die individualisirende Farbe in Widerspruch; ihre Anwendung wird für sie ein incorrectes Verfahren, wie man bemalten Statuen und Wachsfiguren gegenüber empfindet. In Klöstern und auf sogenannten Stationen der Passion Christi, auf Calvarienbergen, findet man zuweilen die Statuen durch Anwendung von wirklichen Haaren und Kleidern der Natür¬ lichkeit noch mehr, als nur durch Uebermalung, genähert und die Statue empfängt durch solchen Schein des unmittel¬ baren Lebens etwas Gespenstisches. Wenn man in Salz¬ burg z. B. die Stationen des Capuzinerberges bis zu dem guten Hirten hinaufsteigt, wie schauerlich blicken da nicht die grellen Gestalten der Juden, der Kriegsknechte und des ge¬ marterten Christus hinter den Drathgittern aus den Felsen¬ kammern hervor.
Das Correcte ist eigentlich diejenige Schönheit, die gelernt werden kann, die ästhetische Technik. Dies zeigt sich vorzüglich in der Musik, denn obwohl diese Kunst die innersten Regungen des Gemüths darstellt, so ist sie doch gerade durch die Natur des Tones an die Regeln einer strengen Arithmetik gebunden und kann deshalb in ihren Incorrectheiten auf das Genaueste controlirt werden.
In der Poesie ist die Correctheit unbestimmter, weil es in ihr mehr noch, als in den übrigen Künsten, auf die Tiefe des geistigen Gehaltes ankommt und weil zugleich dieser Gehalt mehr, als anderwärts, eine etwaige Incor¬ rectheit kann verzeihen lassen. Aristoteles, Horaz, Brileau und Batteur, haben die Regeln der Poesie und mit ihnen den Begriff des poetisch Incorrecten zu be¬ stimmen gesucht. Sprachreinigkeit, metrische Richtigkeit, rhe¬ torische Vollkommenheit und Auseinanderhalten der Gattungen sind Forderungen, die an jedes poetische Werk gestellt werden
die individualiſirende Farbe in Widerſpruch; ihre Anwendung wird für ſie ein incorrectes Verfahren, wie man bemalten Statuen und Wachsfiguren gegenüber empfindet. In Klöſtern und auf ſogenannten Stationen der Paſſion Chriſti, auf Calvarienbergen, findet man zuweilen die Statuen durch Anwendung von wirklichen Haaren und Kleidern der Natür¬ lichkeit noch mehr, als nur durch Uebermalung, genähert und die Statue empfängt durch ſolchen Schein des unmittel¬ baren Lebens etwas Geſpenſtiſches. Wenn man in Salz¬ burg z. B. die Stationen des Capuzinerberges bis zu dem guten Hirten hinaufſteigt, wie ſchauerlich blicken da nicht die grellen Geſtalten der Juden, der Kriegsknechte und des ge¬ marterten Chriſtus hinter den Drathgittern aus den Felſen¬ kammern hervor.
Das Correcte iſt eigentlich diejenige Schönheit, die gelernt werden kann, die äſthetiſche Technik. Dies zeigt ſich vorzüglich in der Muſik, denn obwohl dieſe Kunſt die innerſten Regungen des Gemüths darſtellt, ſo iſt ſie doch gerade durch die Natur des Tones an die Regeln einer ſtrengen Arithmetik gebunden und kann deshalb in ihren Incorrectheiten auf das Genaueſte controlirt werden.
