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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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zählung sich unwillkürlich fragt, ob man in der That nur
von schlichten Bauern und zum Theil sogar in der naiven
Sprache derselben gelesen habe. So sehr ist der, wie es
scheint, gemeine Stoff durch die Behandlung geadelt worden.
Eine Schaafhirtin, wie Jeanne, eine Bäuerin, wie Marie,
eine Gänsehüterin, wie Fadette, erscheinen uns, ohne Ver¬
künstelung ihrer dörflichen Lage, durch die Reinheit ihrer
Seele, durch die Hohheit ihres Geistes, wahrhaft groß.
Wenn aber ein Dichter einen an sich völlig indifferenten
Stoff als ein Diminutivum sich zum Gegenstande macht, so
wird er kleinlich und in weiterer Folge wohl gar widrig.
In Rückert's Gedichten, 1836, Bd. II., S. 145., Nr. 38.,
finden wir z. B. folgende Verse:

Gestern hab' ich vom Nachtbesuch beim Liebchen,
(Welch' ein nagendes Liebesangedenken!)
Ach, ein Flöhchen mit heimgetragen, das nun,
Den jungfräulichen Aufenthalt vermissend,
Hüpfend, wühlend, mich quält den ganzen Tag lang.
Gegen Abend, auf meinem Sopha liegend,
Da die Stunde gekommen, wo ich dachte
Hinzugehen und das Flöhchen hinzutragen;
Wie ich höre, daß draußen Regen prasselt,
Und ich sage: nun ich kann heut nicht hingehn!
Tobt das Thierchen an mir ganz ungeheuer.

Dergleichen kann man nur kleinlich finden. Ein Lieb¬
haber, der ein Flöhchen der Geliebten besingt; ein Liebhaber,
der sich vom Regen abhalten läßt, zur Geliebten zu gehen;
ein Liebhaber, der sich mit seinem Affect recht bequem auf
das Sopha hinstreckt und nun die Kreuz- und Queerzüge
des lieben Flöhchens beobachtet -- ist ungeheuer prosaisch. --
Es kann die Kleinlichkeit aber auch in der Behandlung liegen.

zählung ſich unwillkürlich fragt, ob man in der That nur
von ſchlichten Bauern und zum Theil ſogar in der naiven
Sprache derſelben geleſen habe. So ſehr iſt der, wie es
ſcheint, gemeine Stoff durch die Behandlung geadelt worden.
Eine Schaafhirtin, wie Jeanne, eine Bäuerin, wie Marie,
eine Gänſehüterin, wie Fadette, erſcheinen uns, ohne Ver¬
künſtelung ihrer dörflichen Lage, durch die Reinheit ihrer
Seele, durch die Hohheit ihres Geiſtes, wahrhaft groß.
Wenn aber ein Dichter einen an ſich völlig indifferenten
Stoff als ein Diminutivum ſich zum Gegenſtande macht, ſo
wird er kleinlich und in weiterer Folge wohl gar widrig.
In Rückert's Gedichten, 1836, Bd. II., S. 145., Nr. 38.,
finden wir z. B. folgende Verſe:

Geſtern hab' ich vom Nachtbeſuch beim Liebchen,
(Welch' ein nagendes Liebesangedenken!)
Ach, ein Flöhchen mit heimgetragen, das nun,
Den jungfräulichen Aufenthalt vermiſſend,
Hüpfend, wühlend, mich quält den ganzen Tag lang.
Gegen Abend, auf meinem Sopha liegend,
Da die Stunde gekommen, wo ich dachte
Hinzugehen und das Flöhchen hinzutragen;
Wie ich höre, daß draußen Regen praſſelt,
Und ich ſage: nun ich kann heut nicht hingehn!
Tobt das Thierchen an mir ganz ungeheuer.

Dergleichen kann man nur kleinlich finden. Ein Lieb¬
haber, der ein Flöhchen der Geliebten beſingt; ein Liebhaber,
der ſich vom Regen abhalten läßt, zur Geliebten zu gehen;
ein Liebhaber, der ſich mit ſeinem Affect recht bequem auf
das Sopha hinſtreckt und nun die Kreuz- und Queerzüge
des lieben Flöhchens beobachtet — iſt ungeheuer proſaiſch. —
Es kann die Kleinlichkeit aber auch in der Behandlung liegen.

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[183/0205] zählung ſich unwillkürlich fragt, ob man in der That nur von ſchlichten Bauern und zum Theil ſogar in der naiven Sprache derſelben geleſen habe. So ſehr iſt der, wie es ſcheint, gemeine Stoff durch die Behandlung geadelt worden. Eine Schaafhirtin, wie Jeanne, eine Bäuerin, wie Marie, eine Gänſehüterin, wie Fadette, erſcheinen uns, ohne Ver¬ künſtelung ihrer dörflichen Lage, durch die Reinheit ihrer Seele, durch die Hohheit ihres Geiſtes, wahrhaft groß. Wenn aber ein Dichter einen an ſich völlig indifferenten Stoff als ein Diminutivum ſich zum Gegenſtande macht, ſo wird er kleinlich und in weiterer Folge wohl gar widrig. In Rückert's Gedichten, 1836, Bd. II., S. 145., Nr. 38., finden wir z. B. folgende Verſe: Geſtern hab' ich vom Nachtbeſuch beim Liebchen, (Welch' ein nagendes Liebesangedenken!) Ach, ein Flöhchen mit heimgetragen, das nun, Den jungfräulichen Aufenthalt vermiſſend, Hüpfend, wühlend, mich quält den ganzen Tag lang. Gegen Abend, auf meinem Sopha liegend, Da die Stunde gekommen, wo ich dachte Hinzugehen und das Flöhchen hinzutragen; Wie ich höre, daß draußen Regen praſſelt, Und ich ſage: nun ich kann heut nicht hingehn! Tobt das Thierchen an mir ganz ungeheuer. Dergleichen kann man nur kleinlich finden. Ein Lieb¬ haber, der ein Flöhchen der Geliebten beſingt; ein Liebhaber, der ſich vom Regen abhalten läßt, zur Geliebten zu gehen; ein Liebhaber, der ſich mit ſeinem Affect recht bequem auf das Sopha hinſtreckt und nun die Kreuz- und Queerzüge des lieben Flöhchens beobachtet — iſt ungeheuer proſaiſch. — Es kann die Kleinlichkeit aber auch in der Behandlung liegen.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/205>, abgerufen am 22.11.2024.