen macht. Die akademische, wohlgeschulte Cor¬ rectheit, die noch weiter nichts ist, wird daher mit ihrer oft peinlichen Genauigkeit, dem schöpferischen Hauch des Genius gegenüber, kalt und dürftig, -- also häßlich erscheinen. Nicht das Correcte als solches ist häßlich, sondern häßlich ist das Schöne, sofern es auf der Stufe der bloßen Correctheit
Gattung u. ſ. w. feſtgehalten ſei. Dieſe Beſtimmtheit iſt durchaus erforderlich, weil ohne ſie die Individualiät der Geſtalt nicht zur Erſcheinung kommen kann. Sie iſt inſofern ſchön. Da ſie jedoch erſt auf die formale Uebereinſtimmung der individuellen Geſtalt mit ihrer generiſchen Geſetzmäßigkeit geht, ſo iſt ſie an ſich noch nicht abſolut ſchön, ſondern macht nur die Erfüllung einer für das Schöne unerläßlichen Bedingung aus. Der idealiſche Schwung, die Weihe einer höhern Poeſie liegt noch nicht in ihr und ſie allein vermag daher noch nicht äſthetiſch zu befriedigen.
Sagen wir von einem Kunſtwerk, daß es völlig cor¬ rect ſei, ſo iſt das gewiß ein Lob und ein nicht geringes, denn wir erkennen damit an, daß es den Regeln der Kunſt gemäß ſei. Sagen wir aber nichts weiter von ihm, ſo iſt dies Lob nahe daran, ein Tadel zu werden, denn als nur correct kann es zugleich trocken, ohne Seele, ohne den Sprudel origineller Erfindung ſein. Wir ſehen dies vorzüglich an den Werken derjenigen Kunſtrichtung, die wir die akademiſche nennen. Formell ſind ſie gewöhnlich richtig, indem ſich ihr Verdienſt aber auf die Abweſenheit einzelner Fehler beſchränkt, ermangeln ſie nicht, uns trotz ihrer Correctheit bald zu langweilen, denn ſie ergreifen uns nicht durch eine Begeiſterung, die über das richtige Maaß hinaus uns mit jenem Ueberſchuß göttlicher Eigenart, idealer Wahrheit, urſprünglicher Freiheit entzückte, der ein Kunſtwerk erſt zu einem claſſiſchen macht. Die akademiſche, wohlgeſchulte Cor¬ rectheit, die noch weiter nichts iſt, wird daher mit ihrer oft peinlichen Genauigkeit, dem ſchöpferiſchen Hauch des Genius gegenüber, kalt und dürftig, — alſo häßlich erſcheinen. Nicht das Correcte als ſolches iſt häßlich, ſondern häßlich iſt das Schöne, ſofern es auf der Stufe der bloßen Correctheit
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Gattung u. ſ. w. feſtgehalten ſei. Dieſe Beſtimmtheit iſt
durchaus erforderlich, weil ohne ſie die Individualiät der
Geſtalt nicht zur Erſcheinung kommen kann. Sie iſt inſofern
ſchön. Da ſie jedoch erſt auf die formale Uebereinſtimmung
der individuellen Geſtalt mit ihrer generiſchen Geſetzmäßigkeit
geht, ſo iſt ſie an ſich noch nicht abſolut ſchön, ſondern
macht nur die Erfüllung einer für das Schöne unerläßlichen
Bedingung aus. Der idealiſche Schwung, die Weihe einer
höhern Poeſie liegt noch nicht in ihr und ſie allein vermag
daher noch nicht äſthetiſch zu befriedigen.
Sagen wir von einem Kunſtwerk, daß es völlig cor¬
rect ſei, ſo iſt das gewiß ein Lob und ein nicht geringes,
denn wir erkennen damit an, daß es den Regeln der Kunſt
gemäß ſei. Sagen wir aber nichts weiter von ihm, ſo iſt
dies Lob nahe daran, ein Tadel zu werden, denn als nur
correct kann es zugleich trocken, ohne Seele, ohne den Sprudel
origineller Erfindung ſein. Wir ſehen dies vorzüglich an den
Werken derjenigen Kunſtrichtung, die wir die akademiſche
nennen. Formell ſind ſie gewöhnlich richtig, indem ſich ihr
Verdienſt aber auf die Abweſenheit einzelner Fehler
beſchränkt, ermangeln ſie nicht, uns trotz ihrer Correctheit
bald zu langweilen, denn ſie ergreifen uns nicht durch eine
Begeiſterung, die über das richtige Maaß hinaus uns mit
jenem Ueberſchuß göttlicher Eigenart, idealer Wahrheit,
urſprünglicher Freiheit entzückte, der ein Kunſtwerk erſt zu
einem claſſiſchen macht. Die akademiſche, wohlgeſchulte Cor¬
rectheit, die noch weiter nichts iſt, wird daher mit ihrer oft
peinlichen Genauigkeit, dem ſchöpferiſchen Hauch des Genius
gegenüber, kalt und dürftig, — alſo häßlich erſcheinen.
Nicht das Correcte als ſolches iſt häßlich, ſondern häßlich
iſt das Schöne, ſofern es auf der Stufe der bloßen Correctheit
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/139>, abgerufen am 23.11.2024.
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