In der Poeſie iſt die Correctheit unbeſtimmter, weil es in ihr mehr noch, als in den übrigen Künſten, auf die Tiefe des geiſtigen Gehaltes ankommt und weil zugleich dieſer Gehalt mehr, als anderwärts, eine etwaige Incor¬ rectheit kann verzeihen laſſen. Ariſtoteles, Horaz, Brileau und Batteur, haben die Regeln der Poeſie und mit ihnen den Begriff des poetiſch Incorrecten zu be¬ ſtimmen geſucht. Sprachreinigkeit, metriſche Richtigkeit, rhe¬ toriſche Vollkommenheit und Auseinanderhalten der Gattungen ſind Forderungen, die an jedes poetiſche Werk geſtellt werden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0176"n="154"/>
die individualiſirende Farbe in Widerſpruch; ihre Anwendung<lb/>
wird für ſie ein incorrectes Verfahren, wie man bemalten<lb/>
Statuen und Wachsfiguren gegenüber empfindet. In Klöſtern<lb/>
und auf ſogenannten Stationen der Paſſion Chriſti, auf<lb/>
Calvarienbergen, findet man zuweilen die Statuen durch<lb/>
Anwendung von wirklichen Haaren und Kleidern der Natür¬<lb/>
lichkeit noch mehr, als nur durch Uebermalung, genähert<lb/>
und die Statue empfängt durch ſolchen Schein des unmittel¬<lb/>
baren Lebens etwas Geſpenſtiſches. Wenn man in <hirendition="#g">Salz¬<lb/>
burg</hi> z. B. die Stationen des Capuzinerberges bis zu dem<lb/>
guten Hirten hinaufſteigt, wie ſchauerlich blicken da nicht die<lb/>
grellen Geſtalten der Juden, der Kriegsknechte und des ge¬<lb/>
marterten Chriſtus hinter den Drathgittern aus den Felſen¬<lb/>
kammern hervor.</p><lb/><p>Das Correcte iſt eigentlich diejenige Schönheit, die<lb/>
gelernt werden kann, die äſthetiſche Technik. Dies zeigt ſich<lb/>
vorzüglich in der Muſik, denn obwohl dieſe Kunſt die<lb/>
innerſten Regungen des Gemüths darſtellt, ſo iſt ſie doch<lb/>
gerade durch die Natur des Tones an die Regeln einer<lb/>ſtrengen Arithmetik gebunden und kann deshalb in ihren<lb/>
Incorrectheiten auf das Genaueſte controlirt werden.</p><lb/><p>In der Poeſie iſt die Correctheit unbeſtimmter, weil<lb/>
es in ihr mehr noch, als in den übrigen Künſten, auf die<lb/>
Tiefe des geiſtigen Gehaltes ankommt und weil zugleich<lb/>
dieſer Gehalt mehr, als anderwärts, eine etwaige Incor¬<lb/>
rectheit kann verzeihen laſſen. <hirendition="#g">Ariſtoteles</hi>, <hirendition="#g">Horaz</hi>,<lb/><hirendition="#g">Brileau</hi> und <hirendition="#g">Batteur</hi>, haben die Regeln der Poeſie<lb/>
und mit ihnen den Begriff des poetiſch Incorrecten zu be¬<lb/>ſtimmen geſucht. Sprachreinigkeit, metriſche Richtigkeit, rhe¬<lb/>
toriſche Vollkommenheit und Auseinanderhalten der Gattungen<lb/>ſind Forderungen, die an jedes poetiſche Werk geſtellt werden<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[154/0176]
die individualiſirende Farbe in Widerſpruch; ihre Anwendung
wird für ſie ein incorrectes Verfahren, wie man bemalten
Statuen und Wachsfiguren gegenüber empfindet. In Klöſtern
und auf ſogenannten Stationen der Paſſion Chriſti, auf
Calvarienbergen, findet man zuweilen die Statuen durch
Anwendung von wirklichen Haaren und Kleidern der Natür¬
lichkeit noch mehr, als nur durch Uebermalung, genähert
und die Statue empfängt durch ſolchen Schein des unmittel¬
baren Lebens etwas Geſpenſtiſches. Wenn man in Salz¬
burg z. B. die Stationen des Capuzinerberges bis zu dem
guten Hirten hinaufſteigt, wie ſchauerlich blicken da nicht die
grellen Geſtalten der Juden, der Kriegsknechte und des ge¬
marterten Chriſtus hinter den Drathgittern aus den Felſen¬
kammern hervor.
Das Correcte iſt eigentlich diejenige Schönheit, die
gelernt werden kann, die äſthetiſche Technik. Dies zeigt ſich
vorzüglich in der Muſik, denn obwohl dieſe Kunſt die
innerſten Regungen des Gemüths darſtellt, ſo iſt ſie doch
gerade durch die Natur des Tones an die Regeln einer
ſtrengen Arithmetik gebunden und kann deshalb in ihren
Incorrectheiten auf das Genaueſte controlirt werden.
In der Poeſie iſt die Correctheit unbeſtimmter, weil
es in ihr mehr noch, als in den übrigen Künſten, auf die
Tiefe des geiſtigen Gehaltes ankommt und weil zugleich
dieſer Gehalt mehr, als anderwärts, eine etwaige Incor¬
rectheit kann verzeihen laſſen. Ariſtoteles, Horaz,
Brileau und Batteur, haben die Regeln der Poeſie
und mit ihnen den Begriff des poetiſch Incorrecten zu be¬
ſtimmen geſucht. Sprachreinigkeit, metriſche Richtigkeit, rhe¬
toriſche Vollkommenheit und Auseinanderhalten der Gattungen
ſind Forderungen, die an jedes poetiſche Werk geſtellt werden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/176>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.