dieser Proceß unter gegebenen Umständen sein kann, so widrig ist er, weil wir ästhetisch die Fiction machen, daß die Form auch noch die Kraft des Lebens in sich trage.
Gemeinheit und Widrigkeit hängen natürlich zusammen, sind aber auch unterschieden. Das Gemeine wird in der Regel auch widrig. Wenn sich Jemand im Essen und Trinken übernimmt, so ist das eine Gemeinheit. Erbricht er sich in Folge seiner Völlerei, so geht die Gemeinheit in die Widrig¬ keit über. Die Endlichkeit der Unfreiheit wird zu einem Zu¬ stand der Unfreiheit im Endlichen. Das Uebermaaß verkehrt den geordneten Gang der Natur und degradirt den Mund zum After.
Im absolut Schönen wird das Erhabene zur Würde und das Gefällige zur Anmuth. Die Unendlichkeit des erstern wird in ihm zur Kraft der Selbstbestimmung und die Endlich¬ keit der zweiten zur Sänftigung der Selbstbegrenzung. Das häßliche Analogon des absolut Schönen ist daher diejenige ästhetische Gestaltung, welche die Endlichkeit der Unfreiheit im Zustand der Unfreiheit des Endlichen, aber so darstellt, daß die Unfreiheit den Schein der Freiheit und die Endlich¬ keit den Schein der Unendlichkeit annimmt. Eine solche Ge¬ stalt ist häßlich, denn das wahrhaft Häßliche ist das Freie, das sich selbst durch seine Unfreiheit widerspricht und im End¬ lichen sich eine Schranke setzt, die nicht sein sollte. Durch den Schein der Freiheit mildert sich aber die Häßlichkeit; wir vergleichen sie mit derjenigen Form, die ihr ideales Gegenbild ausmacht; eine Vergleichung, welche die häßliche Erscheinung in's Komische hinüberspielt. Die Selbstvernichtung des Hä߬ lichen durch den Schein der Freiheit und Unendlichkeit, die gerade in der Verzerrung des Ideals hervorbricht, ist komisch. Wir nennen diese eigenthümliche Form des Häßlichen die
dieſer Proceß unter gegebenen Umſtänden ſein kann, ſo widrig iſt er, weil wir äſthetiſch die Fiction machen, daß die Form auch noch die Kraft des Lebens in ſich trage.
Gemeinheit und Widrigkeit hängen natürlich zuſammen, ſind aber auch unterſchieden. Das Gemeine wird in der Regel auch widrig. Wenn ſich Jemand im Eſſen und Trinken übernimmt, ſo iſt das eine Gemeinheit. Erbricht er ſich in Folge ſeiner Völlerei, ſo geht die Gemeinheit in die Widrig¬ keit über. Die Endlichkeit der Unfreiheit wird zu einem Zu¬ ſtand der Unfreiheit im Endlichen. Das Uebermaaß verkehrt den geordneten Gang der Natur und degradirt den Mund zum After.
Im abſolut Schönen wird das Erhabene zur Würde und das Gefällige zur Anmuth. Die Unendlichkeit des erſtern wird in ihm zur Kraft der Selbſtbeſtimmung und die Endlich¬ keit der zweiten zur Sänftigung der Selbſtbegrenzung. Das häßliche Analogon des abſolut Schönen iſt daher diejenige äſthetiſche Geſtaltung, welche die Endlichkeit der Unfreiheit im Zuſtand der Unfreiheit des Endlichen, aber ſo darſtellt, daß die Unfreiheit den Schein der Freiheit und die Endlich¬ keit den Schein der Unendlichkeit annimmt. Eine ſolche Ge¬ ſtalt iſt häßlich, denn das wahrhaft Häßliche iſt das Freie, das ſich ſelbſt durch ſeine Unfreiheit widerſpricht und im End¬ lichen ſich eine Schranke ſetzt, die nicht ſein ſollte. Durch den Schein der Freiheit mildert ſich aber die Häßlichkeit; wir vergleichen ſie mit derjenigen Form, die ihr ideales Gegenbild ausmacht; eine Vergleichung, welche die häßliche Erſcheinung in's Komiſche hinüberſpielt. Die Selbſtvernichtung des Hä߬ lichen durch den Schein der Freiheit und Unendlichkeit, die gerade in der Verzerrung des Ideals hervorbricht, iſt komiſch. Wir nennen dieſe eigenthümliche Form des Häßlichen die
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dieſer Proceß unter gegebenen Umſtänden ſein kann, ſo widrig
iſt er, weil wir äſthetiſch die Fiction machen, daß die Form
auch noch die Kraft des Lebens in ſich trage.
Gemeinheit und Widrigkeit hängen natürlich zuſammen,
ſind aber auch unterſchieden. Das Gemeine wird in der Regel
auch widrig. Wenn ſich Jemand im Eſſen und Trinken
übernimmt, ſo iſt das eine Gemeinheit. Erbricht er ſich in
Folge ſeiner Völlerei, ſo geht die Gemeinheit in die Widrig¬
keit über. Die Endlichkeit der Unfreiheit wird zu einem Zu¬
ſtand der Unfreiheit im Endlichen. Das Uebermaaß verkehrt
den geordneten Gang der Natur und degradirt den Mund
zum After.
Im abſolut Schönen wird das Erhabene zur Würde
und das Gefällige zur Anmuth. Die Unendlichkeit des erſtern
wird in ihm zur Kraft der Selbſtbeſtimmung und die Endlich¬
keit der zweiten zur Sänftigung der Selbſtbegrenzung. Das
häßliche Analogon des abſolut Schönen iſt daher diejenige
äſthetiſche Geſtaltung, welche die Endlichkeit der Unfreiheit
im Zuſtand der Unfreiheit des Endlichen, aber ſo darſtellt,
daß die Unfreiheit den Schein der Freiheit und die Endlich¬
keit den Schein der Unendlichkeit annimmt. Eine ſolche Ge¬
ſtalt iſt häßlich, denn das wahrhaft Häßliche iſt das Freie,
das ſich ſelbſt durch ſeine Unfreiheit widerſpricht und im End¬
lichen ſich eine Schranke ſetzt, die nicht ſein ſollte. Durch
den Schein der Freiheit mildert ſich aber die Häßlichkeit; wir
vergleichen ſie mit derjenigen Form, die ihr ideales Gegenbild
ausmacht; eine Vergleichung, welche die häßliche Erſcheinung
in's Komiſche hinüberſpielt. Die Selbſtvernichtung des Hä߬
lichen durch den Schein der Freiheit und Unendlichkeit, die
gerade in der Verzerrung des Ideals hervorbricht, iſt komiſch.
Wir nennen dieſe eigenthümliche Form des Häßlichen die
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/192>, abgerufen am 21.11.2024.
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