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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Innerhalb einer Nation pflegt ihr Kunststyl wiederum
verschiedene Epochen der Entwicklung zu durchlaufen, die
sich als Schulen gestalten. Eine Schule fixirt eine Zeit
lang einen eigenthümlichen Geschmack, der in der Realisirung
des Ideals eine besondere Stufe ausmacht und daher sich
ähnlich, wie ein Nationalstyl, zu einem relativen ästhetischen
Kanon machen kann. Im Allgemeinen wird sich in einer
Schule die Richtung eines Nationalstyls zur reinsten Dar¬
stellung zusammenfassen. Das Ideal eines Nationalgeistes
wird mit dem Ideal einer Schule zusammenfallen; die übrigen
Schulen derselben Nation werden als voraufgehende und
nachfolgende Entwicklungsmomente der Hauptschule erscheinen.
Ein solcher Styl wird durch die Universalität, zu welcher er
sich erhebt, auf bleibende Weise Organ der Kunst werden
können, wie wenn wir heut zu Tage in der Malerei sagen,
daß ein Bild im Italienischen oder Niederländischen Styl
gemalt sei, zugleich aber angeben, ob es in der Weise der
Florentinischen oder Römischen oder Venetianischen oder
Sienesischen Schule u. s. w. concipirt sei. Ist einmal eine
solche Voraussetzung gemacht, so wird der Künstler incorrect,
wenn er sich nicht den Eigenheiten unterwirft, die zu den
constitutiven des besondern Schulgeschmacks gehören. Es ist
nicht unmöglich, daß einige derselben nicht correct sind im
Sinne der Naturwahrheit; der Künstler würde incorrect im
Sinne der Schule werden, wollte er nicht mit ihrer Indi¬
vidualität auch ihre Fehler realisiren, weil er, aller Wahr¬
scheinlichkeit nach, ohne dieselben auch nicht die Tugenden
würde erreichen können, welche den Styl der Schule aus¬
zeichnen.

Hier ist der Punct, eines Begriffs zu erwähnen, der
Göthe viel beschäftigt hat, nämlich des Dilettantismus.

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 10

Innerhalb einer Nation pflegt ihr Kunſtſtyl wiederum
verſchiedene Epochen der Entwicklung zu durchlaufen, die
ſich als Schulen geſtalten. Eine Schule fixirt eine Zeit
lang einen eigenthümlichen Geſchmack, der in der Realiſirung
des Ideals eine beſondere Stufe ausmacht und daher ſich
ähnlich, wie ein Nationalſtyl, zu einem relativen äſthetiſchen
Kanon machen kann. Im Allgemeinen wird ſich in einer
Schule die Richtung eines Nationalſtyls zur reinſten Dar¬
ſtellung zuſammenfaſſen. Das Ideal eines Nationalgeiſtes
wird mit dem Ideal einer Schule zuſammenfallen; die übrigen
Schulen derſelben Nation werden als voraufgehende und
nachfolgende Entwicklungsmomente der Hauptſchule erſcheinen.
Ein ſolcher Styl wird durch die Univerſalität, zu welcher er
ſich erhebt, auf bleibende Weiſe Organ der Kunſt werden
können, wie wenn wir heut zu Tage in der Malerei ſagen,
daß ein Bild im Italieniſchen oder Niederländiſchen Styl
gemalt ſei, zugleich aber angeben, ob es in der Weiſe der
Florentiniſchen oder Römiſchen oder Venetianiſchen oder
Sieneſiſchen Schule u. ſ. w. concipirt ſei. Iſt einmal eine
ſolche Vorausſetzung gemacht, ſo wird der Künſtler incorrect,
wenn er ſich nicht den Eigenheiten unterwirft, die zu den
conſtitutiven des beſondern Schulgeſchmacks gehören. Es iſt
nicht unmöglich, daß einige derſelben nicht correct ſind im
Sinne der Naturwahrheit; der Künſtler würde incorrect im
Sinne der Schule werden, wollte er nicht mit ihrer Indi¬
vidualität auch ihre Fehler realiſiren, weil er, aller Wahr¬
ſcheinlichkeit nach, ohne dieſelben auch nicht die Tugenden
würde erreichen können, welche den Styl der Schule aus¬
zeichnen.

Hier iſt der Punct, eines Begriffs zu erwähnen, der
Göthe viel beſchäftigt hat, nämlich des Dilettantismus.

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[145/0167] Innerhalb einer Nation pflegt ihr Kunſtſtyl wiederum verſchiedene Epochen der Entwicklung zu durchlaufen, die ſich als Schulen geſtalten. Eine Schule fixirt eine Zeit lang einen eigenthümlichen Geſchmack, der in der Realiſirung des Ideals eine beſondere Stufe ausmacht und daher ſich ähnlich, wie ein Nationalſtyl, zu einem relativen äſthetiſchen Kanon machen kann. Im Allgemeinen wird ſich in einer Schule die Richtung eines Nationalſtyls zur reinſten Dar¬ ſtellung zuſammenfaſſen. Das Ideal eines Nationalgeiſtes wird mit dem Ideal einer Schule zuſammenfallen; die übrigen Schulen derſelben Nation werden als voraufgehende und nachfolgende Entwicklungsmomente der Hauptſchule erſcheinen. Ein ſolcher Styl wird durch die Univerſalität, zu welcher er ſich erhebt, auf bleibende Weiſe Organ der Kunſt werden können, wie wenn wir heut zu Tage in der Malerei ſagen, daß ein Bild im Italieniſchen oder Niederländiſchen Styl gemalt ſei, zugleich aber angeben, ob es in der Weiſe der Florentiniſchen oder Römiſchen oder Venetianiſchen oder Sieneſiſchen Schule u. ſ. w. concipirt ſei. Iſt einmal eine ſolche Vorausſetzung gemacht, ſo wird der Künſtler incorrect, wenn er ſich nicht den Eigenheiten unterwirft, die zu den conſtitutiven des beſondern Schulgeſchmacks gehören. Es iſt nicht unmöglich, daß einige derſelben nicht correct ſind im Sinne der Naturwahrheit; der Künſtler würde incorrect im Sinne der Schule werden, wollte er nicht mit ihrer Indi¬ vidualität auch ihre Fehler realiſiren, weil er, aller Wahr¬ ſcheinlichkeit nach, ohne dieſelben auch nicht die Tugenden würde erreichen können, welche den Styl der Schule aus¬ zeichnen. Hier iſt der Punct, eines Begriffs zu erwähnen, der Göthe viel beſchäftigt hat, nämlich des Dilettantismus. Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 10

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/167>, abgerufen am 21.11.2024.