müssen. Diejenige Incorrectheit, an welcher unsere Zeit leidet, liegt vorzüglich in dem letzten Punct begründet, da wir übergenug Epen ohne Kampf, Lieder ohne Gefühl, Dramen ohne Handlung erhalten und besonders der Titel Novelle für die charakterlosesten Mischlingsproducte beliebt ist.
Eine eigene Art der Incorrectheit entsteht nun durch die ungehörige Vermischung der Künste. Sie können und sollen sich einander unterstützen, denn sie sind geselliger Natur und die Oper dankt ja ihre unvergleichliche Macht dem Zusammenwirken alle Künste. Etwas Anderes aber ist es, wenn die einzelnen Künste nach vorwärts oder rück¬ wärts über ihre Sphäre hinausgehen und Effecte hervor¬ bringen wollen, die ihnen kraft ihrer Eigenthümlichkeit ver¬ sagt bleiben müssen. Jede Kunst hat ihre Stärke nur innerhalb ihrer qualitativen Bestimmtheit. Verläßt sie dieselbe und strebt sie Wirkungen an, die nicht durch ihr Medium, nur durch das einer andern Kunst möglich sind, so widerspricht sie sich und verfällt damit dem Häßlichen. Ein Kunstwerk kann also correct nur sein, sofern es die im particulären Medium einer Kunst liegende Grenze innehält. Ueberspannt sie sich, so wird sie freilich mit eben diesem Wagniß Effect machen, denn sie bringt ja dann etwas hervor, was sie nicht her¬ vorbringen sollte und was als eine seltsame Erscheinung immerhin interessant sein kann, jedenfalls aber die Gesetze der wahren Kunst verletzt. Man verstehe dies richtig. Daß eine Kunst die andere unterstützt, ist schön; daß aber eine Kunst die Individualität einer andern auslöscht, ist häßlich. Die Architektur z. B. kann also von der Sculptur und sogar von der Malerei unterstützt werden, allein nicht so darf dies geschehen, daß nicht die Baukunst sich ihre Selbst¬ ständigkeit erhielte und, was Sculptur und Malerei zu
müſſen. Diejenige Incorrectheit, an welcher unſere Zeit leidet, liegt vorzüglich in dem letzten Punct begründet, da wir übergenug Epen ohne Kampf, Lieder ohne Gefühl, Dramen ohne Handlung erhalten und beſonders der Titel Novelle für die charakterloſeſten Miſchlingsproducte beliebt iſt.
Eine eigene Art der Incorrectheit entſteht nun durch die ungehörige Vermiſchung der Künſte. Sie können und ſollen ſich einander unterſtützen, denn ſie ſind geſelliger Natur und die Oper dankt ja ihre unvergleichliche Macht dem Zuſammenwirken alle Künſte. Etwas Anderes aber iſt es, wenn die einzelnen Künſte nach vorwärts oder rück¬ wärts über ihre Sphäre hinausgehen und Effecte hervor¬ bringen wollen, die ihnen kraft ihrer Eigenthümlichkeit ver¬ ſagt bleiben müſſen. Jede Kunſt hat ihre Stärke nur innerhalb ihrer qualitativen Beſtimmtheit. Verläßt ſie dieſelbe und ſtrebt ſie Wirkungen an, die nicht durch ihr Medium, nur durch das einer andern Kunſt möglich ſind, ſo widerſpricht ſie ſich und verfällt damit dem Häßlichen. Ein Kunſtwerk kann alſo correct nur ſein, ſofern es die im particulären Medium einer Kunſt liegende Grenze innehält. Ueberſpannt ſie ſich, ſo wird ſie freilich mit eben dieſem Wagniß Effect machen, denn ſie bringt ja dann etwas hervor, was ſie nicht her¬ vorbringen ſollte und was als eine ſeltſame Erſcheinung immerhin intereſſant ſein kann, jedenfalls aber die Geſetze der wahren Kunſt verletzt. Man verſtehe dies richtig. Daß eine Kunſt die andere unterſtützt, iſt ſchön; daß aber eine Kunſt die Individualität einer andern auslöſcht, iſt häßlich. Die Architektur z. B. kann alſo von der Sculptur und ſogar von der Malerei unterſtützt werden, allein nicht ſo darf dies geſchehen, daß nicht die Baukunſt ſich ihre Selbſt¬ ſtändigkeit erhielte und, was Sculptur und Malerei zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0177"n="155"/>
müſſen. Diejenige Incorrectheit, an welcher unſere Zeit<lb/>
leidet, liegt vorzüglich in dem letzten Punct begründet, da<lb/>
wir übergenug Epen ohne Kampf, Lieder ohne Gefühl,<lb/>
Dramen ohne Handlung erhalten und beſonders der Titel<lb/>
Novelle für die charakterloſeſten Miſchlingsproducte beliebt iſt.</p><lb/><p>Eine eigene Art der Incorrectheit entſteht nun durch<lb/>
die ungehörige Vermiſchung der Künſte. Sie können und<lb/>ſollen ſich einander unterſtützen, denn ſie ſind geſelliger<lb/>
Natur und die Oper dankt ja ihre unvergleichliche Macht<lb/>
dem Zuſammenwirken alle Künſte. Etwas Anderes aber iſt<lb/>
es, wenn die einzelnen Künſte nach vorwärts oder rück¬<lb/>
wärts über ihre Sphäre hinausgehen und Effecte hervor¬<lb/>
bringen wollen, die ihnen kraft ihrer Eigenthümlichkeit ver¬<lb/>ſagt bleiben müſſen. Jede Kunſt hat ihre Stärke nur innerhalb<lb/>
ihrer qualitativen Beſtimmtheit. Verläßt ſie dieſelbe und ſtrebt<lb/>ſie Wirkungen an, die nicht durch ihr Medium, nur durch<lb/>
das einer andern Kunſt möglich ſind, ſo widerſpricht ſie ſich<lb/>
und verfällt damit dem Häßlichen. Ein Kunſtwerk kann<lb/>
alſo correct nur ſein, ſofern es die im particulären Medium<lb/>
einer Kunſt liegende Grenze innehält. Ueberſpannt ſie ſich,<lb/>ſo wird ſie freilich mit eben dieſem Wagniß Effect machen,<lb/>
denn ſie bringt ja dann etwas hervor, was ſie nicht her¬<lb/>
vorbringen ſollte und was als eine ſeltſame Erſcheinung<lb/>
immerhin intereſſant ſein kann, jedenfalls aber die Geſetze<lb/>
der wahren Kunſt verletzt. Man verſtehe dies richtig. Daß<lb/>
eine Kunſt die andere unterſtützt, iſt ſchön; daß aber eine<lb/>
Kunſt die Individualität einer andern auslöſcht, iſt häßlich.<lb/>
Die Architektur z. B. kann alſo von der Sculptur und<lb/>ſogar von der Malerei unterſtützt werden, allein nicht ſo<lb/>
darf dies geſchehen, daß nicht die Baukunſt ſich ihre Selbſt¬<lb/>ſtändigkeit erhielte und, was Sculptur und Malerei zu<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[155/0177]
müſſen. Diejenige Incorrectheit, an welcher unſere Zeit
leidet, liegt vorzüglich in dem letzten Punct begründet, da
wir übergenug Epen ohne Kampf, Lieder ohne Gefühl,
Dramen ohne Handlung erhalten und beſonders der Titel
Novelle für die charakterloſeſten Miſchlingsproducte beliebt iſt.
Eine eigene Art der Incorrectheit entſteht nun durch
die ungehörige Vermiſchung der Künſte. Sie können und
ſollen ſich einander unterſtützen, denn ſie ſind geſelliger
Natur und die Oper dankt ja ihre unvergleichliche Macht
dem Zuſammenwirken alle Künſte. Etwas Anderes aber iſt
es, wenn die einzelnen Künſte nach vorwärts oder rück¬
wärts über ihre Sphäre hinausgehen und Effecte hervor¬
bringen wollen, die ihnen kraft ihrer Eigenthümlichkeit ver¬
ſagt bleiben müſſen. Jede Kunſt hat ihre Stärke nur innerhalb
ihrer qualitativen Beſtimmtheit. Verläßt ſie dieſelbe und ſtrebt
ſie Wirkungen an, die nicht durch ihr Medium, nur durch
das einer andern Kunſt möglich ſind, ſo widerſpricht ſie ſich
und verfällt damit dem Häßlichen. Ein Kunſtwerk kann
alſo correct nur ſein, ſofern es die im particulären Medium
einer Kunſt liegende Grenze innehält. Ueberſpannt ſie ſich,
ſo wird ſie freilich mit eben dieſem Wagniß Effect machen,
denn ſie bringt ja dann etwas hervor, was ſie nicht her¬
vorbringen ſollte und was als eine ſeltſame Erſcheinung
immerhin intereſſant ſein kann, jedenfalls aber die Geſetze
der wahren Kunſt verletzt. Man verſtehe dies richtig. Daß
eine Kunſt die andere unterſtützt, iſt ſchön; daß aber eine
Kunſt die Individualität einer andern auslöſcht, iſt häßlich.
Die Architektur z. B. kann alſo von der Sculptur und
ſogar von der Malerei unterſtützt werden, allein nicht ſo
darf dies geſchehen, daß nicht die Baukunſt ſich ihre Selbſt¬
ſtändigkeit erhielte und, was Sculptur und Malerei zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/177>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.